Berufswahl Warum junge Menschen in die Pflege gehen
Pflegekräfte arbeiten hart und werden zu schlecht bezahlt, heißt es. Trotzdem zählte die Branche 2021 mehr Auszubildende als im Vorjahr. Welche Motive haben Berufsanfänger - und welche Erfahrungen machen sie?
Alexa Schumann dachte, dass sie weiß, was auf sie zukommt, als sie sich für eine Ausbildung in der Pflege entschied. Die heute 25-Jährige war bereits voll berufstätig, arbeitete im Hotelmanagement auf einer Ferieninsel, als 2020 die Pandemie die Branche lahmlegte. Sie suchte eine Alternative und entschloss sich umzusatteln: auf den Beruf der Krankenschwester. "Ich habe mich bewusst für einen systemrelevanten Beruf entschieden. Und weil ich immer wieder vom Pflegenotstand gehört habe, dachte ich: Da werden Leute gesucht."
Mehrere Familienmitglieder arbeiteten in der Pflege, Schumann habe eine grobe Vorstellung davon gehabt, was sie erwarte, sagt sie. "Mir war klar, dass es ein physisch und psychisch anstrengender Beruf ist, mit flexiblen Arbeitszeiten. Aber wie die Realität aussieht, das hätte ich mir nicht erträumen können."
Ein verklärtes Bild vom Berufsalltag
Auch für Lena Wahlen aus Köln war der Beruf der Krankenschwester eigentlich die zweite Wahl. Weil ihr Abitur-Durchschnitt für Grundschullehramt nicht ausreichte, entschloss sie sich 2013, eine Ausbildung in der Krankenpflege zu machen. "Ich wollte was im sozialen Bereich machen, etwas, das eine Bereicherung für die Gesellschaft darstellt", sagt die heute 28-Jährige. Allerdings sei ihr Bild vom Berufsalltag ein völlig Verklärtes gewesen.
"Bereits nach wenigen Monaten habe ich meine Mutter angerufen und ihr gesagt, dass ich kurz davor bin abzubrechen." Damals sei auf ihrer Station ein Patient gestorben, den sie daraufhin gemeinsam mit einer Kollegin versorgt und gewaschen habe. "Wir haben da praktisch einem Menschen die letzte Ehre erwiesen. Und was mich so geschockt hatte war, dass wir das regelrecht dazwischenquetschen mussten und uns gerade mal zehn Minuten Zeit nehmen konnten."
"Wir steuern in eine Katastrophe"
Edith Kühnle kennt viele solche Geschichten. Sie leitet den Bonner Verein für Pflege- und Gesundheitsberufe, der unter anderem Träger einer Pflegeschule ist. Besonders herausfordernd für die Auszubildenden seien die Rahmenbedingungen in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. "Es gibt zu wenig Personal. Das hat zur Folge, dass Schülerinnen und Schüler häufig nicht die Praxisanleitung bekommen, die sie brauchen", sagt Kühnle. Viele Auszubildende seien frustriert, weil sie im Alltag nicht so pflegen könnten, wie sie es gelernt haben. "Die sagen mir: Wir haben uns bewusst für diesen Beruf entschieden, aber …"
Sie fordert von der Politik einen "Dreifachwumms" für die Pflege: ein Sonder-Investitionsprogramm, das Einrichtungen ermöglicht, Menschen gut auszubilden und später auch als Fachkräfte zu halten. Ideen gebe es viele: 4000 Euro als Einstiegsgehalt, Steuerentlastungen für Pflegekräfte oder eine Vollzeitwoche, die nur 35 Stunden hat, um zu entlasten. "Aus meiner Sicht steuern wir in eine Katastrophe hinein", sagt Kühnle. "Ich weiß nicht, wer uns in 20 Jahren noch pflegen soll."
Viele brechen ab
2021 haben 61.458 Menschen eine Ausbildung zur Pflegekraft begonnen, zeigen Daten des Statistischen Bundesamtes. Das waren sieben Prozent mehr als im Jahr 2020. Auf der Internetseite des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend werden die Daten so interpretiert: "Die Zahlen zeigen, dass die neuen Pflegeausbildungen nach dem Pflegeberufegesetz attraktiv sind und die Maßnahmen der Ausbildungsoffensive Pflege wirken."
Allerdings beendet längst nicht jeder die Ausbildung. Andere steigen später wieder aus dem Job aus. Die Auszubildende Schumann hat 2020 angefangen und berichtet, dass die Hälfte ihrer Klasse bereits abgebrochen habe. Pflegerin Wahlen sagt, in ihrer Klasse seien viele Abiturienten gewesen, die mit der Ausbildung ihren Numerus Clausus für ein Medizinstudium aufbesserten und gar nicht langfristig in der Pflege bleiben wollten.
Kampf für bessere Arbeitsbedingungen
Schumann und Wahlen machen trotz allem weiter. Jede hat ihren eigenen Weg gefunden, mit dem System umzugehen. Schumann ist gewerkschaftlich aktiv, beteiligte sich an einem Streik an den Unikliniken in Nordrhein-Westfalen für mehr Entlastung. "Ich bin eine Kämpfernatur und möchte durch Arbeitskämpfe, durch politische Aufmerksamkeit das Gesundheitssystem ändern. Deshalb breche ich nicht ab und ziehe das Ganze durch."
Wahlen ist vom Schichtdienst auf der Station in den sogenannten Funktionsdienst gewechselt. Sie habe nach ein paar Jahren im Job gemerkt, dass ihre Gesundheit und ihr Sozialleben leiden. Gerne, sagt Wahlen, hätte sie Stunden reduziert. Das sei bei einem Netto-Einkommen von 1800 Euro im Monat in den ersten zwei Berufsjahren finanziell aber nicht möglich gewesen. Sie wünscht sich eine Akademisierung des Pflegeberufs, die Möglichkeit, sich auch als Krankenschwester zu spezialisieren, um mehr Verantwortung übernehmen und mehr verdienen zu können.
"Es ist ein toller Beruf, fachlich interessant, und auch menschlich wächst man über sich hinaus." Das, sagt Wahlen, sei der einzige Grund, warum sie nie aufgehört habe.