Steigende Preise "Gefühlte Inflation" bei 18 Prozent
Die von Verbrauchern wahrgenommene Inflation ist einer Studie zufolge in Deutschland dreimal so hoch wie die tatsächlich ermittelte Teuerungsrate. Was sind die Gründe für die Diskrepanz?
Die von den Menschen wahrgenommene Inflationsrate in Deutschland lag im Mai laut einer Studie des Kreditversicherers Allianz Trade bei 18 Prozent. Damit sei sie fast dreimal so hoch gewesen wie die offiziell ermittelte Teuerung von 6,1 Prozent.
Im Allgemeinen sei die Inflation in der Wahrnehmung höher als die gemessene Teuerung, heißt es in der Analyse. Die aktuelle Inflationsdynamik habe aber die Kluft zwischen wahrgenommener und tatsächlicher Inflation verstärkt.
Einfluss auf das Kaufverhalten
"Die gefühlte und die tatsächliche Inflation klaffen insbesondere in Deutschland weit auseinander", sagt Jasmin Gröschl, Senior Volkswirtin bei Allianz Trade. In der Euro-Zone insgesamt lägen beide Werte um rund neun Prozentpunkte auseinander, in Deutschland dagegen um rund elf.
"Das ist nicht unerheblich, denn die gefühlte Inflation beeinflusst das Handeln der Verbraucher stark, zum Beispiel beim Kaufverhalten", so Gröschl. "Diese Diskrepanz spielt also gerade für die Wirtschaft und die Unternehmen sowie für die Zinspolitik eine wichtige Rolle."
Tägliche Einkäufe prägen die Wahrnehmung
Die Experten sind auch den Gründen für diese hohe Diskrepanz nachgegangen, die mit der Zusammensetzung des Warenkorbs und dem tatsächlichen Kaufverhalten der Verbraucher zusammenhängt. Demnach achten Verbraucher stärker auf Preisänderungen bei häufig anfallenden Einkäufen, etwa von Lebensmitteln und Getränken, Kraftstoff oder anderen Supermarkt-Artikeln. "Wenn dort diese Preise überdurchschnittlich steigen, neigen die Menschen dazu, eine wesentlich höhere Teuerung zu empfinden", hieß es.
Im Mai waren in Deutschland beispielsweise die Preise für Lebensmittel um 14,9 Prozent verglichen mit dem Vorjahr gestiegen. Die Lebensmittelpreise sind derzeit der mit Abstand stärkste Preistreiber unter den Güterbereichen, wie das Statistische Bundesamt mitteilt.
Psychologische Aspekte
Aber auch psychologische Aspekte, demografische und regionale Unterschiede sowie individuelles Konsumverhalten könnten dazu führen, dass Verbraucher den Preisanstieg anders beurteilen als die offizielle Messung. Wie die Allianz-Experten feststellen, neigen Menschen in ihrer Wahrnehmung dazu, sich auf besonders deutliche Fälle von Preissteigerungen zu konzentrieren. Umgekehrt würden stabile oder sinkende Preise tendenziell nicht wahrgenommen, so die Einschätzung. So entstehe ein verzerrtes Bild und eine starke Diskrepanz zwischen der wahrgenommenen und tatsächlichen Inflation.
Hinzu komme, dass die Inflationsraten je nach Region, Stadt oder sogar Stadtteil variieren können. Offizielle Messungen stützten sich auf nationale oder regionale Durchschnittswerte, die möglicherweise nicht genau der Situation vor Ort entsprächen, schreiben die Autoren.
EU-Teuerungsraten klaffen auseinander
Innerhalb Europas klafften die offiziellen Teuerungsraten zuletzt weit auseinander. Im Mai reichte die Spanne den Angaben zufolge von 2,8 Prozent in Griechenland bis 21,5 Prozent in Ungarn. Im Nachbarland Österreich war die Inflation mit 8,8 Prozent höher als in Deutschland (6,1 Prozent) und der Schweiz (2,2 Prozent).
"Schlüsselfaktoren bei der Inflation sind die geografische Nähe zu Russland, die Abhängigkeit von Energie- und Lebensmittelimporten, staatliche Eingriffe zur Senkung einzelner Preise und die Stärke der jeweiligen Währung", sagte Gröschl.
In Deutschland kommen demnach alle Faktoren, die die Inflationsrate beeinflussen, zum Tragen: Die hohe Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland habe die Energierechnungen stark ansteigen lassen. Dem wirkte die Bundesregierung mit der Strom- und Gaspreisbremse entgegen. In der Euro-Zone insgesamt habe ein schwacher Euro die Inflation erhöht, da in Dollar gehandelte Rohstoffe wie Öl oder Gas dadurch teurer geworden sind.