Alteingesessene Läden bedroht Unterwegs mit dem "Kiezgewerberetter"
In immer mehr Städten werden alteingesessene Läden von zahlungskräftigeren Nachmietern verdrängt. Ein Berliner geht dagegen vor. Als "Kiezgewerberetter" hilft er Besitzern kleiner Läden und Cafés.
Viele Städte kennen das Phänomen: Die Stadtteile verändern sich. Da, wo einst kleine alteingesessene Läden waren - vielleicht eine kleine Änderungsschneiderei, ein Schuhmacher -, ziehen nun Coworking-Spaces, Start-ups und stylische Cafés ein. Durch steigende Mieten sind vor allem in den Metropolen das Kleingewerbe, aber beispielsweise auch Kindertagesstätten oder Pflegeeinrichtungen bedroht.
Wenn der Vermieter droht, hilft KIGE
Denn die kleinen Gewerbemieter haben keine Lobby, weiß Jurist Stefan Klein. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihnen mit "KIGE" - also mit der "Kiezgewerbe Unternehmergesellschaft" - zu helfen. KIGE ist einfach eine Anlaufstelle für die Gewerbemieter und -mieterinnen aus dem Kiez, die Hilfe brauchen. Der KIGE-Chef hat zwei Markenzeichen: sein Fahrrad - ein E-Bike - ist sein Dienstfahrzeug. Mit ihm ist er ständig in Berliner Kiezen unterwegs. Und er raucht filterlose Zigaretten - auch ständig.
Heute ist Klein in der "Istanbul Boutique" im Stadtteil Neukölln. Die Inhaberin Meltem hat ihn um Hilfe gebeten. Sie und Klein kennen sich schon einige Jahre. Jetzt soll er den aktuellen Mietvertrag mit ihr durchgehen. Sie stellt gerade ihr Warenangebot um, von Damenmode auf Stoffe. Da gibt es manches zu beachten.
"Es geht ja manchmal nur darum, das Juristendeutsch auf ein verständliches Deutsch zu übertragen. Und so ein Gewerbemietvertrag hat öfter 35 bis 50 Seiten", erklärt Klein. Einen richtigen Anwalt hätte Meltem mit ihrem kleinen Laden niemals bezahlen können.
Viel Idealismus im Ehrenamt
Und Klein nimmt nichts. Eigentlich bekommt er für seine Tätigkeit eine Förderung vom Bezirksamt Kreuzberg/Friedrichshain. Das Amt bezahlt auch seine Mitarbeiterin bei "KIGE". Allerdings hat der Berliner Senat den Haushalt noch nicht verabschiedet, und solange fließt kein Fördergeld in die Hände von "KIGE".
Klein hat eine Halbtagsstelle bei einer grünen Bundestagsabgeordneten - mit diesem Geld muss er derzeit auskommen. Als Kiezgewerberetter macht er also gerade ehrenamtlich weiter.
Beharrlichkeit kann sich auszahlen
Auf dem Weg nach Hause kommt er bei der Yayla-Sportschule vorbei. Mädchen und Jungen aus dem Kiez lernen dort unter anderem die Kampfsportart Taekwondo. Es ist ein wichtiger interkultureller Treffpunkt. Als der Leiter der Schule, Karen Yayla, zufällig durchs Fenster schaut und Klein erblickt, kommt er geradezu herausgeschossen. Es folgt eine innige Umarmung. "Stefan ist wie mein großer Bruder", erklärt Yayla.
Ihm habe er zu verdanken, dass es die Schule hier überhaupt noch gibt. Drei Jahre habe der Kampf gedauert, erklärt Klein. Der Vermieter wollte die Schule raushaben und mit anderen Mietern sehr viel mehr Geld verdienen. In seiner Not wandte sich Yayla an den Juristen Klein, und der legte los: viele Gespräche mit Überzeugungsarbeit beim Vermieter. Er empfahl der Schule, sich an die Öffentlichkeit zu wenden, damit der Fall bekannt wird. Am Ende gab der Vermieter entnervt auf. Er verkaufte die Räume; nun darf die Schule bleiben.
Sportschulenbetreiber Karen Yayla (l.) hat es Stefan Klein zu verdanken, dass es seine Schule im Kiez noch gibt.
Manchmal hilft alles nichts
Das Café "Espera" in der Sonnenallee konnte Klein mit KIGE nicht retten. Noch ist die Zukunft für die Inhaberin Deniz Agaoglu und ihr Team völlig ungewiss. Eigentlich war es zwischen dem Vermieter und ihr üblich, dass der Mietvertrag einfach auf Zuruf verlängert wird. Und auch dieses Mal, so signalisierte es der Vermieter, würde es einfach weitergehen.
Doch dann flatterte die Kündigung ins Haus: Man wolle das Gewerbe in dem Gebäude umstrukturieren. Ein Schock für Agaoglu. In Ihrer Not wandte sie sich an KIGE. Klein unterstützte sie juristisch und psychologisch und ermunterte sie, nach den bereits erprobten Methoden zu greifen: einer Unterschriftenliste - 2500 Menschen unterschrieben; bedruckten T-Shirts mit der Aufschrift: "Café 'Espera' muss bleiben"; eine kleine Kundgebung - und Agaoglu wandte sich sogar an die Lokalpolitik und die Wirtschaftsförderung.
Am Ende musste sie trotzdem raus - wenn auch später als vom Vermieter verlangt. Damit sie ihr Team weiter bezahlen kann, veranstaltete sie eine Crowdfunding-Aktion, bei der immerhin 18.000 Euro zusammen kamen. Jetzt öffnet das Café "Espera" einmal die Woche - als eine Art Pop-up-Café, in Räumen einer befreundeten Gastronomin um die Ecke. Das ist zwar gut für den Übergang - doch eine Dauerlösung ist das nicht. Die muss erst noch gefunden werden.
Kleingewerbe prägt das Kiez-Flair
"Wenn ich an einem Tag zwei Kunden besuche, komme ich mit fünf neuen zurück", erzählt Klein. Immer mehr Gewerbemieter oder auch soziale Träger fühlen sich dem Mietmarkt nicht mehr gewachsen. Es ändert sich spürbar etwas: Die Mietverträge haben jetzt häufiger eine kürzere Laufzeit, die Mieten steigen - ähnlich wie bei Wohnimmobilien - schneller und höher.
Das können Start-ups bezahlen oder Coworking-Spaces, manch eine hippe Bar auch - aber ein kleiner Klamottenladen oder eine Kita eben nicht. Und wenn ein Geschäft schließen muss, ist es oft ein Drama. Denn, so Klein: "Wenn ein Gewerbemieter seine Räume verliert, dann hängt viel mehr dran als bei einem Wohnungsmieter. Das Gewerbe bedeutet oft die gesamte Existenz."
Abgesehen von der persönlichen Situation: Zieht das Kleingewerbe weg, verändert sich auch der Charakter eines Viertels. So sind hier zwei Apotheken weggezogen, eine alteingesessene Kneipe für alteingesessene Berliner und Berlinerinnen musste einer neuen Bar weichen, eine Kita musste schließen.
Wohnungsmieter haben mehr Schutz als Gewerbemieter
Das Problem: Gewerbemieter haben erheblich schlechtere Bedingungen als Wohnungsmieter. Der Kündigungsschutz ist schwächer. Ein unbefristeter Mietvertrag kann nach sechs Monaten ohne Angaben von Gründen gekündigt werden. Bei einer Neuvermietung kann die Miete auch beliebig erhöht werden.
Da müssen neue Regelungen her, findet der Berliner Mieterverein. "Bislang bedarf es im Gewerbemietrecht auch keines Kündigungsgrundes. Das sollte geändert werden", schreibt Wibke Werner, stellvertretende Geschäftsführerin. Der Mieterverein will, dass das Gewerbemietrecht an das des Mietwohnrechts angepasst wird, vor allem mit einem besseren Kündigungsschutz. Je länger beispielsweise ein Mietverhältnis andauert, desto länger sollen auch die Kündigungsfristen sein. Für den Mieterverein wäre auch eine Art Gewerbemietspiegel eine Option.
Bemühungen um Reformen bislang vergeblich
Gewerbemietrecht ist Bundesrecht, also können nur auf Bundesebene könnten entsprechende Gesetze verabschiedet werden. Aber eine entsprechende Bundesratsinitiative verlief im Sand. Dann versuchten es die Grünen im vergangenen Jahr mit einem Gesetzentwurf (Drucksache 19/23116). Der sah unter anderem eine Begrenzung der Mietsteigerung und eine erhebliche Stärkung des Kündigungsschutzes vor. Gelten sollte das vor allem für Gewerbemietern mit kleineren Räumen und auch für soziale Träger von Pflegeinrichtungen oder Kitas. Zudem sollte das Gesetz auch nur in Gebieten mit angespanntem Gewerbemietmarkt angewandt werden. Der Entwurf wurde aber voriges Jahr im Rechtsausschuss abgelehnt.
Damals waren die Grünen allerdings noch nicht in der Regierung. Gibt es nun einen neuen Versuch? Erstmal wohl nicht: "Das Thema beziehungsweise die Forderung nach einer Begrenzung der Gewerbemieten hat es nicht in den Koalitionsvertrag geschafft", so ein Schreiben der Bundestagsfraktion.
Vermieterseite fürchtet Überregulierung
Es gibt auch Gegenargumente. Die Vermieterseite - wie der "Immobilienverband Deutschland IVD" oder der Eigentümerverband "Haus & Grund" - fürchtet eine Überregulierung des Mietmarktes und sieht das Problem zudem auf bestimmte Städte und Stadtviertel begrenzt.
So wird Kiezgewerberetter Klein weiterhin durch den Kiez radeln und die Kleingewerbebetreibenden unterstützen. So schlecht sei die Erfolgsbilanz nicht, meint er: "In 50 Prozent der Fälle sind die Mieter und Mieterinnen zufrieden mit dem was erreicht wurde, in 20 Prozent der Fälle gab es trotzdem einen Umzug, in nur 30 Prozent aber nutzte unser Engagement überhaupt nichts."