Ein ICE der Deutschen Bahn fährt auf der Schnelltrasse Hannover-Göttingen im Landkreis Hildesheim vorbei an herbstlich verfärbten Bäumen (Aufnahme mit langer Verschlusszeit)
Analyse

Verkehr und Klimaschutz Wie "grün" ist die Bahn wirklich?

Stand: 03.03.2021 09:13 Uhr

"Wer Zug fährt, schützt das Klima": Das verspricht die Deutsche Bahn in ihren Werbekampagnen. Doch tut der Konzern tatsächlich genug, um als "Klimaretter" gelten zu können?

Eine Analyse von Katja Sodomann, hr

"Deutschlands schnellster Klimaschützer", "die Deutsche Bahn ist grün", "100 Prozent Ökostrom im Fernverkehr": Mit Slogans wie diesen pflegt die Deutsche Bahn ihr Klimaretter-Image. Für die Botschaft "100 Prozent Ökostrom" wurden die roten Streifen an den ICE-Zügen werbewirksam grün umgeklebt. Einerseits zurecht, denn der Konzern kauft so viel Ökostrom ein, wie er für den Fernverkehr benötigt.

Ökostromverbrauch auf Kosten der anderen

Andererseits bedeute das aber nicht, dass eine ICE-Fahrt immer klimaneutral sei, erklärt Alexander Eisenkopf, Verkehrsökonom der Zeppelin-Universität Friedrichshafen: "Der Zug fährt mit dem Strom, der im Moment in das System eingespeist wird. Die 100 Prozent Ökostrom sind nur eine Werbeplakette, genau wie die grünen Streifen."

Die 100 Prozent hätten keine ökologische Relevanz, sagt Eisenkopf, denn ein Blick auf den Gesamtstrommix des Bahnverkehrs weise folgende Anteile aus: 19 Prozent Kohle, neun Prozent Gas, elf Prozent Kernenergie und 61 Prozent Erneuerbare Energien. Das bedeute: Fahre der Fernverkehr mit 100 Prozent Ökostrom, so führen Güter- und Nahverkehr umso mehr mit konventionellem Strom.

Auch die 61 Prozent Erneuerbare Energien bewirbt die Bahn: Damit sei sie deutlich weiter als die übrige Industrie und Deutschlands größter Ökostromnutzer, so das Unternehmen. Doch macht sie das zum großen Klimaschützer? Nein, es bedeute nur, dass sie besonders viel der auf dem Markt vorhandenen Erneuerbaren Energien aufkauft, so Eisenkopf: "Hier wird ein Fell verteilt, um das sich viele streiten. Die Bahn hat dabei als großer Stromabnehmer mit langlaufenden Verträgen einen Wettbewerbsvorteil."

Ausgleich durch Klimaschutzprojekte

Diesen Vorteil müsse sie als Klimaschützer eigentlich ausgleichen, fordert Dominik Seebach, Energie- und Klimaschutzexperte vom Öko-Institut. Etwa, indem sie Erneuerbare Energien selbst erzeuge oder in gleicher Menge ihren Ausbau fördere, wie sie ihn verbrauche, so Seebach: "Bei den zehn Terrawattstunden Strom, die die Bahn jährlich benötigt, hätte das einen Rieseneffekt." Bahn-Konzernsprecher Achim Stauß zählt diverse Ökostromprojekte auf, die die Bahn fördere: "Ein großes Photovoltaikprojekt, das ohne unsere Beteiligung hätte eingestellt werden müssen, eigene DB-Wasserkraftwerke, und wir sehen zu, dass wir mehr Windenergie bekommen."

Öko-Experte Seebach lobt solches Engagement, doch das decke nur einen Bruchteil des Strombedarfs der Bahn und kaschiere nicht, dass die Bahn ebenfalls einen Langfristvertrag mit dem Kohlekraftwerk Datteln 4 geschlossen hat. Das ging erst jüngst ans Netz - unter heftigen Protesten von Klimaschützern. Bahn-Sprecher Stauß bezeichnet den Kohlestromvertrag mittlerweile als "aus der Zeit gefallen", doch damals sei er richtig gewesen: "Wir brauchen diese Strommengen auch zur Zeit. Aber das ändert nichts daran, dass wir den Konzern klimaneutral machen werden. Das geht nicht über Nacht."

Wenig Bahnhöfe mit Ökostrom betrieben

Die Bahn steckt in der Zwickmühle: Langfristig an Kohlestrom gebunden, will sie schon 2038 mit 80 Prozent Erneuerbaren Energien fahren. Doch auch dann ist sie noch nicht komplett grün, denn auch Bahnhöfe, Büros und Liegenschaften verbrauchen Strom. Hier und entlang der Bahnstrecken vertue die Bahn eine große Chance, so Seebach: "Sie hat ein eigenes, energiespezialisiertes Tochterunternehmen, viele eigene Grundstücke und Liegenschaften. Wenn man die schon hat, dann kann man die viel mehr als bislang mit Ökostrom versorgen und auch möglichst viel davon vor Ort selbst erzeugen."

Unausgeschöpftes Klimaschutzpotential: Von ihren 5679 Bahnhöfen betreibt die Bahn nur 33 mit Ökostrom. Und bislang gibt es nur vereinzelt Maßnahmen wie die Installation von Solarpanels an Bahnstrecken oder auf Bahnhofsdächern. "Bahnstrecken, Bahnhofsdächer und Werke kommen nicht einfach so infrage, nur weil sie vorhanden sind", sagt Sprecher Stauß. "Manchmal sind es Denkmalschutz- oder statische Gründe an Bahnhofsgebäuden. Am Ende muss es sich natürlich auch rechnen. Aber wir schauen uns das verstärkt an."

Logistiktochter DB Schenker passt nicht ins Profil

Blickt man auf den Gesamtkonzern, ist das Klimaschutzpotenzial noch größer. So passt die Bahnlogistiktochter DB Schenker so gar nicht ins Klimaprofil: Zwar setzt sie auch klimaschonende Güterzüge ein, macht ihnen aber gleichzeitig mit den Klimasündern Lkw, Flugzeug und Schiff Konkurrenz. Als Klimaretter müsste sich der Konzern von DB Schenker eigentlich trennen, so Verkehrsökonom Eisenkopf, aber: "Das will man nicht, weil das einer der wenigen Bereiche ist, die Geld verdienen. Für das wirtschaftliche Ergebnis ist DB Schenker deutlich wichtiger als der Bahnverkehr." Dementsprechend verteidigt Stauß das Festhalten an DB Schenker: "Schwarze Zahlen sogar in der Krise, das hilft uns auch beim Bahnverkehr."

Fazit: Der Bahnkonzern will klimafreundlicher werden, schöpft seine Möglichkeiten aber noch nicht aus. Den Namen Klimaretter hat er so noch nicht verdient. Das Transportmittel Bahn ist hingegen unbestritten ein Klimaschützer: Güterzüge sind sechs bis sieben Mal klimaschonender als Lkw. Im Personenverkehr ist die Treibhausgasbilanz ähnlich: 55 Gramm pro Personenkilometer (g/Pkm) im Nah- und 29g/Pkm im Fernverkehr. Das Auto liegt bei 143g/Pkm beim Auto, das Flugzeug bei 214g/Pkm. Es lohnt sich also, in den Zug zu steigen - auch wenn der nicht ganz so grün ist, wie sein Anstrich suggeriert.

Dieses Thema im Programm: Mehr dazu in "mex - das Marktmagazin" am 3.3.2020 um 20.15 Uhr im hr