Urteil zu gleicher Bezahlung Arbeitgeber sehen "scharfen Eingriff"
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum Anspruch von Frauen auf gleiche Bezahlung sorgt für Kritik bei Arbeitgebern. Der Verband der Familienunternehmer spricht von einem "scharfen Eingriff in die Verhandlungsfreiheit".
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zu ungleichen Löhnen von Männern und Frauen sorgt für Kontroversen. Besonders die Entscheidung des Gerichts, dass das Verhandlungsgeschick von Bewerbern und Bewerberinnen keine unterschiedliche Bezahlung bei gleicher Arbeit rechtfertigt, stößt auf heftige Kritik. "Die Entscheidung ist ein scharfer Eingriff in die Verhandlungsfreiheit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern und offenbart die Absurdität des Entgelttransparenzgesetzes", erklärte der Präsident der Familienunternehmer, Reinhold von Eben-Worlée.
Damit seien selbst unterschiedliche Gehaltsforderungen beim Einstieg oder das Verhandlungsgeschick von Arbeitnehmern keine zulässigen Kriterien für eine leistungsbezogene Entlohnung mehr, kritisierten die Familienunternehmer. "Den Arbeitgebern wird damit das Recht genommen, Verträge frei auszugestalten." Mit dem Urteil würden Unternehmer unter Generalverdacht gestellt, "dass sie vorsätzlich diskriminieren würden". Dabei fuße die Vertragsfreiheit auf den "Grundwerten unseres Wirtschaftssystems wie Wettbewerb, Leistungsfähigkeit und Eigenverantwortung". Diese Werte würden nun in Gehaltsverhandlungen "wertlos".
Grundsatzurteil in Erfurt
Das Gericht hatte am Donnerstag in einem Fall aus Sachsen entschieden, dass Arbeitgeber Verdienstunterschiede von Frauen und Männern nicht mehr mit ihrem unterschiedlichen Verhandlungsgeschick begründen können. Gibt der Arbeitgeber höheren Lohnforderungen eines Mannes nach, muss er den gleichen Lohn auch einer gleich qualifizierten Kollegin bezahlen, entschied das Gericht in einem Grundsatzurteil. Es sprach der Klägerin eine Gehaltsnachzahlung und eine Entschädigung zu.
Tausende Arbeitsverträge könnten geprüft werden
In der Praxis bedeute das Urteil, dass Arbeitgeber weiter auf die Verdienstforderungen von Männern eingehen können - sie müssten allerdings einer gleichermaßen qualifizierten und erfahrenen Mitarbeiterin dann auch den Lohn erhöhen, erklärte die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die die Klägerin unterstützt hatte. Der Deutsche Frauenring sagte, das Urteil könne dazu führen, dass in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren Tausende weitere Arbeitsverträge auf den Prüfstand kämen. Der Frauenring sowie auch der Deutsche Gewerkschaftsbund sprachen von einem Urteil, das die Arbeitswelt in Deutschland verändern könne.
Susette Jörk, die Anwältin der erfolgreichen Klägerin, wies jedoch auf ein Problem hin, das sich für viele Frauen ergeben könnte, die unter Berufung auf das Urteil ebenfalls eine Benachteiligung bei der Bezahlung beenden wollen. "Die Schwierigkeit in der Praxis besteht vor allem darin, dass die Frauen ja nicht wissen: Was verdienen die männlichen Kollegen?", sagte sie. Der Auskunftsanspruch, der sich aus dem Entgelttransparenzgesetz ergebe, hätten Frauen "momentan erst ab einer Betriebsgröße von 200 Beschäftigten - und die meisten Frauen arbeiten in kleineren Betrieben".
Das Bundesfamilienministerium bezeichnete die Gerichtsentscheidung als "bemerkenswert und ein deutliches Zeichen für die Durchsetzung der Entgeltgleichheit für gleiche Arbeit". In Deutschland betrage der durchschnittliche Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern noch immer 18 Prozent, sagte ein Sprecher. Selbst bei gleicher Qualifikation und gleichen beruflichen Anforderungen betrage die Lohnlücke immer noch sieben Prozent.