Konferenz zur Ernährungssicherheit "Russland nimmt die ganze Welt als Geisel"
Auf Einladung der Bundesregierung soll eine Konferenz Wege aus der sich verschärfenden Nahrungsmittelkrise finden. Außenministerin Baerbock sprach zum Auftakt von einer "lebensbedrohlichen Welle" und richtete schwere Vorwürfe an Russland.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat Russland vorgeworfen, den Hunger in der Welt "ganz bewusst als Kriegswaffe" einzusetzen. Russland "nimmt die ganze Welt als Geisel", sagte Baerbock zu Beginn einer internationalen Ernährungskonferenz in Berlin.
345 Millionen Menschen weltweit seien derzeit von Nahrungsmittelknappheit bedroht, die Hungerkrise baue sich "wie eine lebensbedrohliche Welle vor uns auf", sagte die Grünen-Politikerin. Die Gründe seien zum Teil nicht neu: regionale Konflikte, Dürren, die Folgen der Klimakrise und von Covid-19. Aber erst Russlands Krieg habe "aus dieser Welle einen Tsunami gemacht".
Baerbock und Blinken: alleinige Schuld Moskaus
Baerbock kritisierte, Russland versuche die Schuld an den explodierenden Nahrungsmittelpreisen "anderen in die Schuhe zu schieben", doch das seien "Fake News". Die Regierung in Moskau trage allein die Verantwortung dafür. Russland blockiere Häfen und beschieße Getreidespeicher; es gebe auch keine Sanktionen gegen russische Getreideexporte.
Ähnlich äußerte sich US-Außenminister Antony Blinken auf der Konferenz. Russland lasse "zielgerichtet Lebensmittelpreise explodieren (...), um ganze Länder zu destabilisieren". Es gebe keinen anderen Grund für die steigenden Lebensmittelpreise weltweit als Russlands Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen sowie Beschränkungen eigener Ausfuhren durch Moskau, so Blinken weiter. Russland handle aus "politischen Gründen".
Exporte aus der Ukraine sollen beschleunigt werden
Baerbock sagte, bei der Konferenz in Berlin gehe es darum, Solidarität mit der Ukraine und mit den Menschen im globalen Süden zu zeigen, die unter dem russischen Krieg leiden. "Wir müssen Lösungen bieten." Ein Ziel sei, die Nahrungsmittelexporte aus der Ukraine zu "beschleunigen".
Sie hoffe darauf, dass schon im Juli wieder täglich Getreide aus der Ukraine exportiert werden kann. Es gehe angesichts des russischen Angriffskriegs darum, dauerhafte Alternativrouten zur Ausfuhr aus dem blockierten Hafen von Odessa zu finden, sagte Baerbock. Eine Möglichkeit sei der Landweg über Rumänien und die Binnenschifffahrt über die Donau. Über diese Route werde bereits Getreide transportiert. An der Umsetzung sei auch DB Cargo beteiligt.
Die Bundesregierung unterstütze die Bemühungen der Türkei, einen Weg für die Freigabe der blockierten Häfen zu finden. Die russische Forderung, dass die Ukraine die Häfen zunächst entminen müsse, wies Baerbock zurück.
"Tsunami irgendwie in den Griff bekommen"
Es werde auch darüber gesprochen, akut die Nothilfen für die Hunger leidenden Menschen aufzustocken, sagte die Außenministerin. Baerbock rief die internationale Staatengemeinschaft zum entschlossenen Kampf gegen die sich verschärfende Hungerkrise in der Welt auf. "Es werden über 44 Milliarden Euro dieses Jahr gebraucht, die erst zur Hälfte finanziert sind", sagte sie. Die Lage sei hochdramatisch.
Die Konferenz sei aber keine Geberkonferenz, es gehe nicht nur ums Geld. Auch "über den Tag hinaus denken" stehe auf der Tagesordnung: Ärmere Länder müssten sich besser gegen Krisen wappnen. Es gehe darum, dass wir "diesen Tsunami irgendwie in den Griff bekommen".
"Größte Hungersnot seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs"
Die Konferenz findet auf Einladung von Baerbock, Entwicklungsministerin Svenja Schulze und Agrarminister Cem Özdemir statt. Schulze erläuterte, rund 400 Millionen Menschen weltweit würden normalerweise mit Lebensmitteln aus der Ukraine versorgt. In vielen Ländern blieben diese Lieferungen jetzt aus, noch mehr Länder litten unter den hohen Weltmarktpreisen infolge des Kriegs in der Ukraine. "Es sind wie immer die Ärmsten, die am stärksten leiden."
"Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, dann droht die größte Hungersnot seit dem Zweiten Weltkrieg", sagte Schulze. Neben finanziellen Hilfen sei es nötig, die Agrarsysteme etwa in Ländern des östlichen Afrikas "so zu verändern, dass die Menschen wieder selbst anpflanzen können", betonte Schulze.
Özdemir: "Zeigen, aus welchem Holz wir geschnitzt sind"
Zu der Konferenz hatte die Bundesregierung weltweit eingeladen, das Interesse habe alle Erwartungen übertroffen, sagte Baerbock. Vor Ort in Berlin seien 40 Ministerinnen und Minister, Vertreter der Vereinten Nationen und der Zivilgesellschaft und von Ländern, die besonders betroffen seien, etwa Vertreter der Ukraine, aus Nigeria, Tunesien oder Indonesien. Das Treffen dient auch der Vorbereitung des G7-Gipfels ab Sonntag im bayerischen Elmau. Konkrete Zusagen über finanzielle Hilfen sind bei der Berliner Konferenz nicht zu erwarten.
Özdemir forderte von dem anstehenden Gipfel ein "kraftvolles Signal" gegen den globalen Hunger. Der Kampf für Nahrungsmittelsicherheit müsse im Einklang mit Klima- und Artenschutz angegangen werden, sagte er.
Der Grünen-Politiker sprach von einer "mehrdimensionalen Kriegsführung" des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Diese wolle die Ukraine militärisch besiegen, führe einen Hungerkrieg gegen den globalen Süden und einen Energiekrieg gegen die Europäische Union. "Darum ist die Botschaft heute auch: Wir werden uns nicht von Putin einschüchtern lassen. Jetzt geht es auch darum zu zeigen, aus welchem Holz wir geschnitzt sind."