Rüstungskonzern Rheinmetall "Nicht mehr nur die Buhmänner"
Vorbei sind die Zeiten, als Rüstungsgegner vor den Werkshallen demonstrierten: Mit dem Krieg in der Ukraine hat sich auch das Image von Rheinmetall komplett gewandelt. Einblicke in einen Konzern in der Zeitenwende.
Auf den ersten Blick mutet der Anblick an wie ein olivgrüner Jahrmarktstand. Ein Panzer-Oberteil, aus dem ein Kopf ragt, dreht sich karussellgleich samt Kanonenrohr mal links-, mal rechtsherum, als gelte es, das Durchhaltevermögen des Insassen zu testen.
In Wahrheit überprüft der Mann instandgesetzte Waffentürme von "Leopard"-Kampfpanzern, bevor sie auf den Weg vom Rheinmetall-Werk im niedersächsischen Unterlüß zur Endmontage und schließlich in die Ukraine gehen.
Im Rheinmetall-Werk in Unterlüß: Hier werden "Leopard"-Panzer für die Ukraine instandgesetzt.
Ob er die Nachrichten vom Krieg verfolge? "Man macht sich schon mehr Gedanken als früher", bestätigt er, "als es noch hieß: 'Ihr macht da halt euer Ding für die Bundeswehr' und so. Jetzt ist das, was wir hier machen, vielleicht doch ein bisschen wichtiger geworden."
Im "Herzstück" des Unternehmens
Sein Vorgesetzter Marius Meyering, verantwortlich für "taktische Fahrzeuge", nennt die "Leopard"-Halle das "Herzstück" des Unternehmens. Selbst wenn die Nachrichten irgendwann auch zerschossene "Leos" zeigen sollten, sorge ihn das nicht.
"Die Frage ist ja dann, ob der Panzer fünf russische T72 abgeschossen hat, bevor ihn der sechste kriegte", sagt er abgeklärt. "Und meine Überzeugung ist, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit der Besatzung in westlichen Panzern wesentlich höher ist."
Noch nie hat ein Fernsehteam derart nahe Einblicke in Deutschlands wichtigste Waffenschmiede erhalten wie das der ARD - vom Standort Unterlüß samt Panzer-Schießplatz bis zur Vorstandsetage in Düsseldorf, von wo aus Konzernchef Armin Papperger das Unternehmen zuletzt bis hinauf in die deutsch DAX-Elite führte. "Die Mitarbeiter waren immer überzeugt davon, dass sie das Richtige tun", sagt Papperger, als er Anfang März dieses Jahres, am Morgen seines größten Erfolges, auf dem Weg zur Frankfurter Börse ist. "Es ist schön, dass man auch mal so gesehen wird."
Konzern will "jetzt Deutschland dienen"
Tatsächlich erinnert sich die Belegschaft noch gut an all die Jahre, als an den Werkstoren noch Rüstungsgegner demonstrierten und Aktivisten schon mal die Bühne der jährlichen Aktionärsversammlung stürmten. "Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt", skandierten sie dann, bis sie die Polizei hinausschleppte.
Der Erste, der die Berliner Zeitenwende hörbar nach Unterlüß brachte, war Verteidigungsminister Boris Pistorius, als er vergangenen Februar neben Papperger am Werkseingang in die Kameras sagte: "Ich habe keine Berührungsängste mit der Rüstungsindustrie, wir sind Partner." Er sagte das, ohne dass ihn jemand danach gefragt hatte, hielt es also selbst für bemerkenswert. Papperger legte dann gleich noch Pathos nach. Auch Rheinmetall, versprach er, müsse "jetzt Deutschland dienen."
Ist die Zeitenwende inzwischen in der Belegschaft angekommen? "Es ist nach außen hin was passiert", bestätigt Vorarbeiter Marco Cordes. "Man fühlt sich nicht mehr außen vor, wie der, der halt in der Rüstung arbeitet. Man wird nun im Bekanntenkreis auch mal interessiert gefragt: Na, was gibt's denn Neues bei Rheinmetall?"
Neue Fertigungsstraße für "Gepard"-Munition
In einer der örtlichen Werkshallen wird seit kurzem neue Munition für den "Gepard"-Panzer gefertigt, die Rheinmetall eigens neu entwickeln musste, da der "Gepard" als Altpanzer längst abgeschrieben schien.
Heute leistet er der Ukraine wertvolle Dienste in der Luftabwehr. Binnen weniger Monate errichtete der Konzern die neue Fertigungsstraße. Am großflächigen Schießplatz testen Schützen die Patronen sogar unter Extremkälte. Dafür wird eine Stichprobe eigens auf minus 46 Grad tiefgefroren und dann verschossen. Im Kontrollraum zeichnen Computer derweil Daten auf, von der Austrittsgeschwindigkeit der Geschosse bis zur Länge der Leuchtspur.
Rheinmetall-Chef Armin Papperger (Mitte) mit Ungarns Verteidigungsminister Kristóf Szalay-Bobrovniczky
Auf demselben Schießplatz erscheint Papperger mitunter auch mit seinen sogenannten "A-Kunden". Das sind jene, die für ihn besonders wichtig sind. Im April empfing er Kristóf Szalay-Bobrovniczky, den Verteidigungsminister Ungarns, das vermutlich als ersten Land Rheinmetalls neuen Kampfpanzer vom Typ "Panther" anschaffen wird.
Geschosse mit besonderer Wucht
Der Kunde steigt hier selbst in Fahrzeuge und löst Schüsse aus, lässt sich Drohnen und High-Tech-Equipment für Soldaten vorführen. Papperger erklärt jenen Kunden auch die neue "Munitionsfamilie", die Rheinmetall entwickelt hat. Deren Geschosse enthalten, von einem Feststoff-Antrieb umgeben, einen Pfeil aus Schwermetall, der am Ende allein auf sein Ziel trifft, als rein kinetische Wuchtwaffe.
"Wenn Sie damit auf ein Haus schießen, passiert gar nicht viel", erläutert Werksleiter Harald Weismüller. "Das macht ein Loch und auf der anderen Seite auch wieder ein Loch." Treffe der Pfeil jedoch auf Panzer, sei das anders. "Letztendlich wird da beim Aufschlag immense Energie frei. Der Pfeil frisst sich dann durch das Material, und wir haben im Fahrzeug Splitterwirkung, Hitzewirkung, kurzum alles, was man sich nur vorstellen kann."
"Man fühlt sich mehr wertgeschätzt"
Weismüller erklärt das in der gleichen netten Sachlichkeit, in der er wohl auch im Baumarkt die Funktionsweise von Spezialdübeln erklären würde. Ganz anders als sein Kollege Meyering mit seinem Ex-Soldaten-Klarsprech. Und doch arbeiten beide mit erkennbarer Leidenschaft die neuen Anforderungen ab - wenn Bahntransporte Richtung Kiew anstehen auch im Schichtbetrieb.
Und beide freuen sich wie ihre Teams über die neue Anerkennung. "Bei aller Tragik des Ukraine-Kriegs fühlt man sich von der Gesellschaft jetzt mehr wertgeschätzt", bilanziert es Weismüller. "Man geht nicht mehr nur als die Buhmänner durch die Presse, sondern wird auch mal neutraler behandelt."
Den ehrlichsten Einblick ins Innenleben eines Waffenbauers lässt am Ende Meyering zu, als er vor laufender Kamera in die offene Luke eines Marderpanzers blickt, den seine Leute gerade fronttauglich machen. In Afghanistan verbrachte er selbst viel Zeit im Panzer. "Ganz ehrlich", gesteht er, "das macht wirklich Freude. Das hört sich jetzt dumm an, ich weiß, weil es um Krieg geht. Aber erst einmal ist es wie Baggerfahren oder so." Man habe ein großes Kettenfahrzeug, mit dem man einfach über alles hinwegbrettern könne. "Der Ernst der Geschichte fängt erst an, wenn Sie dann wirklich ins Gefecht eintreten."
Klaus Scherers ARD Story "Inside Rheinmetall: Zwischen Krieg und Frieden" sendet Das Erste am Dienstag, 24.10.2023, um 22:50 Uhr. Bereits zu sehen ist der Film in der ARD Mediathek.