Regionalbahnen

Erwartungen an den ÖPNV Auf Zuverlässigkeit und Taktdichte kommt es an

Stand: 04.09.2023 05:32 Uhr

Trotz Deutschlandticket - Verspätungen, ausgefallene Züge und schlechte Verbindungen halten viele Menschen davon ab, stärker auf Busse und Bahnen umzusteigen. Das zeigt die ARD-Mitmachaktion #besserBahnfahren.

Von Andrea Wieland, Werner Eckert und Thomas Reutter, SWR

Wo kein Zug fährt, kann auch niemand mitfahren - Fahrtzeit, Wartezeit, Pünktlichkeit und Taktdichte sind für Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV) in Deutschland die entscheidenden Faktoren. Das geht aus der ARD-Mitmachaktion #besserBahnfahren hervor. Dabei sind rund 5.000 Erfahrungsberichte von ÖPNV-Nutzern eingegangen.

Ein typisches Statement: "Es gibt oftmals nur wenige oder keine Verbindungen, die Wartezeiten sind dementsprechend lang, was auch für die Fahrtzeiten gilt, die im Vergleich zum Auto ein Vielfaches länger sind." Daraus ziehen viele die Konsequenz: "Das Deutschlandticket werde ich mir nicht kaufen." Drei von vier Teilnehmenden haben sich kritisch zum Nahverkehr geäußert. Seit der Einführung des Deutschlandtickets am 1. Mai ruft die ARD dazu auf, Erfahrungen im ÖPNV mit ihr zu teilen.


Kosten sind weniger entscheidend

Eine wissenschaftliche Analyse der ARD-Mitmachaktion zeigt jetzt: Die meisten Deutschen werden nur dann vom Auto auf Busse und Bahnen umsteigen, wenn sich das ÖPNV-Angebot stark verbessert. Das Baden-Württemberg Institut für nachhaltige Mobilität hat die Publikumsaktion ausgewertet.

Der Analyse zufolge ist Zuverlässigkeit das ausschlaggebende Kriterium der Deutschen bei der Wahl ihres Verkehrsmittels. In der Reihenfolge der danach wichtigsten Faktoren landen Taktdichte auf Platz 2 und die Fahrzeit und Wartezeit auf Platz 3 und 4 - noch vor den Fahrpreisen.

Vor Einführung des Deutschlandtickets hätten die Kosten noch weitaus mehr Gewicht gehabt bei der Frage Auto oder ÖPNV, sagt Jochen Eckart, Professor für Verkehrsökologie an der Hochschule Karlsruhe, der das Auswertungsteam leitet.

Lukas Iffländer, Fahrgastverband Pro Bahn, zu den Gründen des schlechten Rufs der Deutschen Bahn

tagesschau24, 04.09.2023 10:00 Uhr

Bleibt das Auto häufiger stehen?

Fakt ist aber, dass es gerade bei der Zuverlässigkeit der Bahn hapert. Zu Jahresbeginn waren 27 Prozent der Fernzüge deutlich verspätet, im Juli 36 Prozent. Und auch jeder zehnte Nahverkehrszug hat mehr als fünf Minuten Verspätung. Dabei fließen komplett ausgefallene Züge oder solche, die ihre Fahrt vorzeitig beenden, genau so wenig in die Statistik ein wie ausgelassene Haltestellen.

Das Deutschlandticket führt offensichtlich dazu, dass Autos seltener genutzt werden. Das zeigt eine repräsentative Meinungsumfrage von Infratest Dimap im Auftrag des SWR. Der zufolge geben 23 Prozent der Besitzerinnen und Besitzer eines Deutschlandtickets an, seltener mit dem Auto zu fahren, seit sie das Ticket haben. "Das ist aus meiner Sicht ein überraschend deutlicher Beitrag zur erforderlichen Mobilitätswende", sagt der Verkehrsexperte Eckart.

Sprit-Absatz an den Tankstellen gestiegen

Laut der ARD-Mitmachaktion steigen zehn Prozent der Menschen, die ein Deutschlandticket besitzen, wenigstens teilweise vom Auto auf den ÖPNV um. Würden tatsächlich zehn Prozent der Nutzer des Deutschlandtickets komplett vom Auto auf den ÖPNV umsteigen, wäre das ein spürbarer Beitrag zum Klimaschutz. Eckart berechnet den Einspar-Effekt dann auf circa 1,6 Millionen Tonnen pro Jahr. Das ist gut ein Prozent der Treibhausgas-Emissionen des Verkehrssektors. Bei einem Teil-Umstieg sind es entsprechend weniger.

Allerdings ist bislang nicht erkennbar, dass es im Verkehr zu weniger Emissionen kommt. Im Gegenteil: Der Absatz von Benzin und Diesel ist im Mai - dem Monat der Einführung Deutschlandtickets - nicht zurückgegangen, sondern gegenüber dem Vorjahresmonat sogar deutlich angestiegen.

Vielen bringt das Deutschlandticket offenbar nichts

In der Erhebung von Infratest Dimap gaben 42 Prozent der bundesweit Befragten (mehr als 2.700 Personen) an, dass die Nutzung des Deutschlandtickets für sie nicht in Frage kommt. 40 Prozent können sich den Kauf vorstellen, 16 Prozent haben bereits ein Deutschlandticket.

Die meisten Käufer des Deutschlandtickets (72 Prozent) haben auch zuvor schon mindestens einmal pro Woche den ÖPNV genutzt. Abonniert wird das Deutschlandticket der Umfrage zufolge hauptsächlich von ÖPNV-Vielfahrern, Menschen unter 35 Jahren, die in Ballungsräumen wohnen.

Dominanz des Autos ungebrochen

Für Nicht-Besitzer eines Deutschlandtickets ist immer noch das Auto das Verkehrsmittel der Wahl: Sieben von zehn (71 Prozent) fahren mehrmals pro Woche mit dem Auto. Kein Wunder, dass hierzulande zuletzt 48,8 Millionen Pkw zugelassen waren - ein neuer Rekord.

"Die Kunden, die wirklich vom Auto auf den Nahverkehr umgestiegen sind, machen zwischen drei und acht Prozent der Neukunden aus", sagte Detlef Neuss, Bundesvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn, tagesschau.de: "Das ist nicht so viel, das muss man ganz klar sagen. Die Leute strömen nicht massenweise vom Auto in die Züge."

Der Verkehrsökologe Jochen Eckart ist weniger skeptisch. Seine Einschätzung: "Die Einführung des Deutschlandtickets hat eine Änderung des Verkehrsverhaltens bewirkt: Durch das Deutschlandticket wird der ÖPNV häufiger und das Auto seltener genutzt. Für eine Mobilitätswende müssen jedoch darüber hinaus Maßnahmen ergriffen werden, um den ÖPNV attraktiver zu machen und auch alle zu erreichen, die ihn noch nicht nutzen."

Die Verkehrsunternehmen müssten deshalb den ÖPNV dringend zuverlässiger beziehungsweise pünktlicher machen, so Eckart - und die Bundesländer für höhere Taktdichte und kürzere Fahrt- und Wartezeit sorgen.

Dieses Thema im Programm: Die Ergebnisse von #besserBahnfahren präsentiert Sven Plöger in der Doku "Besser Bahnfahren! - Was muss sich ändern?" am 4.9. um 20:15 Uhr im Ersten.