Kritik an Energieversorgern Fernwärme-Preise schwer zu durchschauen
Obwohl Fernwärme-Anbieter gesetzlich dazu verpflichtet sind, veröffentlicht fast jeder fünfte Versorger keine Preise im Internet. Verbraucherschützer fordern eine härtere Gangart gegenüber der Branche.
Der Text in der Fernwärmeverordnung ist unmissverständlich: Die Versorgungsunternehmen haben alle Preisregelungen, Preisanpassungsklauseln sowie Preiskomponenten "barrierefrei im Internet zu veröffentlichen". Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, schließlich kann sich auch jeder Gas- und Stromkunde schnell per Mausklick über aktuelle Preise informieren. Die Fernwärme-Branche scheint da allerdings noch großen Nachholbedarf zu haben. Das zeigt eine umfangreiche Stichprobe des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv), die dem hr vorliegt.
Die Energieexperten haben sich im Juni die Internetseiten von 330 Fernwärme-Anbietern angeschaut, die zusammen 799 Wärmenetze in Deutschland betreiben. Ergebnis: 18 Prozent der Unternehmen veröffentlichen online überhaupt keine Preise. Und für 34 Prozent der Wärmenetze sind die Preisangaben entweder fehlerhaft oder unvollständig. "Ich kann das nicht nachvollziehen, dass so viele Unternehmen diesen gesetzlichen Pflichten bis jetzt noch nicht nachgekommen sind", sagt Thomas Engelke, Teamleiter Energie und Bauen beim vzbv. "Diese Unternehmen müssen kurzfristig nachbessern." Nicht nur über den Preis müssen die Fernwärme-Versorger ihre Kunden informieren, sondern auch über Netzverluste, also wie viel Prozent der Wärme auf dem Weg von der Erzeugung bis in die Gebäude im Rohrnetz verloren geht. In 63 Prozent der Fälle gab es laut Stichprobe keine Angaben zu Netzverlusten.
Versorger hinken Entwicklung hinterher
Der Branchenverband AGFW begründet die fehlenden Preisangaben auf Anfrage damit, dass es bei Fernwärme-Versorgern im Einzelfall an "personellen Ressourcen" fehle, um "alle gesetzlichen Neuregelungen pünktlich umzusetzen". Die Veröffentlichungspflicht besteht seit Oktober 2021. Zusätzlich erwähnt der Verband, dass nicht alle Versorger "über eine Homepage" verfügten. Der Hinweis verdeutlicht, dass die Branche nur langsam auf neuere Entwicklungen reagiert. Das hat auch Werner Dorß beobachtet, der als Fachanwalt für Energiewirtschaftsrecht ein gefragter Fernwärme-Experte ist. Viele Stadtwerke lebten noch "im Gestern", die Zahl innovativer Versorger sei überschaubar. "Und das tut dem eigentlich guten Produkt Fernwärme nicht gut", so Dorß.
Er erklärt, dass der Fernwärme-Markt in Deutschland aus regionalen, meist kommunalen Monopolisten besteht. Das Problem aus seiner Sicht: Weder das Bundeskartellamt noch die Bundesnetzagentur sind zuständig für die Fernwärme. "Im Energiewirtschaftsrecht taucht das Wort Wärme überhaupt nicht auf. Das heißt, wir haben hier einen wichtigen, in Zukunft noch bedeutsameren Markt, der keiner Kontrolle und keiner Aufsicht unterliegt", so Dorß.
Großer Spielraum bei Preisgestaltung
Verbraucherschützern zufolge haben die Versorger bei der Preisgestaltung zu große Spielräume. Neben Gas und Strom hat sich vielerorts in diesem Jahr auch die Fernwärme verteuert. Das liegt daran, dass sie als Abfallprodukt der Stromerzeugung meist aus fossilen Brennstoffen erzeugt wird. Laut Energiewirtschaftsverband BDEW werden 67 Prozent der Fernwärme noch mit Hilfe von Gas und Kohle produziert, nur 17 Prozent stammen aus Erneuerbaren Energien.
Ihre Preise berechnen die Versorger anhand mathematischer Formeln. Es gibt einen verbrauchsunabhängigen Grundpreis und einen verbrauchsabhängigen Arbeitspreis. In beide Preisarten rechnen die Versorger Indizes ein: in den Grundpreis zum Beispiel einen allgemeinen Lohn- und Investitionsgüterindex, in den Arbeitspreis einen Gasindex des Statistischen Bundesamtes. Oder eben ganz andere Indizes: Gesetzliche Vorgaben gibt es nicht. "Für uns ist schon wichtig, dass die Energien, die verwendet werden, auch bei der Preisbildung entsprechend abgebildet werden", sagt Verbraucherschützer Engelke. So sieht auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus.
Die Praxis ist aber oftmals eine andere: Der Versorger Eswe in Wiesbaden zum Beispiel rechnet zu 70 Prozent Gas in den Arbeitspreis ein - obwohl mehr als 60 Prozent der Fernwärme aus einem Blockheizkraftwerk stammen, das mit Altholz betrieben wird. In Poing bei München ärgern sich Kunden über den Versorger Bayernwerk, weil der den hohen Geothermie-Anteil von 80 Prozent an der örtlichen Fernwärme nicht im Preis berücksichtige - was das Unternehmen bestreitet. Es gibt viele solcher Beispiele in Deutschland.
Länder für Gesetzesänderungen
Experten und Verbraucherschützer dringen deshalb auf gesetzliche Änderungen - und erhalten dabei offenbar Rückendeckung von den Landesregierungen. So liegt dem hr eine erweiterte Stellungnahme vor, die eine Fachgruppe der Bauministerkonferenz im August an das Bundeswirtschaftsministerium geschickt hatte. Anlass ist eine geplante Änderung der Fernwärmeverordnung. In dem Papier wird unter anderem die "ausschließliche Verwendung frei zugänglicher und amtlich anerkannter Preisindizes" gefordert, um Fernwärmepreise künftig zu berechnen. Und es sollen in den Preisen nur diejenigen Energieträger enthalten sein, "die tatsächlich bei der Fernwärmeerzeugung eingesetzt werden".
Fachanwalt Dorß erinnert in dem Zusammenhang an einzelne Versorger, die schon jetzt mehr Transparenz schaffen. Die Stadtwerke Hanau zum Beispiel lassen jedes Jahr ihren Fernwärmepreis von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer begutachten. Eine Zusammenfassung ist im Internet abrufbar.
Über dieses Thema berichtet das ARD-Wirtschaftsmagazin Plusminus heute um 21.45 Uhr im Ersten.