Insolvenzen nehmen zu Trendumkehr bei Firmenpleiten
Nach zwei Jahren mit außergewöhnlich wenigen Insolvenzen werden für 2023 wieder mehr Unternehmenspleiten erwartet. Expertinnen und Experten sehen darin aber keinen Grund zur Panik.
"Wir stellen uns auf mehr Insolvenzen ein - aber das ist der Weg zurück zur Normalität. Wir kommen aus einer abnormalen Situation", sagt Jochen Böhm. Er gehört zur Unternehmensleitung von Coface, einem großen Kreditversicherer in Mainz. Die Kreditversicherer sind so etwas wie Frühwarnsysteme für die Wirtschaft. Haben Unternehmen Liquiditätsprobleme und können ihre Lieferanten nicht mehr bezahlen, übernehmen sie einen Teil der Forderungen und können daher Entwicklungen voraussehen.
Talsohle bei den Insolvenzen erreicht
Ende 2019, so Böhm, habe sich ein Wirtschaftsabschwung angedeutet. Doch dann kam Corona. Das sei eine "abnormale Situation" gewesen, die von massiven Eingriffe des Staates in die Wirtschaft geprägt war. Dazu gehörte etwa die vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. Die Folge: Unternehmen, die eigentlich längst überschuldet waren, konnten weiter arbeiten, obwohl sie Verlust machten und nicht überlebensfähig waren - als sogenannte Zombieunternehmen. Diese binden zudem Fachkräfte und Ressourcen, schaden also auch den Mitbewerbern.
"Dadurch hatten wir fast keine Insolvenzen, in diesem Jahr gerade mal 14.000", betont Böhm. Damit sei die Talsohle nun erreicht. Zum Vergleich: Im Vor-Corona-Jahr 2019 gab es mehr als 18.700 Unternehmensinsolvenzen, seit dem Jahr 2000 lagen die Höchststände 2003 und 2004 bei jeweils fast 40.000 Fällen.
Dass sich die Entwicklung der Firmenpleiten 2023 aber ändern dürfte, zeigt der Blick auf die Zahl der Kreditausfälle im laufenden Jahr. Fast 700 Millionen Euro mussten die Kreditversicherer auffangen, das ist im Vergleich zum Rekord-Niedrig-Jahr 2021 eine Steigerung von beinahe 50 Prozent, so eine Hochrechnung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).
Häuslebauer auf dem Rückzug
Die Gründe sind vielschichtig: der Ukraine-Krieg, dadurch stark steigende Energiepreise, die hohe Inflation, aber auch die immer noch angespannte Lieferketten-Situation als Folge der Pandemie. Das alles führt dazu, dass die Zahlungsmoral sinkt. "Liquiditätsengpässe und Insolvenzwellen hat es immer gegeben, ob bei Automobilzulieferern oder in der Möbelindustrie", so Coface-Experte Böhm. "Aber das waren singuläre Krisen." Neu sei, dass praktisch alle Branchen betroffen sind.
So mussten Traditionsunternehmen wie Hakle, Görtz, Portas oder Küchenquelle in diesem Jahr Insolvenz anmelden. Und auch in der an sich boomenden Baubranche mehrt sich die Zahl der Pleiten. Neben den Lieferengpässen und den ausufernden Materialpreisen sind hier auch die steigenden Zinsen ein wesentlicher Faktor.
Betroffen ist dadurch vor allem der private Wohnungsbau. Die Angst, die Belastungen künftig nicht tragen zu können, drückt bei Verbrauchern auf Konsum- und Baulaune, Bauanträge werden zurückgezogen, Aufträge storniert.
Kein Anlass zur Schwarzmalerei
Auch die Chemiebranche, das Transportwesen und die Automobilbranche mit Zulieferern leiden unter der zunehmend schlechter werdenden Zahlungsmoral. Anzeichen für eine drohende Pleitewelle sehen die Kreditversicherer jedoch nicht. Für sie ist die steigende Zahl von Firmeninsolvenzen eine Bereinigung des Marktes.
"Wir erwarten keinen Abbruch der Wirtschaft", so Thomas Langen, Vorsitzender der Kommission Kreditversicherung im GDV. Die Zahl der Pleiten werde steigen, die Situation sei aber nicht dramatisch. Für das kommende Jahr rechnet der Branchenverband mit bis zu 16.800 Insolvenzen. Das wären 20 Prozent mehr als 2022 und damit eine Trendumkehr zurück zur Normalität.