Ein Arbeiter baut in einem Betrieb ein Getriebe zusammen

Verlagerung von Produktion Wenn es Mittelständler ins Ausland zieht

Stand: 09.05.2023 08:13 Uhr

Überbordende Bürokratie, teure Energie - und kaum Fachkräfte: Der Standort Deutschland bereitet vielen Unternehmen Sorgen. Immer mehr mittelständische Firmen investieren daher anderswo.

Von Lisa Wurscher, br

Jeder vierte mittelständische Unternehmer denkt nach Informationen des Verbandes "Der Mittelstand BVMW" über eine Produktionsverlagerung ins Ausland nach. Die wachsende Unzufriedenheit mit dem Wirtschaftsstandort Deutschland liegt vor allem an den hohen Energiekosten, am Fachkräftemangel und einer stetig wachsenden Bürokratie.

Nach den Großkonzernen hat der alarmierende Trend nun auch kleine und mittlere Unternehmen erfasst. Die Folgen werden sich in Deutschland erst in einigen Jahren bemerkbar machen. Verbandssprecher Hans-Jürgen Völz spricht von einem schleichenden Prozess, der mittelfristig zum Verlust von Arbeitsplätzen, Wachstum und Wohlstand führen werde.

  

Standort Deutschland: Warum der Mittelstand ins Ausland geht

Lisa Wurscher, BR, Plusminus, 03.05.2023 23:15 Uhr

Kein Vertrauen in die Energieversorgung?

"Wir wachsen, wir investieren - aber nicht mehr in Deutschland", sagt Thomas Töpfer, Inhaber der Hellma Materials GmbH in Jena. Sein Betrieb züchtet synthetische Kristalle, ein optisches Material, durch das Licht ungehindert dringen kann. In der Boom-Branche Halbleiter ist es unverzichtbar. Ohne dieses Produkt können die Maschinen in den Chip-Fabriken weltweit nicht produzieren.

Die Thüringer sind in dieser Branche Weltmarktführer. Konkurrenz gibt es kaum - nur zwei Mitbewerber in Japan, aber die können dem deutschen Unternehmen nicht das Wasser reichen. Trotz Wachstums will Töpfer keinen einzigen Euro mehr in Deutschland investieren. Mit den hohen Strompreisen kann er nicht mehr rentabel wirtschaften. Außerdem hat er das Vertrauen in eine stabile Energieversorgung verloren. Schon zweimal ist in seiner Fabrik der Strom ausgefallen. Die Stromunterbrechung verursachte einen Schaden in Millionenhöhe.

Rentabel wirtschaften in Schweden

Ein staatlich subventionierter Industriestrom - der gerade in der Diskussion ist - kann Töpfer nicht überzeugen. Er ist der Meinung, dass sich die Rahmenbedingungen für energieintensive Unternehmen am Standort Deutschland substantiell verschlechtert hätten und möchte mit seinem Betrieb nicht von Subventionen abhängig sein.

Der Mittelständler baut derzeit eine neue Produktion in Schweden auf. In der Stadt Trollhättan nahe Göteborg hat er sich auf dem Gelände des insolventen Automobilherstellers Saab eingekauft und investiert dort 20 Millionen Euro. Hauptanreiz: Der schwedische Strom - ein Mix aus Wasser- und Atomkraft - fließt zuverlässig und gehört zu den günstigsten in ganz Europa. In Schweden kann der deutsche Unternehmer rentabel wirtschaften.

Seinen Betrieb in Jena mit 100 Mitarbeitern will Töpfer weiterlaufen lassen - vorerst zumindest. Eine Verlagerung der kompletten Produktion nach Schweden schließt er jedoch nicht aus.

Neuer Absatzmarkt Elektromobilität

Joachim Maier leitet aus Singen am Bodensee leitet zusammen mit seinem Bruder in der zweiten Generation das Familienunternehmen Wefa Inotec GmbH, das sogenannte Strangpress-Werkzeuge zur Herstellung von Aluminium-Profilen produziert. Diese Werkzeuge kommen in vielen Branchen zum Einsatz, am Bau beispielsweise und in der Automobilindustrie. Durch die Elektromobilität ist ein ganz neuer Absatzmarkt entstanden, denn auch für die Fertigung von Batteriekühlungsprofilen in Elektrofahrzeugen werden die Produkte von Wefa Inotec dringend gebraucht.

Die Wefa Inotec GmbH ist Weltmarktführer in ihrem Bereich und wurde zudem als "Future Champion" ausgezeichnet. Ein Unternehmen mit besonders großem Wachstumspotential und ein Musterbeispiel für "made in Germany", aber unzufrieden mit dem Heimatstandort "aufgrund der steigenden Energiekosten, dem Fachkräftemangel und natürlich der Bürokratie", so Joachim Maier. Die zusätzlichen Aufträge aus der Elektromobilität kommen vor allem aus dem asiatischen Raum.

Aufbau von Produktionskapazitäten in der Schweiz

Der Familienbetrieb braucht dringend neue Produktionskapazitäten und wird sie nicht in Deutschland, sondern in der Schweiz aufbauen. Die günstigere Energie und die niedrige Inflation gleichen die hohen Löhne der Schweizer mittlerweile aus. Vor allem für seine chinesischen Kunden ist dieser Standort attraktiv. Durch ein Freihandelsabkommen sparen sie Aus- und Einfuhrzölle, die sie innerhalb der EU bezahlen müssten - ein zusätzliches Standort-Plus.

"Die Zahlen zeigen, dass der Schritt weg aus Deutschland, der von vielen Mittelständlern gegangen wird, keine Einzelfälle sind", warnt Verbandssprecher Völz von "Der Mittelstand BVMW". Eine Umfrage des Verbandes "Die Familienunternehmer" hat sogar ans Licht gebracht, dass aktuell 69 Prozent der Inhaber von Familienbetrieben mit dem Gedanken spielen, ihre Firma zu verkaufen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die Sendung "Plusminus" im Ersten am 03. Mai 2023 um 23:15 Uhr.