Armutsrisiko Großfamilie Kinder sind Glück - und Luxus
"Alles wird ständig teurer": Dieses Gefühl haben derzeit viele. Tatsächlich ist die Inflationsrate zuletzt kontinuierlich gestiegen. Große Familien mit kleinem Einkommen leiden besonders unter der Teuerung.
"Das darf doch nicht wahr sein, jetzt ist der Sprit schon wieder teurer geworden!" Jens Diezinger aus dem rheinhessischen Stadecken-Elsheim sitzt am Steuer seines Kleinbusses, mal wieder fährt er kopfschüttelnd an einer Tankstelle vorbei. In Gedanken überschlägt der fünffache Vater schon mal, wie lange ihm der Sprit noch reichen wird. Einmal volltanken - das reißt ein Loch von mehr als 100 Euro in die permanent klamme Familienkasse. Ende vergangenen Jahres hatten noch circa 85 Euro gereicht.
Verlierer der Inflation
Diezinger ist 43, seine Frau Carolin drei Jahre jünger. Er arbeitet Vollzeit als Erzieher in einem Hort in der Nähe von Mainz, sie in Teilzeit als Kindergärtnerin in einer Kita in ihrer Heimatgemeinde. Gemeinsam haben sie fünf Kinder: Lena (14), Vincent (13), Henning (12), Valentin (8) und Pauline (2). Das Ehepaar sagt: "Die Kinder sind unser Glück - und unser Luxus."
Als Erzieher und als Kindergärtnerin sind die Diezingers alles andere als Spitzenverdiener - und gehören zu den großen Verlierern der Inflation. Denn auch wenn alle mehr für Kraftstoff, den Haarschnitt oder Lebensmittel bezahlen müssen: Prozentual gesehen reißt die Teuerung bei kinderreichen Familien mit kleinem Budget ein größeres Loch in die Kasse als bei gutverdienenden Kleinfamilien. Die Folge: Die Diezingers drehen den Euro jetzt noch einmal mehr um, als sie es ohnehin schon immer getan haben. Und das geht jeden Tag so.
Auch einfache Dinge werden zum Luxusgut
Um Sprit zu sparen, lässt sich Jens Diezinger die Einkaufsliste mittlerweile oft telefonisch nach seiner Arbeit durchgeben. So spart er die Extra-Autofahrt zum Discounter. Woanders einkaufen ist für die Großfamilie derzeit ohnehin nicht mehr drin. Erst neulich war Mutter Carolin mal wieder in der Metzgerei im Ort, wollte ihrer Familie und sich selbst etwas Gutes tun. Denn gerne schmiert sie den Kindern nicht die Pausenbrote mit Wurst von Aldi, Lidl und Co.
An der Kasse der Metzgerei kam dann aber wieder das große Erwachen. "Fast zwanzig Euro für Wurst, die gerade mal für ein Abendessen reicht, das geht bei uns einfach nicht", sagt sie. Wie so vieles andere auch nicht - etwa Erdbeeren frisch vom Bauern. Vor zwei oder drei Jahren habe sie ab und zu für die Familie noch welche geholt, erzählt die Mutter. Aber da hätten die Früchte auch noch 2,50 Euro und nicht 3,90 pro Schälchen gekostet. Frische Erdbeermilch - für die Familie mittlerweile ein unerschwinglicher Luxus.
Lena Diezinger kocht für die Familie. Die 14-Jährige weiß, dass sie dabei sparen muss, wo immer es geht.
Unbezahlbar teure Mieten
"Wo können wir noch sparen?" - das ist ein großes Thema bei der Familie. Nicht nur für die Eltern, sondern auch für die Kinder. Die 14-jährige Lena ist bei Diezingers fürs Kochen zuständig. Wenn sie ihrem Vater den Einkaufszettel schreibt oder dann doch mal mit zum Großeinkauf fährt, überlegt sie genau, wie sie alle möglichst gesund und günstig satt bekommt. Da vergleicht die Schülerin dann schon mal die Preise für Magerquark und Quark - und greift dann zum Günstigeren.
Gekocht wird bei Diezingers in einer Küche, die so groß ist wie bei anderen das Gästebad. Die siebenköpfige Familie wohnt auf rund 84 Quadratmetern bei der Mutter von Carolin Witter-Diezinger unterm Dach. Die beiden jüngsten Kinder schlafen im Zimmer der Eltern mit. Schon lange schaut sich die Familie nach einer größeren Wohnung um. Die ist im Rhein-Main-Gebiet für sie aber nahezu unbezahlbar. Selbst auf dem Land würde eine Wohnung, in der jedes Kind ein eigenes Zimmer hat, mittlerweile 1800 Euro Kaltmiete kosten, sagt Jens Diezinger.
Zu Siebt auf 84 Quadratmetern: An eine größere Wohnung mir mehr Platz für die Kinder ist kaum zu denken.
Angst vor weiterem Preisanstieg
Natürlich habe sie niemand gezwungen, so viele Kinder zu bekommen, sagt Carolin Witter-Diezinger. Es sei schon klar, dass man als Großfamilie zwangsläufig weniger Geld zur Verfügung habe, nicht zweimal im Jahr in Urlaub fahren oder Essen gehen könne. Ihre Kinder wüssten auch, dass es im Leben wichtigeres als Geschenke gebe. Keine und keiner von ihnen käme auch nur auf die Idee, Markenklamotten zu wollen.
Die derzeitige Preisentwicklung macht der Kindergärtnerin aber regelrecht Angst. Noch mehr sparen und arbeiten könnten sie und ihr Mann nicht. Beide hatten neben ihren eigentlichen Berufen lange Zeit auch noch Nebenjobs: in einem Kulturzentrum und einem Nähgeschäft. Diese sind in der Corona-Pandemie aber erst mal weggefallen.
Sparen fürs Eis im Urlaub
In die Sorge um die Zukunft mischt sich bei Jens Diezinger aber auch Wut. Von der Politik erhofft er sich mehr finanzielle Unterstützung für Familien - und glaubt doch nicht dran. Die meisten Entscheider, sagt der Erzieher, wüssten heute doch gar nicht mehr, wie es an der Basis zugehe.
Eines will sich die Familie aber zumindest in diesem Jahr noch nicht nehmen lassen: den traditionellen Familienurlaub in einer Ferienwohnung in Büsum an der Nordsee. Leisten können sich die Diezinger die Auszeit nur wegen ihrer Nebenjobs - und weil sich die Kinder mit Weihnachts- und Geburtstagsgeld an den Kosten beteiligen. Von Bekannten hat Carolin Witter-Diezinger erfahren, dass die Kugel Eis in ihrer Lieblingseisdiele in Büsum mittlerweile 1,60 Euro kostet. Sie spart seit Längerem darauf, dass sie und ihr Mann im Urlaub jedem Kind jeden Tag wenigstens eine Kugel spendieren können.