Bilanz 9-Euro-Ticket Gewaltiger Zuspruch und weniger Staus
Seit einem Monat können die Menschen mit dem 9-Euro-Ticket im Nahverkehr durch ganz Deutschland fahren. Der Zuspruch ist gewaltig - 21 Millionen Sonderfahrkarten wurden verkauft. Offenbar kam es dadurch auch zu weniger Staus.
Millionen Menschen haben im ersten Gültigkeitsmonat das 9-Euro-Ticket gekauft - und damit wohl auch den Berufsverkehr auf den Straßen entlastet. Dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) zufolge wurden bundesweit rund 21 Millionen der Sonderfahrkarten verkauft.
"Zusammen mit den etwa zehn Millionen Abonnentinnen und Abonnenten, die das vergünstigte Ticket automatisch erhalten, ist damit die vorher von der Branche kalkulierte Zahl von 30 Millionen Tickets pro Monat nicht nur erreicht, sondern sogar leicht überschritten worden", teilte VDV-Präsident Ingo Wortmann mit. Die Zahlen beziehen sich auf den Juni.
Pendler verloren weniger Zeit
Auf den Straßen war im ersten Monat mit 9-Euro-Ticket derweil messbar weniger los: Eine Analyse des Verkehrsdatenspezialisten Tomtom für die Nachrichtenagentur dpa zeigt für 23 von 26 untersuchten Städten einen Rückgang des Stauniveaus im Vergleich zur Zeit vor Einführung.
Die Daten "lassen vermuten, dass dieser Rückgang in Zusammenhang mit der Einführung des 9-Euro-Tickets steht", sagte Tomtom-Verkehrsexperte Ralf-Peter Schäfer. "Pendler haben bei der Fahrt mit dem Auto in die Arbeit und nach Hause in fast allen untersuchten Städten im Juni weniger Zeit verloren als noch im Mai."
Konkret verglichen die Experten die Staus im Berufsverkehr an Werktagen in den Kalenderwochen 20 und 25. Die Zeiträume wurden so gewählt, um Auswirkungen von Ferien und Feiertagen zu umgehen.
"Positiver Effekt auf den Verkehrsfluss"
Das Ergebnis fiel demnach eindeutig aus. "In den ersten Tagen nach Einführung des 9-Euro-Tickets haben die Daten von Tomtom noch kaum Auswirkungen der Maßnahme auf den Autoverkehr gezeigt", sagte Schäfer. "Mittlerweile lässt sich jedoch in fast allen untersuchten Städten in Deutschland ein positiver Effekt auf den Verkehrsfluss feststellen."
Besonders stark fiel die Verbesserung beim Stauniveau in Hamburg und Wiesbaden aus. Dort sank das Stauniveau um 14 beziehungsweise 13 Punkte. Das bedeutet, dass Autofahrer auf einer Strecke, die ohne Verkehr 30 Minuten dauern würde, in Hamburg im Schnitt 4,2 Minuten weniger verloren, in Wiesbaden 3,9 Minuten. Leichte Verschlechterungen beobachtete TomTom lediglich in Kiel und Nürnberg. In Karlsruhe blieb das Stauniveau unverändert.
Kaufbereitschaft offenbar hoch
Unklar ist, wie das Ticket tatsächlich genutzt wird. Die Deutsche Bahn, über deren Kanäle ein Großteil der Sonderfahrkarten verkauft wird, spricht von einem Fahrgastzuwachs von 10 bis 15 Prozent im eigenen Regionalverkehr im Juni im Vergleich zum Niveau vor der Corona-Krise. Allerdings vergleicht das Unternehmen dabei unterschiedliche Zeiträume, nämlich den Juni dieses Jahres mit der Nachfrage von Ende 2019. Die Aussagekraft des Vergleichs ist somit begrenzt.
Fakt ist: Insbesondere auf den touristischen Strecken waren Busse und Bahnen voll. Umfragen des VDV zufolge sollen die Menschen auch für Juli eine ähnlich hohe Kaufbereitschaft signalisiert haben. Präsident Wortmann sagte, die Marktforschung zeige, dass die Mehrheit der Kundinnen und Kunden das 9-Euro-Ticket nicht für Ausflugs- oder Urlaubsfahrten nutze, sondern im Alltag.
"Damit tritt bei diesen Fahrgästen auch die von der Bundesregierung erhoffte Entlastungswirkung bei den alltäglichen Mobilitätskosten ein." Wortmann forderte von der Bundesregierung erneut "Finanzierungssicherheit" für die Zeit ab September, wenn das 9-Euro-Ticket ausläuft. Die Kosten der Verkehrsunternehmen "explodieren" durch die steigenden Strom- und Dieselpreise, wie er sagte.
Städtetag pocht auf zusätzliche Mittel
Auch der Deutsche Städtetag mahnte eine Nachfolgeregelung an: "Wir müssen wissen, wie es nach dem Sommer weitergeht", sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy der "Rheinischen Post". Es gehe darum, ob man "aus dem Hype eine Verkehrswende macht oder ihn verpuffen lässt".
Die Städte wollten den "Rückenwind" nutzen für Investitionen in bessere Takte und moderne Fahrzeuge, sagte Dedy. "Dafür brauchen wir aber die von der Koalition versprochenen höheren Bundesmittel für den Nahverkehr. Und die Länder müssen mitziehen." Ohne zusätzliche Mittel müssten viele Städte und Verkehrsunternehmen ab Herbst ihr ÖPNV-Angebot einschränken oder Tarife anheben, warnte Dedy.
Länder bestehen auf mehr Geld
SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Katja Mast machte gegenüber der "Rheinischen Post" allerdings deutlich, dass es ein so preiswertes Angebot wie das 9-Euro-Ticket künftig nicht mehr geben dürfte. "Dass all das nicht dauerhaft nur neun Euro kosten kann, ist aber auch klar."
Der Bund will die prognostizierten Ticket-Mindereinnahmen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro den Ländern vollständig erstatten. Die Länder fordern aber seit langem mehr Geld vom Bund. Derzeit berät eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum "Ausbau- und Modernisierungspakt ÖPNV" unter anderem auch über die Höhe der sogenannten Regionalisierungsmittel, die der Bund den Ländern für den ÖPNV gibt.