Kenia Barschleder für die Modeindustrie
Die Stadt Kisumu am Victoriasee in Kenia lebt vom Fischfang. Dabei wird nicht nur der essbare Teil verwertet: Aus der Haut entsteht ein immer beliebteres Produkt der internationalen Mode-Industrie.
Celine Adhiambo schabt die hellen Schuppen von der Fischhaut in ihrer Hand. Vor der 38-Jährigen liegt ein kleiner Haufen Fischreste auf dem Boden. Gemeinsam mit anderen Frauen nutzt sie die Abfälle der Fischproduktion in der Stadt Kisumu im Südwesten Kenias, um Geld zu verdienen. "Wir bearbeiten die Fischhäute und verkaufen sie dann an Leute, die daraus Schuhe, Gürtel und Handtaschen nähen", erklärt Adhiambo. "Ich mache diese Arbeit seit 20 Jahren, und sie hat mir sehr geholfen. Ich kann gut für meine Kinder sorgen und ihr Schulgeld bezahlen."
Fischhäute als Geschäftsgrundlage
Zuerst säubern die Frauen die Häute, entfernen die Schuppen und Reste des Fleisches. Eine Arbeit, für die es Geduld braucht. "Diese Arbeit hilft uns Frauen sehr", sagt Adhiambo. Und ergänzt: "Für Männer ist sie nichts, die schaffen es nicht, von acht Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags auf dem Boden zu sitzen. Für uns ist das kein Problem." Die abgeschabten Häute hängt sie dann zum Trocknen auf große Holzgestelle. Hunderte von ihnen wehen hier im leichten Wind. Die Frauen verkaufen sie mittlerweile nicht mehr nur an einzelne Näher.
Allein die Fischindustrie in der Stadt Kisumu erzeugt 150.000 Tonnen Fischabfall im Jahr. Die Haut wird zu Leder weiterverarbeitet.
Newton Owino machte vor zwölf Jahren die Fischhäute zur Geschäftsgrundlage einer kleinen Firma. Elf Schneider beschäftigt der 42-Jährige mittlerweile in seiner Werkstatt. Aus der Fischhaut werden Schuhe, Portemonnaies oder Taschen gefertigt. Mal aus reinem Fischleder zusammengenäht, mal kombiniert mit Stoff oder Kunstleder. Owino ging es dabei natürlich ums Geschäft, er wollte aber auch die Frauen unterstützen und der Umwelt helfen.
Die Näherinnen und Näher kombinieren die Fischhaut auch mit anderen Materialien wie Stoff oder Kunstleder.
"In der Fischindustrie dieser Stadt entstehen jährlich 150.000 Tonnen Fischabfall", sagt Firmengründer Owino. "Diese Abfälle verursachen eine Menge Umweltprobleme, unter anderem dadurch gelangen zu viele Nährstoffe in den Viktoriasee." Denn die Reste der Filetproduktion werden sonst auch einfach ins Wasser gekippt. Der Viktoriasee ist massiv bedroht, unter anderem durch die schnell wachsende Bevölkerung um den See, die Fischindustrie, das Einführen von Abwasser und das Wachstum der nicht heimischen Wasserhyazinthe. Der größte See Afrikas ist die Lebensgrundlage der Region.
Mittlerweile verarbeitet Newton Owinos Firma bis zu 15 Tonnen Fischhäute in der Woche und exportiert die fertigen Produkte nach eigenen Angaben nach Kanada, Äthiopien, Südafrika und in die Vereinigten Staaten. Leder aus Fischhaut wird in der internationalen Mode-Industrie immer beliebter. Denn immer mehr Menschen suchen nach Alternativen zu herkömmlichen Leder, das aus der Haut von Säugetieren hergestellt wird.
"Ein Stützpfeiler der kenianischen Wirtschaft"
Owino bezieht die Fischhäute von rund 80 Verkäuferinnen. Solche kleinen Herstellungsbetriebe habe Kenia noch immer zu wenige, sagt Ken Gichinga, Chef-Ökonom der Wirtschaftsberatung Mentoria Economics in Nairobi, doch ihre Bedeutung sei jetzt schon groß. "Sie sind ein Stützpfeiler der kenianischen Wirtschaft", so Gichinga. "Denn sie verbinden den informellen mit dem regulären Arbeitsmarkt. Sie bringen Geld in Umlauf, das sich dann weit verbreitet und so viele Menschen erreicht und Existenzen unterstützt."
Der informelle Sektor in Kenia ist riesig, rund 14,5 Millionen Kenianer waren nach Angaben des Kenianischen Büros für Statistik im Jahr 2020 dort tätig, fast das Doppelte der Beschäftigen am regulären Arbeitsmarkt. Die Menschen arbeiten beispielsweise als Tagelöhner, in der Landwirtschaft oder bieten Serviceleistungen an. Die Corona-Pandemie dürfte das noch einmal verstärkt haben. "Das Geld ist sonst in den großen Städten konzentriert", erklärt der Analyst. "Doch solche Betriebe dehnen den Geldfluss aus. Weiter zirkulierendes Geld führt zu nachhaltigerem Wachstum für mehr Menschen." Und es mache den Markt inklusiver und diverser.
Lederschuhe - mal anders: aus Fischhaut anstelle aus dem Leder von Säugetieren.
Vier bis sechs Dollar kosten die meisten Produkte, die George Owinos Betrieb herstellt. Erst wird die Fischhaut eingeweicht, dann Bananenextrakt gegen den Geruch hinzugefügt. Außerdem wird Salz dazugegeben. Acht Stunden weicht die Haut ein, dann wird sie getrocknet - und kann gefärbt und verarbeitet werden. Schneider Leonard Okumu sitzt in der Werkstatt an einer der alten schwarzen Nähmaschinen und vernäht ein grünes Stück Fischleder. Dann nimmt er eine der fertigen bunten Taschen vom Haken an der Wand. "Diese hier ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir Fischabfall und Stoff kombinieren", sagt er. "Und auf diese Weise etwas Einzigartiges schaffen."