Innovationsagenda des Verbands Startups wollen endlich durchstarten
Der Bundesverband der Startup-Unternehmen legt heute eine Innovationsagenda vor. Enthalten ist ein Forderungskatalog an die Bundesregierung. Fachleute warnen: Deutschland verspiele sein großes Potenzial bei neuen Technologien.
Nur ein paar Schritte vom historischen Dom zu Speyer hat die Software-Firma CibusCell ihren Firmensitz. In dem Altbau arbeitet ein Programmierer-Team an Zukunftstechnik. Konkret geht es um einen möglichst kostengünstigen Einsatz von grünem Wasserstoff. "Wir wollen nicht nur ein Produkt entwickeln und verkaufen, sondern auch etwas gegen den Klimawandel tun. Das gibt unserer Tätigkeit einen besonderen Sinn", erklärt Marcus Rübsam. "Unsere Mission: Grüner Wasserstoff soll gegenüber Gas und Kohle wettbewerbsfähig werden."
Rübsam ist Gründer und Geschäftsführer von CibusCell. Vor drei Jahren begann das Startup mit drei Gründern, heute arbeiten bereits 13 Spezialisten in Speyer. "Mit unserer Software wollen wir komplette Industrien dekarbonisieren." Eine spezielle Steuerungs-Software kalkuliere unterschiedliche aktuelle Daten wie Wetter, Strompreise und die Kapazität von Wasserstoffanlagen. "So wird der Produktionsprozess überwacht, transparent und wirtschaftlich optimiert", erklärt Gründer Rübsam die Geschäftsidee. Kunden bräuchten dafür keine eigene keine IT-Abteilung, alles laufe in einer Cloud.
"Behördliche Verfahren kompliziert"
"Wir haben mit einem Startkapital von gut 100.000 Euro aus eigenen Mitteln losgelegt", erzählt der 54 Jahre alte Gründer. "Bei der Finanzierung müssen Firmengründer mehrgleisig fahren." Es gebe zwar viele und gute Fördermöglichkeiten. "Aber die behördlichen Verfahren sind kompliziert und dauern leider lange."
Die drei Gründer hätten sich zum Start quasi Vollzeit um die unterschiedlichen Anträge kümmern müssen: "Es war nicht einfach zu verstehen, welche Behörde was zu welchem Zeitpunkt haben wollte", erinnert sich Rübsam. "Es dauert mindestens zwölf Monate, bis die Gelder auch kommen. In unserer schnelllebigen Branche ist das schwierig." Teils sei die Anfangsidee schon überholt gewesen, als die Zuschüsse dann endlich da waren.
Die Fördermöglichkeiten seien gut, der Weg zur Förderung aber beschwerlich, sagt Marcus Rübsam.
Dennoch betont Rübsam, dass die Förderkulisse speziell vom Land Rheinland-Pfalz und auch vom Bund gut sei. Aber: Im US-amerikanischen Software-Mekka Silicon Valley sei der Zugang zu Geldern dagegen viel schneller, erzählt Rübsam von seinen Reisen. Private Investoren stünden Schlange bei interessanten Startups.
Dort herrsche gesellschaftlich eine ganz andere Wagniskultur, Scheitern sei eine Auszeichnung, die zum späteren Erfolg einer Geschäftsidee dazugehöre, schwärmt Rübsam. "Wir haben hier in Deutschland eine ganz andere Kultur. Das setzt sich dann bei Behörden, Banken und privaten Geldgebern weiter fort."
Der Staat gebe etwa auch zu viel öffentliche Gelder an das Max-Planck- oder das Fraunhofer-Institut: "Da gehen viele Millionen rein und was kommt an Produkten raus? Ich finde die Ergebnisse bescheiden. Ich wünsche mir mehr Vertrauen in private Startups", fordert Rübsam. Deutschland habe derzeit die meisten Patente rund um das Thema Wasserstoff, aber profitiere davon kaum. "Wir müssen verstärkt von der Idee zum Produkt kommen und endlich Profit aus unserem Knowhow ziehen. Da bleiben sehr viele Potentiale in Deutschland liegen."
Verband mit Innovationsagenda 2030
Die Chefin des Startup-Bundesverbandes Verena Pausder stellt mehrere Grundsatzfragen: "Wir sollten unseren Blick weiten und fragen: Wo wollen wir hin mit diesem Land? Wir haben doch alle Zutaten für die Zukunft." Ihr Verband legt heute in Berlin eine Innovationsagenda 2030 vor. Darin heißt es: "Deutschland kann bei den neusten Innovationen mitmischen. Wir haben Weltklasseforschung auf Augenhöhe mit den USA. Aber wie viel kommt darin in Praxis und in Produkten an?"
Die Fragen in Berlin gleichen denen in Speyer. Verena Pausder will mit der Agenda die Antworten liefern: "Es fehlt häufig am Kapital. Aber es gibt so viel Geld bei Versicherern und Pensionsfonds. Sie investieren jährlich etwa 300 Milliarden Euro in Pensionsfonds und Immobilien. Ein kleiner Teil davon sollte künftig hierzulande an Startups gehen", wirbt die Verbandschefin.
Derzeit gebe es in Deutschland ein Finanzierungslücke von 30 Milliarden Euro jedes Jahr. Als positives Beispiel nennt Pausder in diesem Zusammenhang Frankreich. Präsident Macron habe dort vor Jahren das Thema Startups zur Chefsache gemacht. "Frankreich ist es mit dem 'Plan Tibi' gelungen, die Kapitalsammelstellen für die Investition in Venture Capital Fonds zu mobilisieren - dadurch sind sechs Milliarden für Startups und Innovation bereitgestellt worden", sagt Pausder.
Zudem gebe es in Deutschland auch viele strukturelle Hemmnisse: So könnten Startups oftmals nicht an öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen. Sie seien dann gezwungen, gleich in die USA zu gehen, und damit gehe dann auch die Wertschöpfung, erklärt Pausder. Sie nennt dafür ein aktuelles Beispiel: Das Münchner Startup Marvel Fusion entwickele derzeit ein klimaneutrales Kernfusion-Kraftwerk und baue sein neue Forschungsanlage nun in den USA.
Weiteres Ziel der Agenda 2030 ist die Anwerbung internationaler Talente. Dazu solle die Einkommenssteuer für ausländische Fachkräfte für eine gewisse Zeit abgesenkt werden - im europäischen Ausland sei das seit vielen Jahren gängige Praxis, erklärt Pausder.
Zudem fordert die Agenda endlich die Visa-Verfahren zu vereinheitlichen und zu digitalisieren, um den Zuzug von Experten deutlich zu beschleunigen. Und: Der Staat solle künftig bei der öffentlichen Auftragsvergabe umdenken. "Fünf Prozent der öffentlichen Aufträge sollten bis zum Ende des Jahrzehnts an Startups vergeben werden", wünscht sich Pausder. "Das ist Innovationspolitik zum Nulltarif."
Schlechte Noten für Bundesregierung
Auch unter den Gründern hat der Ruf der Bundesregierung in diesem Jahr Schaden genommen: Als Schulnote gab es im Schnitt eine glatte 4 nach einer mäßigen 3,7 im Vorjahr, so das Ergebnis einer Umfrage des Digitalverbandes Bitkom. Jedes zehnte Startup bewertete die Politik der Ampel sogar "ungenügend".
"Die Ampel muss mehr Tempo bei der Umsetzung ihrer Startup-Versprechen aus dem Koalitionsvertrag machen", fordert Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst. Besonders wichtig sei der Abbau von Bürokratie. Auch ein vereinfachter Zugang für Startups zu öffentlichen Aufträgen halten über die Hälfte für ein wichtiges Instrument.
Aber es gibt auch Lichtblicke: Die Risikokapitalinvestitionen wuchsen im ersten Halbjahr 2024 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um zwölf Prozent auf gut 3,4 Milliarden Euro. In den Vorjahren waren sie noch deutlich gesunken, so die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young.
Strategieberater Thomas Prüver aber warnt: "Trotz der positiven Entwicklung bei der Finanzierungssumme: Von einem generellen Aufatmen in der deutschen Startup-Szene kann noch keine Rede sein. "Sorgen macht Prüver, dass die Zahl der kleinen Abschlüsse mit unter zehn Millionen Euro sehr stark eingebrochen ist: "Es ist durchaus alarmierend, dass für ganz junge Startups offenbar immer schwieriger wird, an frisches Geld zu kommen."