Schienenverkehr in Europa Was den Nachtzügen noch fehlt
Drei Mal pro Woche verbindet nun ein "Nightjet" der Österreichischen Bundesbahnen Berlin und Paris. Das österreichische Nachtzugnetz ist mittlerweile profitabel. In Deutschland rollen wenige Nachtzüge.
Ruhe ist im Liegewagen zunächst nicht angesagt: Die Champagner-Korken knallen, denn Juliette feiert ihren 47. Geburtstag. Die Pariserin hat auf einen Nachtzug-Trip nach Berlin eingeladen. Gut gelaunt erhebt sie mit ihren Freundinnen das Glas auf die deutsch-französische Freundschaft und freut sich über die neue Verbindung.
Abfahrt in Paris ist kurz nach 19 Uhr. Vergangene Woche ist der erste "Nightjet" in Richtung Berlin gestartet. Begeisterte Nachtzug-Fans haben zum Abschied die Europahymne gesungen und auf bunten Plakaten für weitere Verbindungen geworben.
Mittlerweile ruckeln die dunkelblauen "Nightjet"-Wagons bei Nieselregen durch die Pariser Vorstädte. Die Schlaf- und Liegewagenbetreuer haben schon alle Hände voll zu tun: Einige Fahrgäste sind noch immer auf der Suche nach ihrem Abteil, andere warten bereits ungeduldig auf ihre Gulaschsuppe. Einen Speisewagen gibt es nicht, dafür werden die Reisenden direkt am Bett bedient.
20 Nightjet-Verbindungen in Europa
Nachtzüge sind wieder im Kommen: Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), die auch die Strecke Paris-Berlin betreiben, haben ihr Netz in den vergangenen Jahren stetig ausgebaut. Mehr als 20 "Nightjet"-Verbindungen gibt es in Europa. Hinzu kommen private Startups wie "European-Sleeper" auf der Verbindung Berlin-Brüssel, oder die Schwedischen Staatsbahnen SJ mit einem EuroNight von Berlin nach Stockholm.
Tickets im Sitzwagen gibt es laut den ÖBB ab 34,90 Euro, im Liegewagen ab 54,90 Euro und im Schlafwagen ab 79,90 Euro. Die Preise sind jedoch dynamisch und können bei hoher Nachfrage schnell in die Höhe steigen.
Flugzeug sehr oft günstiger als die Bahn
Eine im Juli veröffentlichte Greenpeace-Studie zeigt: Auf 112 untersuchten europäischen Strecken ist in 70 Prozent der Fälle die Reise mit dem Flugzeug günstiger als mit der Bahn. Ein Grund hierfür sei die strukturelle Benachteiligung der Schiene gegenüber dem Luftverkehr, beklagt der Vorsitzende des Vereins "Back-on-Track Deutschland", Juri Maier. Das europaweite Netzwerk setzt sich für mehr Nachtzüge ein.
Für Deutschland regt Maier eine Streichung der Mehrwertsteuer für internationale Bahntickets an. In den meisten anderen EU-Ländern sei dies bereits der Fall - und internationale Flüge seien ebenfalls von der Mehrwertsteuer befreit. Österreich habe kürzlich gezeigt, wie einfach eine Gesetzesänderung sei, so Maier.
Nachtzüge sind profitabel
Im "Nightjet" von Paris nach Berlin ist im Abteil nebenan der Berliner IT-Student Théo mit seinem Handy beschäftigt. Regelmäßig pendelt er zu seinen Eltern nach Paris, zufällig ist er auf die neue Verbindung gestoßen. Mit seinen Piercings und den grünen Haaren hat sich der gebürtige Franzose zumindest schon optisch an seine Wahlheimat angepasst.
Die neue Linie zwischen den beiden Hauptstädten hat Symbolcharakter und ist deren einzige Direktverbindung auf Schienen. 2014 hatte die Deutsche Bahn den Paris-Nachtzug gestrichen, bevor sie 2016 vollständig aus dem Geschäft ausstieg. Mit ihren teilweise mehr als 40 Jahre alten Zügen fuhr sie nach eigenen Angaben Millionenverluste ein. Mittlerweile kooperiert sie im Rahmen einer Nachtzugallianz mit den ÖBB und weiteren europäischen Bahnen.
Die Österreicher übernahmen damals einige Linien und Wagenmaterial von der Deutschen Bahn. Mit Erfolg: Die Fahrgastzahlen im Nachtgeschäft steigen jedes Jahr weiter an. Mit ihrem Nachtzugnetz schreiben die ÖBB mittlerweile schwarze Zahlen und sind Marktführer in Europa geworden. Gerade erst haben sie 720 Millionen Euro in 33 neue "Nightjet"-Züge des Herstellers Siemens investiert.
Zu hohe Trassenpreise in Deutschland?
Kurz nach Mitternacht überquert der Zug bei Straßburg den Rhein und damit die Grenze zu Deutschland. Zum Takt der Schienen finden immer mehr Fahrgäste in den Schlaf. Es wird ruhig auf den Gängen, die Champagnerflaschen sind mittlerweile ausgetrunken. Auch Théo hat sich schlafen gelegt. Er ist dankbar über die neue Direktverbindung im Liegewagen. Schon oft habe er in Frankfurt den letzten Anschluss verpasst, und seine Reise wurde ungewollt zur Nachtfahrt. In Mannheim wird der vordere Zugteil in Richtung Wien abgekoppelt.
Was machen die Österreicher anders als die Deutschen? Juri Maier von "Back-on-Track" sieht die Wurzeln des Erfolgs in einem veränderten Umweltbewusstsein vieler Menschen. Die Bereitschaft, mehr für nachhaltige Verkehrsmittel zu zahlen, sei gestiegen. Deshalb lohne sich das Geschäft wieder, so Maier. Dennoch könne sich nur ein kleiner Teil der Gesellschaft Tickets im Schlaf- und Liegewagen leisten.
Um weitere Schlafwagen auf die Schiene zu bringen, müssten die Trassenpreise gesenkt werden, sagt Juri Maier. Nachtzüge profitieren in Deutschland zwar seit kurzem von einem ermäßigten Trassentarif, zahlen jedoch trotzdem noch den doppelten Grundpreis pro Kilometer. Andere EU-Länder scheinen hier weiter: In Frankreich sind Nachtzüge von einem Teil der Trassengebühren befreit. In Belgien werden diese samt Energiekosten vom Staat erstattet.
In Frankreich staatlich subventioniert
Als der Schlafwagen-Schaffner um kurz vor acht Uhr den Fahrgästen das Frühstück ans Bett bringt, hat der Nachtzug gerade Erfurt hinter sich gelassen. Der frisch gebrühte Kaffee lässt Juliette und ihre Freundinnen langsam wach werden, während im Morgennebel endlose Felder am Fenster vorbeiziehen. So sanft und entschleunigt in Deutschland anzukommen sei doch am schönsten, meint sie.
Auch wenn die französischen Fahrgäste die Fahrt durch Deutschland genießen: Die grundlegenden Rahmenbedingungen für Nachtzüge sind hierzulande noch verbesserungsfähig. "Wo ein politischer Wille ist, sind auch mehr Schienenwege" schreibt das Netzwerk "Back-on-Track". Im Nachbarland Frankreich werden die "rollenden Hotels" staatlich subventioniert.
Mit etwas mehr als einer Stunde Verspätung erreicht der "Nightjet" aus Paris schließlich gegen 10 Uhr den Berliner Hauptbahnhof. Théo schwingt sich seinen großen Rucksack auf die Schultern und winkt zum Abschied. Juliette und ihre Freundinnen brauchen etwas länger. Als die Pariserinnen schließlich auf dem Bahnsteig stehen, rufen sie erfreut: "Bonjour Berlin!"