Werbeversprechen der Firmen Die große Lebensmittellüge
Angeblich klimaneutrales Wasser, Zuckerbomben, getarnt als vitaminreiche Nascherei: Mit dem Bedürfnis nach mehr Nachhaltigkeit will die Lebensmittelindustrie Kasse machen, warnen Verbraucherschützer.
Die dreistesten Lügen stehen im Büro von Manuel Wiemann in Berlin. Der Verbraucherschützer von Foodwatch vergibt jedes Jahr Negativpreise an die Lebensmittelindustrie. Die dreisten Preisträger sind: Ein importiertes Wasser in einer Plastikflasche, das so tun würde, als ob es gut für das Klima sei. Süßigkeiten, die mit Vitaminen werben und aus 60 Prozent reinem Zucker bestehen. Angeblich kompostierbare Kaffeekapseln, die in Wahrheit Plastikmülll sind.
"Die Werbeversprechen entpuppen sich als Lüge", sagt Manuel Wiemann. "Die Lebensmittelindustrie hat die Klimakrise und Plastikmüllberge als emotionale und gesellschaftlich relevante Probleme erkannt, die sie für Marketing-Zwecke ausnutzen kann." Viele Hersteller täten so, als könnte man die Welt retten durch den Kauf ihrer Produkte.
"Die Lebensmittelindustrie tischt so viele unterschiedliche Werbelügen auf, dass Verbraucherinnen und Verbraucher keine Chance haben, diese zu enttarnen", sagt der Experte von Foodwatch. "Systematisch benachteiligt sind etwa Alleinerziehende mit Kindern, die keine Zeit für Detektiv-Arbeit am Supermarktregal haben, sowie ältere Menschen mit weniger Sehkraft, die das Kleingedruckte nicht entziffern können."
"Grüne Werbelügen stoppen"
Deswegen brauche es dringend bessere Gesetze zum Schutz vor Täuschung. Es müsse von der neuen Regierung beispielsweise untersagt werden, Zuckerbomben als gesund zu bewerben, umweltschädliche Produkte als "klimaneutral" zu bezeichnen oder ein falsches Herkunftsland vorzutäuschen. "Die Bundesregierung muss grüne Werbelügen auf unökologischen Produkten stoppen", fordert Wiemann.
Die Lebensmittelwirtschaft unterstütze das Bemühen um eine einheitliche "Nachhaltigkeitskennzeichnung", sagt Manon Struck-Pacyna vom Lebensmittelverband Deutschland. "Ein erster Regelungsvorschlag der Europäischen Kommission wird für 2024 erwartet, und bis dahin gilt es, sich auf einheitliche Ansätze gerade auch bei der Bewertung der unterschiedlichsten Nachhaltigkeitsaspekte zu verständigen.
Auf das Kleingedruckte kommt es an
Solange will Sabrina Schulz von der Verbraucherzentrale Berlin nicht warten. Sie rät, nicht auf den Namen auf der Vorderseite zu achten beim Einkaufen "Dieser kann auch ein Phantasiebegriff sein und dient eher der Werbung. Die Bezeichnung des Produktes steht im Kleingedruckten meist auf der Produktrückseite und beschreibt sachlich, um was für ein Lebensmittel es sich handelt", sagt Schulz.
Anhand der Bezeichnung lasse sich auch auf die Qualität des Produktes schließen. So sollte ein "Erdbeer-Milchmischgetränk" tatsächlich aus Erdbeeren hergestellt worden sein. Ein "Milchmischgetränk mit Erdbeergeschmack" hingegen, könne auch nur Aroma enthalten.
Auch der Blick auf die Lebensmittelampel helfe immer, ergänzt Manuel Wiemann von Foodwatch. "Die Lebensmittelampel Nutri-Score bietet eine Orientierung für eine ausgewogene Ernährung. Mit ihr ist es möglich, die Nährwertqualität von Produkten zu vergleichen", sagt Wiemann. Nachweislich führe der Nutri-Score zu einem gesünderen Einkaufsverhalten. Das Problem: "Der Nutri-Score ist in Deutschland jedoch nur freiwillig und nicht verpflichtend", kritisiert der Verbraucherschützer. "Ernährungsminister Cem Özdemir muss sich gegenüber der EU für eine Kennzeichnungspflicht einsetzen."
Zuckerbombe als "Fitness-Müsli"
Ein Blick ins Kleingedruckte erscheine manchen Verbraucherinnen und Verbrauchern lästig, sagt Sabrina Schulz. "Jedoch lässt sich oft nur so herausfinden, was genau in den Produkten steckt. Wer nur auf die Vorderseite der Verpackung guckt, kauft möglicherweise nicht das, was er oder sie eigentlich will." Wiemann stimmt dem zu: "Bei der Kaufentscheidung orientieren sich Kundinnen und Kunden vor allem am Etikett. Deswegen sind Produkte und insbesondere die Schauseite voller Werbeversprechen, auf die jedoch kaum Verlass ist."
Beispielsweise können die Lebensmittelindustrie eine Zuckerbombe als "Fitness-Müsli" bezeichnen oder selbst kreierte Label für vermeintliche "Klimaneutralität" auf die Verpackung drucken. Es sei eine zermürbende Aufgabe, berichtet Wiemann.
Doch ein aktueller Erfolg seiner Arbeit motiviert ihn. Ein Kaffeekonzern wolle die irreführende Bewerbung seiner Kaffeekapseln als "kompostierbar" und "biologisch abbaubar" stoppen. Damit reagiere das Unternehmen auf eine Abmahnung von foodwatch. "Kaffeekapseln sind eine riesige Ressourcenverschwendung - ausgerechnet diese Wegwerfverpackungen als besonders nachhaltig anzupreisen, ist dreistes Greenwashing", sagt Wiemann und hofft, dass Politik, Verbraucherschützer und Konsumenten gemeinsam die Lebensmittelindustrie weiter unter Druck setzen.