Nach Wirecard und Credit Suisse Was Wirtschaftsprüfer leisten - und was nicht
Gerät ein Konzern ins Straucheln, stellt sich schnell die Frage, ob es nicht Warnzeichen gab. Der Blick richtet sich dann auch auf die Wirtschaftsprüfer. Aber was können und sollen diese überhaupt leisten?
"Es ist bitter", sagt Edgar Löw, "auch Profis lesen erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist". Löw bildet an der Frankfurt School of Finance Wirtschaftsprüfer aus. Wenn schon Finanzprofis Jahresabschlüsse von Unternehmen und die Prüfvermerke von Wirtschaftsprüfern - also Testate - nicht lesen, was ist dann von Privatanlegerinnen und Privatanlegern zu erwarten?
Nach nahezu jeder Pleite eines größeren Unternehmens werden die Wirtschaftsprüfer unter die Lupe genommen. Mitunter zu Recht, oft zu Unrecht. Wirtschaftsprüfer bestätigen nur, dass Jahresabschlüsse regelgerecht geschrieben wurden und dass sie die Lage des Unternehmens richtig darstellen. "Wir schaffen Vertrauen in die Qualität der Rechnungslegung", sagt der Vorstandssprecher des Instituts der Wirtschaftsprüfer IDW, Klaus-Peter Naumann. "Die Leute müssen es nur lesen."
Auch marode Unternehmen kommen durch
"Die Öffentlichkeit vermutet, dass bei einem uneingeschränkten Testat das Unternehmen gesund ist", sagt Löw. "Das ist nicht unbedingt der Fall". Beispiel Großbank Credit Suisse: Sie war Mitte März schon in Bedrängnis, als die Wirtschaftsprüfer ihr uneingeschränktes Testat abstempelten.
Anders als im Vorjahr, finden sich dort gewundene Hinweise auf die Verantwortung des Managements. Die Credit-Suisse-Chefs schrieben im Begleitbrief gleich zweimal von nötiger Verbesserung des Risikomanagements. Wer daraufhin den Risikobericht las, dem war klar, dass das Haus in hellen Flammen stand.
Tage später war Credit Suisse am Ende. Der Fall macht deutlich: Wirtschaftsprüfer sind vorsichtige Menschen, die vom geprüften Unternehmen bezahlt werden und von ihm auch in Haftung genommen werden können.
Zu große Nähe zwischen Prüfern und Geprüften
Dass die Nähe zwischen Prüfern und Unternehmen zu eng sein kann, zeigt der Betrugsfall Wirecard, dessen Management derzeit in München vor Gericht steht, soweit es nicht flüchtig ist. Wirecard wurde jahrelang von Ernst & Young geprüft, das sich nun "EY" nennt.
Die deutsche Aufsichtsbehörde APAS hat vergangene Woche über die Arbeit von EY ein vernichtendes Urteil gefällt. Der Bescheid ist noch nicht rechtskräftig. Fünf EY-Prüfer sollen zwischen 23.000 und 300.000 Euro Buße zahlen. Nach Informationen des "Handelsblatts" soll der frühere Deutschlandchef von EY am meisten bluten. Ursprünglich wurde gegen zwölf EY-Prüfer ermittelt. Sieben entzogen sich dem Zugriff der Aufsichtsbehörde, indem sie ihre Wirtschaftsprüfer-Lizenzen zurückgaben.
"Mängel in der Organisation von EY"
"Offensichtlich deuten die Sanktionen auf Mängel in der Organisation von EY hin", sagt IDW-Vorstandssprecher Naumann. Denn auch das Unternehmen soll gestraft werden. Es wurde zur rechtlich höchstmöglichen Buße von 500.000 Euro verdonnert. Vor allem darf EY zwei Jahre lang keine neuen Prüfungsaufträge börsennotierter Unternehmen annehmen. Alte Mandate darf EY fortführen.
Naumann vom IDW nennt die Strafen "exorbitant hoch". Wie zur allgemeinen Warnung wurde das Urteil veröffentlicht, bevor der amtliche Bescheid bei EY angekommen ist. Erstmals hat die APAS derartig zugeschlagen. Die Ansprüche sind gestiegen. "Früher wurde möglicherweise auch eher mal ein Auge zugedrückt, man hat schneller den von Mandanten gewünschten uneingeschränkten Bestätigungsvermerk ausgestellt", sagt Dirk Driesch von der französischen Wirtschaftsprüfung Mazars, "Heute scheinen viele Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfer sorgfältiger abzuwägen, ob tatsächlich ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk erteilt werden kann."
Der Markt der Wirtschaftsprüfer
Mazars möchte in Deutschland expandieren; derzeit schreibt es 200 Millionen Euro Jahresumsatz. Die Unternehmensberatung Lünendonk erarbeitet seit Jahren eine Rangliste. Oben spielen nur vier Unternehmen mit, zu denen EY gehört. Sie nehmen mehr als anderthalb Milliarden pro Jahr ein. Die nächstgrößeren Prüfungsgesellschaften erzielen nur bis 300 Millionen Euro. Um internationale Konzerne prüfen zu können, fehlt es ihnen oft an Personal, Spezialkenntnissen und Auslandsbüros. Vielen Unternehmen bleibt nichts anderes übrig, als sich von einer der Branchengrößen prüfen zu lassen.
EY veröffentlicht gerne Werbung und Branchenstudien, zuletzt zur Fehlerkultur deutscher Unternehmen. Zum Urteil der Aufsichtsbehörde heißt es auf Nachfrage: "Wir haben wichtige Lehren aus dem Fall gezogen". Zudem: "Wichtig ist: EY Deutschland ist heute ein anderes Unternehmen". Tatsächlich ist es nach wie vor die "Ernst & Young GmbH".
Kaum Lehren aus Wirecard-Skandal?
Im letzten verfügbaren Jahresabschluss 2020/21 wurden die Wirecard-Risiken breit dargestellt. Die jetzige Sanktion der Aufsichtsbehörde wurde als "wahrscheinlich" eingestuft. Durch die Wirecard-Diskussion gebe es insgesamt keine signifikant verminderte Erfolgsquote bei Auftragsvergaben. "Der Umfang bisher eingetretener Mandatsverluste hat keinen signifikanten Einfluss auf unsere wirtschaftliche Situation" heißt es.
Wirtschaftsprüfer-Ausbilder Löw findet nicht nachvollziehbar, dass die Aufsichtsbehörde EY die Fortführung aller Aufträge bei börsennotierten Unternehmen erlaubt und nur neue Prüfaufträge verbieten will: "Wenn die APAS Zweifel an EY hat, dann kann es keine Unterscheidung zwischen alten und neuen Mandaten geben."