Start des 49-Euro-Tickets Wird es in Bussen und Bahnen nun voller?
Kurz vor dem Start des neuen Deutschlandtickets rechnet die Bahn mit 17 Millionen Kunden. Doch sind die Verkehrsbetriebe auf die steigende Nachfrage vorbereitet?
"Der ÖPNV hat geliefert" - so kündigte Bundesverkehrsminister Volker Wissing am Dienstag in Berlin das Deutschlandticket an. Das 9-Euro-Ticket hatte im vergangenen Sommer einen wahren Boom ausgelöst. Der Nachfolger kostet jetzt zunächst 49 Euro pro Monat und gilt ab dem 1. Mai.
Das Deutschlandticket ist eine vergleichsweise günstige Einheitsfahrkarte für alle Bus- und Bahnfahrten im Nah- und Regionalverkehr in ganz Deutschland. Doch der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen geht bereits jetzt davon aus, dass vielleicht schon in einem Jahr der Preis steigen wird.
Bald jeder fünfte Deutsche als Kunde?
Die Deutsche Bahn rechnet damit, dass mit dem Deutschlandticket sechs Millionen neue Abo-Kunden gewonnen werden. Dazu kämen rund elf Millionen Menschen, die bereits ein Abo genutzt haben und nun voraussichtlich auf das 49-Euro-Ticket umsteigen.
Perspektivisch würde dann jeder fünfte Deutsche das Ticket nutzen - also 17 Millionen Bürgerinnen und Bürger. Wenige Tage vor dem Start sind aber nur rund 750.000 Deutschlandtickets verkauft worden. Laut Wissing gibt es keinen "schlagartigen" Ansturm. Vielmehr erwartet er "einen kontinuierlichen Anstieg".
Zum Vergleich: Das 9-Euro-Ticket wurde in den drei angebotenen Monaten insgesamt 52 Millionen Mal verkauft. Dazu kamen rund zehn Millionen Menschen mit einem Abo, für die sich das Ticket automatisch vergünstigt hat. Im Schnitt nutzten also rund 27,3 Millionen Kunden das 9-Euro-Ticket pro Monat. Dementsprechend erwartet die Bahn jetzt monatlich 10,3 Millionen weniger Kunden für das Deutschlandticket im Vergleich zu seinem günstigeren Vorgänger.
Prognosen könnten übertrieben sein
Prognosen sind aber schwierig. Experten wie der Mobilitätsforscher Weert Canzler vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung vermuten, dass sich die Nachfrage anders entwickelt als beim 9-Euro-Ticket. Er erwartet bei weitem nicht so hohe Verkaufszahlen wie von der Bahn angenommen.
Im vergangenen Jahr haben die Käufer das Angebot vor allem für Freizeitfahrten genutzt. Jetzt aber könnte das 40 Euro teurere Deutschlandticket zum Großteil von Pendlern genutzt werden, die ohnehin schon über ein Abo-Ticket verfügen. Dennoch sei mit einem erhöhten Fahrgastaufkommen an Feiertagen sowie Ferienzeiten zu rechnen.
Schon heute hohe Auslastung
Probleme im ÖPNV gibt es auch vor dem Start des Deutschlandtickets viele: unregelmäßige Taktung, Ausfälle, Verspätungen und lange Fahrtzeiten. Da der Nahverkehr bereits im Normalbetrieb an seine Grenzen stößt, stellt sich die Frage, wie die Verkehrsbetriebe mit steigenden Fahrgastzahlen zurechtkommen werden.
Mobilitätsforscher Canzler ist skeptisch, dass Verkehrsbetriebe ihre Taktung zum Start des Deutschlandtickets verdichten: "Fahrer und Fahrerinnen werden schon lange gesucht. Eine Taktverdichtung ist auf einigen Strecken sicher nötig, das wird aber nur begrenzt möglich sein." Gerade der Schienenverkehr sei schon jetzt häufig am Limit. Der Fachkräftemangel betrifft auch den ÖPNV und wird für diesen auch in naher Zukunft ein gewaltiges Problem bleiben.
Mit Fahrrädern könnte es eng werden
Somit müssen sich Fahrgäste besonders im Freizeitverkehr auf stärker ausgelastete Verkehrsmittel einrichten. Die Schlichtungsstelle Nahverkehr der Verbraucherzentrale NRW vermutet bereits am 1. Mai direkte Auswirkungen auf den Freizeitverkehr. Besonders bei der Mitnahme von Fahrrädern könnten Züge an ihre Kapazitätsgrenzen kommen.
Auch Detlef Neuß vom Fahrgastverband Pro Bahn e.V. rechnet damit: "In den Ballungsräumen müssen sich die Fahrgäste auf vollere Busse und Bahnen einstellen". Im ländlichen Raum dürfte aber das Deutschlandticket nur geringe Auswirkungen haben, da dort die Strecken schlecht ausgebaut sind.
Umstieg kann sich finanziell lohnen
Dieses Problem betrifft auch Britta Sabel. Auch wenn sie es sich wünscht, kommt der Umstieg auf den ÖPNV für sie zurzeit nicht in Frage, das Deutschlandticket ist für sie keine attraktive Alternative. Sie fährt viermal in der Woche mit dem Auto zur Arbeit: 30 Kilometer von Köln-Porz nach Frechen im Kölner Umland.
"Die Fahrt von mir zu Hause bis zur Arbeit dauert mit dem Auto in der Regel 25 Minuten", sagt sie. "Würde ich auf Bus und Bahn umsteigen, hätte ich eine reine Fahrzeit von mindestens 75 Minuten. Und das nur, wenn es glattläuft." So wie Sabel werden sich wohl viele entscheiden. Und daher sei nicht absehbar, ob durch die Einführung des Deutschlandtickets eine Entlastung des Berufsverkehrs auf den Straßen zu erwarten ist, so die Schlichtungsstelle Nahverkehr.
"Nicht nur Preis ausschlaggebend"
Kann also das Deutschlandticket zur erhofften Mobilitätswende beitragen? Vizepräsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen, Knut Ringat, glaubt das schon: "Dass künftig doppelt oder dreifach so viele Menschen mit einem Job-Ticket unterwegs sind, ist durchaus denkbar." Denn für Berufspendler kann sich der Umstieg zum ÖPNV vor allem finanziell lohnen.
Allerdings spielen auch andere Faktoren dabei eine Rolle. Die Schlichtungsstelle Nahverkehr mahnt an: "Für den Umstieg vom Individualverkehr auf den öffentlichen Verkehr ist nicht nur der Preis ausschlaggebend, sondern auch Komfort, Reisezeit, Erreichbarkeit, Taktung, Sauberkeit und Sicherheit."