Haustier-Boom in der Pandemie Tierärzte am Limit
Die Corona-Krise sorgt für einen Haustier-Boom. Eine Million Haustiere zogen im Jahr 2020 in ein neues Zuhause - ein Trend, der auch 2021 anhielt. Das heißt für Tierärzte eine massive Überlastung.
In Zeiten von Lockdowns und Social Distancing fühlen sich viele Menschen einsam und legen sich ein Haustier zu. Mittlerweile lebt in fast jedem zweiten Haushalt ein Tier. "Der positive Effekt von Heimtieren auf den Menschen ist wissenschaftlich erwiesen", sagt Psychologie-Professorin Andrea Beetz von der Internationalen Hochschule (IU) mit Hauptsitz in Erfurt. Sie erforscht seit 20 Jahren die Beziehung von Mensch und Tier.
Besonders in Krisenzeiten wie der Pandemie berichten Tierhalter von psychischer Stabilität und einem geringeren Gefühl von Einsamkeit. Schon kurzes Streicheln erzeugt Oxytocin. Das Hormon reduziert Stress, Angst und Aggression und fördert Wohlbefinden und Vertrauen. Für die einen heißt das weniger Stress, für die anderen mehr.
Enorme Belastung für Veterinäre
Tierärztinnen und Tierärzte stehen seit der Pandemie vermehrt unter Druck. "Wir werden von verzweifelten Tierbesitzern angerufen, die mit einem akuten Fall seit Stunden nach einem verfügbaren Arzt suchen", sagt Catalina Otto. Sie arbeitet als mobile Tierärztin und ist seit fast zehn Jahren im Rhein-Main Gebiet unterwegs. Otto beschäftigt noch weitere mobile Tierärzte in Köln, Berlin und dem Ruhrgebiet. Trotz genügend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kommt ihr Team bei der Terminvergabe kaum hinterher.
"An einem Samstagabend haben wir innerhalb von einer Stunde 60 Anrufe von Tierbesitzerinnen und Tierbesitzern, im Monat fahren wir bis zu 500 Einsätze", sagt Otto. Die Anzahl von neuen Haustieren schießt nach oben, während es immer weniger Veterinäre gibt. "Von 24 Tierkliniken im Rhein-Main-Gebiet ist nicht mal mehr die Hälfte übrig", erklärt sie. Das bedeute, dass die Arbeitsbelastung in den Praxen explodiere, sagt Heiko Färber, Geschäftsführer des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte. "Burnout und psychischer Stress sind da allgegenwärtig."
Hohe Suizidrate
Tierärztinnen und Tierärzte begehen dem Deutschen Tierschutzbund zufolge weltweit überdurchschnittlich häufig Suizid. Eine Studie zum Thema Stress und Gesundheitsbelastung, die 2011 im Deutschen Tierärzteblatt veröffentlicht wurde, ergab, dass fast die Hälfte der befragten Tierärzte eine signifikant erhöhte berufliche Belastung im Vergleich zur Normalbevölkerung empfindet.
Als Ursache für die Überforderung wurden schlechte Bezahlung, hoher Leistungsdruck, schwieriger Umgang mit den Patientenbesitzern und deren Erwartungshaltung sowie die Konfrontation mit dem Thema Tod angegeben. Tierärztinnen und Tierärzte müssen Tiere in einigen Fällen einschläfern und sind somit häufiger mit dem Tod konfrontiert als Humanmedizinerinnen und Humanmediziner.
"Corona ist nur ein Katalysator, das Problem der Überlastung besteht schon seit Jahren", erklärt Färber. Immer weniger Tierarztpraxen bieten aufgrund des fehlenden Personals Notdienste an. Es gibt Regionen in Deutschland, die gar nicht mehr durch einen Notdienst abgedeckt sind. Tierbesitzerinnen und Tierbesitzer müssen bis zu eineinhalb Stunden zur nächsten Klinik fahren; das kann in manchen Fällen tödlich enden.
Überlastung hat viele Gründe
Die Gründe für den Personalmangel sind laut Färber vielfältig. "Der Anteil der Frauen unter den deutschen Tiermedizinstudierenden liegt bei fast 90 Prozent", sagt er. Vor 30 Jahren ist der Beruf noch deutlich männerdominiert gewesen. Diese Entwicklung bedeutet einen Verlust von Arbeitsstunden, da sich Frauen beispielsweise seltener selbstständig machen und durch Mutterschutz länger ausfallen, da Tierärztinnen direkt nach Bekanntwerden der Schwangerschaft nicht mehr arbeiten dürfen.
"Wir brauchen mehr Flexibilität im Arbeitszeitgesetz. Mit einer Ruhezeit von elf Stunden ist ein Notdienst gar nicht möglich." Außerdem müsse es einfacher sein, Tierärzte aus anderen Ländern anzustellen. "Wenn Sie einen Tierarzt aus Serbien anstellen, haben sie zwei Jahre Bürokratie am Hals, Tierarztpraxen sind Kleinstunternehmen und damit total überfordert", sagt Färber.
Umsatzplus durch Corona
Da ist es nur ein schwacher Trost, dass die Tierärztinnen und Tierärzte laut Statistischem Bundesamt im Vergleich zu den Jahren 2019 und 2020 im vergangenen Jahr elf Prozent mehr Umsatz gemacht haben. In Zeiten von Corona fließt Geld, das zuvor im Urlaub ausgegeben wurde, beispielsweise in eine Zahnbehandlung des Tieres. Auch Operationen würden vorgezogen, da die Besitzerinnen und Besitzer mehr Zeit für ihre Tiere hätten, sagt Tierärzte-Vertreter Färber.
Die Tierhalter fragten viel öfter nach höherwertiger Diagnostik, fügt er hinzu; anstelle eines Ultraschalls werde ein CT gefordert. "Seit Corona werden die Praxen mit Ersttierbesitzerinnen und Ersttierbesitzern überschwemmt, die teilweise unerfahren sind und bei Bagatellfällen wie dem Ziehen einer Zecke auf der Matte stehen."
Trotz der hohen Anforderungen macht Veterinärin Otto ihren Beruf gerne. "Ich will Tiere retten, ihnen helfen. Und wenn das nicht mehr geht, ist es schön, wenn ein Tier ohne Angst zu Hause friedlich einschlafen kann - und nicht in der Klinik", sagt sie. Die Herausforderung mache ihr viel Spaß - sie wünsche sich aber trotzdem mehr gesellschaftliche Anerkennung.