Daimler vor der Aufspaltung Ein Stern für zwei Firmen
Die Daimler-Aktionäre haben der Trennung in zwei eigenständige Firmen für Lkw und Pkw zugestimmt. Mercedes will damit beweglicher werden, macht sich aber auch anfälliger für Übernahmen.
Von Lothar Gries, tagesschau.de
Nach langer Vorbereitung ist es nun endlich so weit: Das Lkw- und Busgeschäft von Daimler wird in die unternehmerische Selbstständigkeit entlassen. Künftig steht Mercedes-Benz für Autos und Vans, Daimler Truck für Lastwagen und Busse. Die Aktionäre haben mit einer Mehrheit von 99,9 Prozent für den Spin-Off gestimmt.
Zweifel, dass sie der geplanten Zerlegung des traditionsreichen Konzerns nicht zustimmen, gab es ohnehin keine, gehören doch die Anteilseigner zu den potenziellen Profiteuren der Trennung. Sie erhalten 65 Prozent der Aktien des neuen Unternehmens, Daimler Truck, und zwar im Verhältnis 2:1. Wer also bislang 20 Daimler-Aktien besitzt, erhält zehn von Daimler Trucks. Die Wertpapiere sollen noch im Dezember an der Börse notiert werden und peilt dort eine Aufnahme in den Leitindex DAX an. Experten gehen davon aus, dass der Börsenwert der beiden getrennten Aktiengesellschaften höher sein wird als die Bewertung von Daimler derzeit. Allein durch den Wegfall des "Konglomerat-Abschlags" könnte Mercedes allein so viel wert sein wie Daimler heute insgesamt: rund 82 Milliarden Euro.
Traditionsreiches Unternehmen verschwindet
Für Daimler-Aktionäre ein lukratives Geschäft. Doch auch nachdenkliche Töne kommen aus der Branche. "Für immer verschwindet eines der erfolgreichsten, traditionsreichsten und größten deutschen Unternehmen von der Bildfläche", kommentiert Autoexperte Willi Diez in einem noch unveröffentlichten Buch den radikalen Umbau bei Daimler. Tatsächlich soll die Daimler AG zum 1. Februar 2022 in Mercedes-Benz Group AG umbenannt werden. Der Name Daimler verschwindet so aus dem Pkw-Bereich und bleibt nur noch im Lkw-Geschäft bestehen.
Dennoch besteht das Unternehmen weiter, wenn auch in zwei unabhängigen Sparten. Zudem soll der Stern weiterhin Autos von Mercedes-Benz als auch Nutzfahrzeuge zieren. Und vollständig in die Unabhängigkeit entlassen wird die Lkw- und Bussparte zunächst auch nicht. In einem Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" versicherte Daimler-Vorstandschef Ola Källenius, der Autobauer werde durch eine geplante Minderheitsbeteiligung "eine schützende Hand über Daimler Trucks halten". "Falls draußen im Markt etwas passiert, was nicht im Sinne von Daimler Trucks wäre, dann sind wir da", sagte Källenius. Er wollte sich aber nicht festlegen, wie hoch die Minderheitsbeteiligung sein wird.
Chinese größter Einzelaktionär
Derzeit werden 60 Prozent der Daimler-Aktien von sogenannten institutionellen Investoren gehalten, also Fondsgesellschaften, Versicherungen und Banken. 20 Prozent der gut eine Milliarde Aktien gehören Privatanlegern. Zu den größten Einzelaktionären zählen der Staatsfonds von Kuwait (6,8 Prozent) und der chinesische Investor Li Shufu (Geely). Dieser hält über die Firma Tenaciou3 Prospect Investment (seit 2018) den größten Aktienanteil an Daimler (9,7 Prozent). Im Juli 2019 hat sich auch die chinesische BAIC Group mit fünf Prozent der Stimmrechte an dem Autobauer beteiligt.
Ob sich diese Verteilung nach der Trennung von der Lkw- und Bussparte verändern wird, steht noch nicht fest. Daimler-Truck-Chef Martin Daum sieht durch den geplanten Börsengang keine gänzlich neuen Herausforderungen auf das Geschäft zukommen. Die, die man bewältigen müsse, änderten sich nicht: das Auf und Ab der Konjunktur, gerade auch jetzt in Verbindung mit der Coronakrise, die Kostenstruktur und die Transformation der Branche an sich.
Kein Verlustbringer
Daimler Truck könne als eigenständiges Unternehmen seine Zukunft optimal gestalten, so Daum Auch sei das Unternehmen weder ein Verlustbringer, wie gelegentlich dargestellt, noch müsse das Unternehmen saniert werden. "Wir sind eine starke Firma, die jederzeit allein bestehen kann", betonte Daum. Es gebe aber Bereiche mit zu hohen Kosten. Die müsse man "verschlanken". Dazu gehört auch der Personalabbau. So hinkt Daimler Truck mit einer Rendite von zehn Prozent rund zwei Prozentpunkte den Konkurrenten Scania und Volvo hhinterher.
Zugleich gewinne das Unternehmen durch die Aufspaltung des Daimler-Konzerns an Geschwindigkeit und Flexibilität und könne die Entwicklung der für den Truck-Bereich wichtigsten Technologien besser vorantreiben. "Die Zeit von großen bürokratischen Konglomeraten ist vorbei", sagte Daum. Daimler Truck ist nach eigenen Angaben der weltgrößte Hersteller von Lkw und Bussen mit sieben Marken, mehr als 100.000 Beschäftigten und einem Umsatz von zuletzt knapp 45 Milliarden Euro. Für Daimler insgesamt arbeiten weltweit rund 300.000 Menschen.
Mercedes macht sich verwundbar
Für den Branchenexperten Ferdinand Dudenhöffer ist die Aufspaltung nur folgerichtig. "Es passt in die Zeit", sagte er und verwies auf ähnliche Entscheidungen anderer Autokonzerne, allen voran Volkswagen. Die Geschäfte der verschiedenen Sparten hätten wenig miteinander zu tun; zudem habe man erkannt, dass es besser sei, sich auf das Kerngeschäft zu besinnen und nicht nach dem allumfassenden Mobilitätskonzern zu streben.
Dass Daimler Trucks die Begehrlichkeiten von Konkurrenten oder aktivistischen Großinvestoren wecken könnte, halten Marktbeobachter für wenig wahrscheinlich; dazu stecke die gesamte Branche noch zu sehr im Umbruch. Das sehen offenbar auch die Daimler-Manager so. Sie haben Daimler Truck mit Barmitteln von 1,5 Milliarden Euro ausgestattet. Laut Daum soll die Reserve es dem Unternehmen ermöglichen, bei guten Gelegenheiten schnell zuzuschlagen, also eine Übernahme zu stemmen.
Sorgen löst bei einigen Experten das verbleibende Pkw-Geschäft aus. "Die Abspaltung der Lkw-Sparte macht Daimler anfälliger für aktivistische Attacken oder Übernahmeversuche", warnt Ingo Speich von der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka Investment. Die verbreitete Skepsis gegenüber der Zukunftsfähigkeit der Mercedes-Benz AG beruhe wohl darauf, dass sie ein "kleiner Player im Weltautomobilmarkt" sei, meint Wirtschaftsprofessor Diez. Das Lkw-Geschäft stehe hingegen auf längere Sicht nicht so schlecht da, da dessen Grundlagen berechenbar seien. "Solange gewirtschaftet wird, müssen Güter transportiert werden", lautet das nüchterne Fazit des Experten.