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Hohe Energiepreise Wie ein Gaspreisdeckel funktioniert

Stand: 27.09.2022 08:27 Uhr

Die Bundesregierung hat eine mögliche Obergrenze für Gaspreise in Aussicht gestellt. Doch wie könnte das Instrument aussehen? Was kostet es den Staat? Und wo sind die Haken? Ein Überblick.

Von Till Bücker, ARD-Finanzredaktion

Dank der mittlerweile vollen Speicher, rekordhohen Einfuhren von Flüssigerdgas (LNG) aus den USA und neuen Liefervereinbarungen ist der Erdgaspreis zu Wochenbeginn auf den tiefsten Stand seit Ende Juli gefallen. Dennoch liegt er weiter auf einem historisch hohen Niveau. Die Bundesregierung will in den kommenden Tagen eine "Gesamtlösung" für die Belastungen der Bürger vorstellen. Ein Teil des Plans könnte ein Preisdeckel für Gas sein, den immer mehr Stimmen aus der Politik fordern.

Was ist ein Gaspreisdeckel?

Ein Preisdeckel stellt eine Obergrenze dar, die Verbraucher und Betriebe vor explodierenden Energiekosten schützen soll. Bundeskanzler Olaf Scholz stellte am Wochenende zeitige Vorschläge zum Dämpfen der hohen Kosten in Aussicht. Es gehe jetzt darum, "wie wir die viel zu hohen Preise reduzieren können, und zwar sowohl diejenigen für Strom als auch diejenigen für Gas", sagte der SPD-Politiker. Eine Kommission habe dazu am Samstag Beratungen aufgenommen und leiste "sehr gute, konstruktive" Arbeit. "Wir werden da auch mit schnellen Ergebnissen rechnen können."

Wie könnten die Ergebnisse genau aussehen?

In einigen Ländern Europas gibt es bereits regulierte Tarife, die den Preis an den Energiemärkten deckeln. Dabei gibt es unterschiedliche Modelle. Eine Möglichkeit ist die Regulierung auf dem Großhandelsmarkt, wie es in Spanien und Portugal der Fall ist. Die Maßnahme setzt bei den Transaktionen zwischen den Energieerzeugern und den Unternehmen an, die Strom mithilfe von Gas produzieren. Den Firmen ist es verboten, über einem festgelegten Maximalpreis miteinander Geschäfte zu machen.

Ein zweiter Weg ist ein Modell, das den Tarif für die Endkunden deckelt. Etwa in Großbritannien schreibt der Regulierer nicht den Erzeugern, sondern stattdessen den Versorgern vor, welchen Höchstpreis sie den Haushalten und Unternehmen anbieten dürfen. Dieser wird regelmäßig an die jeweiligen Kosten der Händler angepasst. Die jüngste Preisobergrenze für Haushalte mit zwei bis drei Personen: im Schnitt 3549 Pfund für Heizung und Strom. Wer als Händler seine jährlichen Preise über dieses Limit setzt, bekommt eine Strafe.

Wie viel günstiger wird das Gas dadurch?

Die Verbraucher in Deutschland müssen in diesem Jahr für Gas so tief in die Tasche greifen wie noch nie. Nach Angaben des Vergleichsportals Check24 muss ein Musterhaushalt mit einem Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden (kWh) derzeit im Schnitt 4371 Euro im Jahr zahlen. Das entspricht einem durchschnittlichen Preis von fast 21,9 Cent pro kWh. Im September 2021 kostete die gleiche Menge Gas noch 1316 Euro.

Wie viel die Kunden durch eine Deckelung der Preise sparen würden, hängt vom Verbrauch ab. Ein durchschnittlicher Familienhaushalt mit einem jährlichen Gasverbrauch von 20.000 kWh würde mit jedem erlassenen Cent pro Kilowattstunde etwa 200 Euro im Jahr sparen. Bei einem Single-Haushalt mit einem Bedarf von 5000 kWh wären es rund 50 Euro im Jahr.

Dazu kommen womöglich dämpfende Effekte auf die generelle Teuerungswelle in Deutschland. Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, verweist auf eine Stabilisierung der Inflationserwartungen, wodurch das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale sinkt.

Wie teuer wäre eine Preisdeckelung - und wie wird sie bezahlt?

Grundsätzlich muss der Staat die Differenz zwischen einer definierten Obergrenze und dem Marktpreis übernehmen, um die Versorger nicht zusätzlich zu belasten. Zum ersten Mal nannte die Bundesregierung am Sonntag Zahlen zu den Kosten einer möglichen Deckelung von Strom- und Gaspreisen. Danach wäre aus der Staatskasse ein Betrag von 2,5 Milliarden Euro notwendig, um den Endverbraucherpreis beim Gas um einen Cent je Kilowattstunde zu senken. Das geht aus einer Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Linken-Anfrage hervor, die den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland vorliegt.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, rechnet mit weitaus höheren Kosten: "Die Größenordnung von 30, 40, 50 Milliarden oder mehr sind da durchaus realistisch", sagte er den Sendern RTL und ntv. "Welcher Gesamtbetrag sich im Falle einer Preisdeckelung ergibt, hängt davon ab, wie hoch der Deckel angesetzt wird und wie sich die Endverbraucherpreise weiter entwickeln", heißt es auch in dem Schreiben von Energiestaatssekretär Patrick Graichen. Die Kosten variieren dementsprechend je nach Modell. Eines haben sie jedoch alle gemein: die offene Frage der Finanzierung.

"Ich habe eine Vorstellung, in welche Richtung das geht", kündigte Finanzminister Christian Lindner gestern in der ARD-Sendung Anne Will an, ohne Details zu nennen. Sein zentrales Versprechen ist es, im kommenden Jahr die Schuldenbremse wieder einzuhalten. Vertreter von Grünen und SPD fordern dagegen seit längerem ein Aussetzen der verfassungsrechtlichen Regelung. Auch für Fratzscher sei die Schuldenbremse "eigentlich nicht einzuhalten, wenn man sich ehrlich macht" und verwies darauf, dass sie in Notlagen ausgesetzt werden kann.

Ähnlich wie zur Stärkung der Bundeswehr steht derweil auch ein Sondervermögen für die Wirtschaft im Raum. Das hätte für die Regierung den Vorteil, dass die Kredite zwar auf die Staatsverschuldung angerechnet werden, nicht aber unter die Vorgaben der Schuldenbremse fallen. Auch Rufe nach einer Übergewinnsteuer für Energiekonzerne wurden jüngst wieder laut, mit denen die Gaspreisbremse finanziert werden könnte.

Was sagen Experten dazu?

Ökonomen verweisen in der Debatte neben der Finanzierung und dem hohen bürokratischen Aufwand auf zwei entscheidende Punkte. Erstens: die Verwässerung der Sparanreize. "Wir haben die große Sorge, dass die Endkunden bei zu geringen Preisen zu wenig sparen", sagte Georg Zachmann, Energieexperte bei der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, schon Ende August im Gespräch mit tagesschau.de. Der Preismechanismus sei einer der wenigen, der ökonomisch gesehen tatsächlich eine Lenkungswirkung hat.

Auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm betonte, dass dringend Gas gespart werden müsse, weil sonst im Winter eine Mangellage drohe. Ein Gaspreisdeckel sei daher nur sinnvoll, "wenn er mit großen Sparanreizen verbunden" ist. Das sei grundsätzlich der Fall, wenn er nur für ein Grundkontingent gelte. Parallel könnten zudem Prämien ausgezahlt werden für diejenigen, die wenig Gas verbrauchen.

Der zweite Knackpunkt: die fehlende Zielgenauigkeit. Auch Verbraucher, die es sich eigentlich leisten könnten, würden von einer generellen Gaspreisbremse profitieren, kritisierte jüngst Justus Haucap, Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie (DICE), gegenüber tagesschau.de. "Wir müssen uns auf die wirklich Bedürftigen konzentrieren", meinte auch Clemens Fuest, Präsident des Münchener ifo-Instituts am Sonntag bei Anne Will.

Für IMK-Direktor Dullien ist ein Preisdeckel für Gas dagegen präzise, da er genau die Haushalte erreiche, die mit Gas heizen: "Und das sind die Haushalte, die jetzt in den nächsten Monaten eine besonders hohe Belastung durch die Heizkosten bekommen werden."

Gibt es schon konkrete Vorschläge in die Richtung?

In den vergangenen Tagen kamen vermehrt Vorschläge auf, die auf die Kritik der Ökonomen eingehen. So plädiert etwa Grünen-Chefin Ricarda Lang für ein Zweistufenmodell mit einem definierten Grundbedarf. Nur dieser soll subventioniert werden. Zusätzliches Gas sollen die Verbraucher dann zu Marktpreisen kaufen. Fachleuten zufolge könnte diese Idee zum Erfolg führen - wenn der Grundbedarf nicht zu hoch angesetzt wird.

Ein konkreter Plan für einen bundesweiten Deckel der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern, der in dieser Woche in der Ministerpräsidentenkonferenz diskutiert werden soll, sieht vor, für private Haushalte für den Umfang einer Menge von 80 Prozent des durchschnittlichen Verbrauchs der Bezugsjahre 2019 und 2020 der Energiepreis als Festpreis auszugestalten. Die angedachten Festpreise sollen sich auf dem Niveau bewegen, das vor dem Krieg in der Ukraine am Markt vorlag, sagte Wirtschaftminister Reinhard Meyer (SPD) am Freitag. Wer mehr Energie brauche, müsse diese dann aktuelle Marktpreise zahlen. Das sei ein vertretbarer Sparanreiz.

Auch die CSU hat einen Gaspreisdeckel für drei Viertel des Privatverbrauchs vorgeschlagen. Die Gewerkschaft ver.di verlangt ebenfalls, die Kosten für den Normalverbrauch einer vierköpfigen Familie von 12.000 Kilowattstunden auf dem Niveau von 2021 zu halten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund veranschlagt einen Grundbedarf von 8000 Kilowattstunden für 7,5 Cent pro Einheit. Haushalte mit mehr Menschen sollten anteilig einen höheren Deckel erhalten. Zum Vergleich: Laut Check24 lag der Preis pro kWh vor einem Jahr noch bei knapp 6,6 Cent.

Gibt es weitere Haken?

Experten nennen darüber hinaus weitere Nachteile eines Preisdeckels - je nach Ausgestaltung. Eine Regulierung auf dem Großhandelsmarkt könnte zu komplizierten Verwerfungen führen, betonte Ökonom Zachmann. Ein Eingriff in den Mechanismus von Angebot und Nachfrage könne dafür sorgen, dass irgendwo Gas fehle und als Alternative zum Beispiel Öl verbrannt oder Industrieprozesse abgeschaltet werden müsse.

Haucap warnt zudem vor nationalen Lösungen, falls das Gas wie in Spanien auch für die Stromerzeugung subventioniert wird: Durch die Verstrickungen im europäischen Binnenmarkt müsse man "davon ausgehen, dass die subventionierte Energie dann auch in anderen Ländern gekauft wird." Daher sollte in dem Fall eine Übertragung auf ganz Europa erfolgen, so der Professor für Volkswirtschaftslehre. Wird das Gas nur für Privathaushalte vergünstigt, sei das aber kein Problem.

Und was passiert mit der Gasumlage?

Stand jetzt kommt die Gasumlage zum 1. Oktober, wodurch die Gaspreise noch einmal steigen würden. Mit dem Aufschlag sollen wegen des ausbleibenden russischen Gases ins Straucheln geratene Gasimporteure gestützt und letztlich die Versorgung gesichert werden. Am Wochenende machten Vertreter der Ampelkoalition allerdings deutlich, die Gasumlage auf die Bürger nicht weiter zu verfolgen.

Ein Gaspreisdeckel würde wohl endgültig den Abschied für die umstrittene Maßnahme von Wirtschaftsminister Robert Habeck bedeuten. Selbst aus Grünen-Kreisen hieß es zuletzt, es ergebe "keinen Sinn, Preise zu deckeln und gleichzeitig die Umlage zu erheben". Auch für Finanzminister Lindner scheint festzustehen: weg mit der Umlage und her mit einem Gaspreisdeckel. Nach einer Sitzung des FDP-Präsidiums in Berlin drängte der Parteichef heute auf ein "hohes Tempo".

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 27. September 2022 um 08:00 Uhr.