Boomendes Geschäft, steigende Preise Lieferprobleme im Fahrrad-Handel
Die Nachfrage nach Fahrrädern ist enorm. Allerdings kämpfen Handel und Hersteller mit gestörten Lieferketten und fehlenden Teilen aus Asien. Das lässt die Preise in die Höhe schießen.
"Wir haben wieder geöffnet. Die Hütte brennt", jubelt Orlando Mittmann am Telefon. Der Digital Marketing Manager bei der Radwelt Berlin hat gerade einmal fünf Minuten Zeit, um über die vergangenen zwölf Monate und die aktuelle Situation zu sprechen. Der milde Januar lässt viele aufs Fahrrad steigen, die Frühjahrsinspektionen werden vorgezogen. Rad statt Öffis - aus Angst vor einer Infektion meiden immer noch viele Menschen den öffentlichen Nahverkehr. Das Rad bietet zudem die Möglichkeit, individuell Sport zu treiben ohne Ansteckungsgefahr. Und weil sich die Urlaubspläne immer wieder zerschlagen haben, Reisen unmöglich war und teilweise noch ist, wird das so gesparte Geld vielfach in E-Bikes investiert. Fahrradindustrie und -handel sehen sich nach wie vor als Gewinner der Corona-Pandemie.
Neuer Schub für die E-Bikes
Trotz Corona, Shutdowns und Lockdowns - über 2020 sagt Mittmann: "Es gibt keinen Händler, der sagen wird, dass er ein schlechtes Jahr erlebt hat. Wir haben fast das Zweieinhalbfache, nein, etwas mehr als Zweieinhalbfache des Vorjahres umgesetzt." Ein Branchentrend: Allein 5,04 Millionen Fahrräder und E-Bikes wurden im vergangenen Jahr verkauft. 16,9 Prozent mehr als 2019, so der Zweirad-Industrie-Verband. Treiber dieser Entwicklung sind die E-Bikes. Mit 1,95 Millionen Stück beträgt ihr Anteil am Gesamtabsatz 38,7 Prozent. Das sind stolze 43,4 Prozent mehr als 2019.
E-Bikes werden inzwischen in jedem Segment verkauft: egal ob Trekking- oder Cityrad, Mountainbike oder sogar Rennrad. Mit Blick auf das Geschäft des vergangenen Jahres spricht die Branche von einer Tendenz, alles im Lager komplett zu verkaufen. "So wurden die Umsatzverluste durch geschlossene Läden teils innerhalb von zwei Wochen aufgeholt", sagt Thomas Kunz vom Verband des Deutschen Zweiradhandels. Das spürt auch die Radwelt Berlin. Deren Werkstätten sind seit April 2020 permanent ausgebucht. Aktuell müssen Kunden eine Woche warten, bis die Räder repariert oder inspiziert sind.
Fehlende Komponenten und begrenzte Auswahl
Bei aller Freude über die Nachfrage klagen Händler aber darüber, dass beispielsweise Shimano, der Hersteller von Fahrradkomponenten wie Bremsen oder Schaltungen, enorme Lieferschwierigkeiten hat - eine Folge der Lockdowns, speziell in China. Erst im August 2021 soll bei Shimano alles wieder normal laufen. Die Industrie beklagt Lieferengpässe bei Rahmen und Gabeln aus Asien.
Die Fahrradindustrie ist hochgetaktet. Fehlt auch nur ein Teil, kann das die Produktion zum Stillstand bringen. Fahrradhändler Mittmann die aktuelle Situation so: "Wir gucken aus dem Fenster, durch die Scheiben der Tür. Wenn ein Fahrrad-LKW hält, freuen wir uns. Nur wissen wir nicht, was für uns abfällt." Der Zweiradhandelsverband verspricht, dass alle, die es wollen, auch ein Fahrrad kaufen können. Da müsse sich niemand sorgen. Allerdings sollte man mindestens zwei Alternativen zum Wunschfahrrad parat haben und es zudem bei mehreren Händlern versuchen.
Räder bis zu 20 Prozent teurer
Hohe Nachfrage, knappes Angebot: Da greifen die Gesetze der Marktwirtschaft. Aktuell liegen die Preise für Ersatzteile schon 15 Prozent über denen vom Vorjahr. Und bei Fahrrädern und E-Bikes sagen die Verbände für 2021 Preissteigerungen zwischen zehn Prozent und 20 Prozent voraus. Im vergangenen Jahr lag der Durchschnittspreis für ein Fahrrad bei 630 Euro und für ein E-Bike bei 2975 Euro. Zwei Drittel der Räder werden immer noch über den Fachhandel verkauft.
Der musste in den vergangenen zwölf Monaten erkennen, dass auch hier an der Digitalisierung kein Weg vorbeiführt. Sei es, weil Räder nur online bestellt und dann abgeholt werden dürfen. Sei es, dass der Verkauf nur über Terminbuchungen stattfinden kann. Händler Mittmann hat deswegen, wie er sagt, die Digitalisierung von ganz unten nach ganz oben geholt. Inzwischen hat die Radwelt Berlin im Keller einen Server eingebaut und ein Online-Buchungssystem installiert. Auch ein Grund dafür, dass zum Verkaufsstart im wiedereröffneten Laden die Hütte brennt.