Probleme in Mainzer Wohnanlage Wenn der Vermieter pleite ist
Ratten im Keller, kaputte Aufzüge, undichte Fenster: In einer Wohnanlage in Mainz sind die Mieter seit Monaten auf sich allein gestellt. Der Vermieter, ein Unternehmen aus München, ist insolvent.
Wenn Badegül Elmas in ihrer Küche steht und kocht, dann sieht sie draußen auf dem Hof ihrer Wohnanlage die Ratten. "Es ist so ekelhaft", sagt sie. "Ich bin stocksauer, dass hier nichts passiert."
Auch im Keller der Mieterin hatten sich Ratten eingenistet. "Da war alles zerfressen und verdreckt, mein Brautkleid, ganz viele Erinnerungsstücke von meinen Kindern, Kisten mit persönlichen Dingen, ich habe fast alles weggeschmissen."
Die Schädlingsbekämpfung musste Elmas in Eigenregie übernehmen. Sie verstreute Rattengift, stellte Fallen auf und lagerte ihre noch brauchbaren Gegenstände zwischenzeitlich in der Garage.
Denn der Vermieter, eine Investmentgesellschaft aus München, reagiert seit Monaten nicht auf Beschwerden. "Wenn ich nach -zig Anrufen und Mails mal jemanden erreicht habe, kam die Auskunft, wir kümmern uns - das letzte Mal war das vor acht Monaten", erzählt Elmas und schüttelt den Kopf.
Kaputte Aufzüge, defekte Heizungen, kein Internet
So wie Elmas geht es etlichen Mietern in der Wohnanlage. Die Mängelliste ist lang: Fenster sind undicht, Heizungen kalt, in einigen Wohnungen schimmeln die Wände.
Fast ein halbes Jahr lang gab es kein Licht im Treppenhaus eines der Häuser - der Energieversorger hatte den Strom abgestellt, weil der Eigentümer nicht zahlte. Auch der Verteiler für den Internetanschluss hatte deswegen keinen Strom mehr.
"Ich bin zweimal im dunklen Treppenhaus gestürzt", sagt Siesto Genarro aus dem 2. Stock. Noch mehr setzt ihm zu, dass die Aufzüge nicht funktionieren. "Das geht gar nicht", schimpft er. "Wir haben hier Menschen, die brauchen einen Aufzug."
Zum Beispiel Bibiana Borkowski. Nach einer Hüftoperation hat sie Probleme mit dem Gehen. Der Aufstieg in den 4. Stock ist mühsam für die 70-Jährige, immer wieder muss sie Pausen einlegen. Eine Nachbarin im Nebenhaus könne ihre Wohnung gar nicht mehr verlassen, erzählt Andreas Borkowski, Bibianas Mann.
Andreas Borkowski und Badegül Elmas haben immer gerne in der Mainzer Wohnanlage gelebt. Doch jetzt sind die Zustände unhaltbar.
Diakonie kritisiert Umgang mit sozialem Wohnraum
"Die Situation in dem Wohnkomplex ist für viele Mieter wirklich fatal", sagt Andreas Blum von der Diakonie Rheinhessen. Der Pädagoge leitet das interkulturelle Bürgerzentrum "Katzenberg-Treff", das wenige Meter entfernt liegt. Blum ist Ansprechpartner für die Menschen vor Ort, viele von ihnen leben in Sozialwohnungen.
"Die Leute haben schon genug Probleme in ihrem Alltag", sagt Blum, die schlechte Wohnsituation komme da noch "on top obendrauf". Viele seien überfordert und könnten sich nicht wehren. Zudem kritisiert Blum: "Es kann nicht sein, dass sozialer Wohnraum, der ohnehin knapp ist in Deutschland, so verkommt und die Menschen allein gelassen werden."
Igor und Irina Sibirski zum Beispiel können nur warm duschen, weil ihr Sohn ihnen einen gebrauchten Durchlauferhitzer besorgt und eingebaut hat. Ihrer war wochenlang kaputt, doch der Vermieter war auch für sie nicht erreichbar.
Vermieter reagiert auf SWR-Anfrage
Auf SWR-Anfrage teilte der Vermieter im November vergangenen Jahres über eine Kommunikationsagentur schriftlich mit:
Aufgrund der zurückliegenden Entwicklung und Vorkommnisse musste der bisherigen Hausverwaltung kürzlich eine Kündigung des Vertragsverhältnisses ausgesprochen werden. Im Moment befinden wir uns in sehr weit gediehenen Vertragsverhandlungen mit einem anderen Anbieter, um eine Notverwaltung sicherzustellen und die Probleme mit einer neuen Verwaltung zu lösen."
Verbessert hat sich seitdem in der Wohnanlage nichts. Auf eine weitere Anfrage des SWR vor drei Wochen kam keine Reaktion mehr.
Was die Stadt unternimmt
Längst ist auch die Stadt Mainz eingeschaltet. Ein Sprecher teilte mit, inzwischen sei bekannt, dass der Eigentümer der Immobilie insolvent ist.
Das sei aber lange nicht klar gewesen. Es sei für die Stadt schwierig gewesen, Kontakt zum Vermieter aufzunehmen, weil die "Eigentumsverhältnisse schwer zu durchschauen waren".
Schon im April vergangenen Jahres habe das Gesundheitsamt Mainz-Bingen "erhebliche Mängel" in der Anlage festgestellt und das Mainzer Ordnungsamt gebeten, Maßnahmen zu ergreifen. Seitdem habe die Stadt in mehreren Anläufen erfolglos versucht, den Vermieter zu erreichen.
Inzwischen habe man aber Kontakt zum Insolvenzverwalter. "Wir haben den Eigentümer aufgefordert, der Müllbeseitigung und der Reinigung des Außengeländes nachzukommen, eine fachgerechte Schädlingsbekämpfung zu beauftragen und Wartungsaufgaben dauerhaft zu übernehmen", erklärt Ralf Peterhanwahr von der Stadt Mainz.
Mieterbund rät zu Mietminderung
Franz Obst, Vorsitzender des rheinland-pfälzischen Landesverbands des Deutschen Mieterbundes, sagt, die Situation der Mieter in der Mainzer Wohnanlage sei kein Einzelfall. Immer wieder wendeten sich Menschen mit ähnlichen Problemen an den Mieterbund. Mietminderung sei in solchen Fällen ein legitimes Mittel.
Grundsätzlich erlaube das Gesetz eine Kürzung der Miete, wenn "der Wohnwert eingeschränkt sei". Dies sei bezüglich der der Wohnungen in Mainz eindeutig der Fall, findet Obst. Die Höhe der Mietminderung richte sich danach, wie stark der Wohnwert eingeschränkt sei.
Einige Bewohner der Mainzer Wohnanlage haben ihre Miete gekürzt, viele trauen sich aber aus Angst vor einer Kündigung nicht, sagt Badegül Elmas. Auch sie bezahlt nach wie vor den vollen Mietpreis. Genau wie Andreas Borkowski, der schon etliche Beschwerdebriefe geschrieben hat.
Beide betonen immer wieder, dass sie grundsätzlich sehr gerne in der Anlage wohnen. Und Elmas fügt hinzu: "Unsere Kinder sind hier zusammen aufgewachsen, viele Nachbarn kennen sich seit Jahrzehnten, das ist unser Zuhause, das wirft man nicht einfach weg."