Kostendruck in Kinderkliniken Bei den Kleinsten wird gespart
Kinderkliniken sollen mehr Geld bekommen, so hat es der Bundestag im Dezember beschlossen. Doch das Grundproblem bleibt: Mit Kinderheilkunde lässt sich kein Geld verdienen.
Es ist Freitagmorgen auf der Kinderintensivstation des Klinikums Kassel. Immer wieder schallt der Alarm durch den Flur. An diesem Morgen muss der Ärztliche Direktor Thomas Fischer wieder mit wenig Personal und vielen kleinen Patienten jonglieren. Das ist hier Alltag. Viel lieber würde er sich als Arzt persönlich um die wichtigen Patienten kümmern, doch die kommen selten mit Voranmeldung ins Klinikum, sondern oft als Notfälle. Wenigstens hat sich die Viruswelle verflüchtigt.
Im Klinikum Kassel versuchen sie alles, damit jedes Kind versorgt ist. Der Chefarzt hält es für "verwerflich", Kinder und Eltern abzuweisen. "Wir behandeln erst und entscheiden dann, ob ein Kind transportfähig ist und in eine andere Klinik verlegt werden kann oder ob wir gesündere Kinder verlegen, wenn wir kein Bett oder keine Pflegekräfte haben." Das Netzwerk der Kinderkliniken untereinander funktioniert gut. Und doch ist die Versorgung nicht optimal, nicht so, wie sie sein sollte.
"Ohne Teamgeist geht es nicht"
In einem der Zimmer liegt Lea. Es stehen jede Menge medizinische Geräte um das Bett. Vor lauter Schläuchen ist das zweijährige Mädchen kaum mehr zu sehen. Sie liegt im künstlichen Koma, ihre Lunge ist schwer geschädigt. Seit zwei Monaten kämpft das Team um Ärztin Isabell Kruppas um das kleine Mädchen. Die sogenannte ECMO-Maschine übernimmt die Funktion ihrer Lunge.
Die Ärztin erzählt stolz, dass Pflegekräfte in ihrer Freizeit gekommen sind, um sich in der ECMO-Maschine einweisen zu lassen. Eine Aussage mit Symbolcharakter. "Ohne Teamgeist geht es nicht", sagt Kruppas, während sie Lea mit einem Pfleger zusammen vorsichtig zur Seite dreht.
Pflegenotstand trifft kranke Kinder besonders
Gerade sind sie zu zweit bei der Betreuung, aber in anderen Fällen reicht das eben nicht aus. Wenn die Intensivmedizinerin im OP gefordert ist, dann braucht es sechs bis sieben Personen, Ärzte und Pflegepersonal, für eine Patientin, manchmal mehr.
Aber wie soll das gehen? Nach dem Pflegeschlüssel für Kinderkliniken stehen zwei Pflegekräfte auf der Intensivstation einem schwer kranken Kind zur Seite. Wenn Pflegekraft Sophia Bürmann nach Hause kommt, ist sie froh, wenn alles gutgegangen ist. Seit vier Jahren arbeitet sie auf der Intensivstation. Für sie ist es nach wie vor ein Traumjob. Dennoch sei es "frustrierend, wenn zu wenig Zeit ist. Der Gedanke, was alles hätte schiefgehen können, ist und bleibt allgegenwärtig", sagt sie.
Extreme Notlage mit Ansage
Den Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), das Personal von den Erwachsenen-Stationen solle die Kinder mitversorgen, lehnt der Kasseler Chefarzt Fischer vehement ab: "Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, sie sind Kinder. Sie haben andere Grunderkrankungen, eine andere Medikation." Pflegekräfte für Kinder würden nicht umsonst anders ausgebildet.
Der wirtschaftliche Druck der Kinderkliniken in ganz Deutschland wird immer größer. Das liegt nicht nur an den Personalkosten, die bis zu 80 Prozent der Ausgaben ausmachen, sondern auch daran, dass die Kinderkliniken nicht kostendeckend arbeiten. Mit Kindern lässt sich kein Geld verdienen. Denn nur wer viel operiert und aufwändige Untersuchungen macht, der verdient. Wer einfach nur pflegt, geht leer aus.
Abkehr von der Fallpauschale?
"Wir halten viel medizinisches Gerät vor, und das 24 Stunden am Tag, bekommen es aber nicht bezahlt", sagt Johannes Brack, Kaufmännischer Direktor des Kasseler Klinikums. Allein in dieser Klinik entsteht so jedes Jahr ein Defizit von 4 bis 5 Millionen Euro. Den Vorstoß des Gesundheitsministers, in Zukunft genau dieses Vorhalten von medizinischem Gerät und Personal zu honorieren und nicht ausschließlich pro Fall zu zahlen, ist in der Klinik willkommen.
Gleiches gilt für die Einmalzahlung von 300 Millionen Euro, die der Gesundheitsminister den Kinderkrankenhäusern für dieses Jahr zugesagt hat. Doch die Soforthilfe muss erst einmal bei der Klinik ankommen. In Kassel würde sie sich auf etwa zweieinhalb Millionen Euro belaufen.
Frühchen retten die Bilanz der Klinik
Schaut man sich die Bilanz der Kasseler Klinik einmal genau an, wird es geradezu makaber: Auf der Frühchen-Station kümmert sich - rein statistisch gesehen - eine Pflegekraft um ein Frühchen. Winzlinge liegen hier, alle leichter als 1500 Gramm. Wer hier liegt, startet nicht optimal ins Leben, hilft aber immerhin den anderen kranken Kindern - und zwar in monetärer Hinsicht.
"Wir versorgen im Schnitt sechs Kinder im Monat auf dieser Station", erzählt der Kaufmännische Direktor Brack, "und diese geringe Fallzahl ist letztlich verantwortlich für fast 25 Prozent der Umsatzerlöse unserer gesamten Kinderklinik." Heißt konkret: 100 Frühchen finanzieren die anderen 10.000 zu behandelnden Kinder.