VW-Abgasaffäre im EU-Parlament Wut und Ratlosigkeit in Straßburg
Wusste die EU-Kommission etwa von dem Manipulations-Skandal, bevor er öffentlich wurde? Das war eine der am häufigsten gestellten Fragen im EU-Parlament in Straßburg. Und warum handelte sie dann nicht frühzeitig?
Es war die Frage, die sich alle EU-Parlamentarier gestern in Straßburg stellten, ganz gleich welcher Nationalität und Parteizugehörigkeit: "War die EU-Kommission über die Täuschungssoftware informiert, bevor die VW-Abgas-Affäre öffentlich wurde?", fragte der niederländische EU-Parlamentarier Bas Eickhout von den Grünen.
Verschiedene Berichte - unter anderem von der kommissionseigenen Forschungseinrichtung - verwiesen auf eine unerklärliche Diskrepanz zwischen den faktischen Emissionen und den Laborwerten. "Wenn die EU-Kommission also mehrfach von ihren eigenen Umweltbeamten und Chemikern auf diese massiven Auffälligkeiten aufmerksam gemacht wurde, warum handelte sie dann nicht? Und initiierte keine eigenen Untersuchungen?", fragte der niederländische Parlamentarier eindringlich die zuständige EU- Industriekommissarin.
Von den Prüfstellen der Mitgliedsstaaten abhängig
Ganz einfach: Weil die EU-Kommission in Brüssel zwar hervorragende Chemiker, Physiker und Maschinenbauingenieure in den Reihen ihrer Umweltbeamten hat. Aber, so betonte Junckers Industriekommissarin Elsbieta Bienkowska in Straßburg: "Die Kommission hat dennoch nicht die Kraft, eigene Untersuchungen im Automobilsektor durchzuführen." Die Kommission in Brüssel sei deshalb völlig von den Prüfbehörden der Mitgliedsstaaten abhängig. Das sei aber kein Grund zur Beunruhigung, schließlich leisteten die nationale EU-Aufsichtsbehörden exzellente Arbeit.
"Ach so", konterte daraufhin ironisch der Abgeordnete Eickhout, dann sei ja alles in Ordnung. "Wir von der EU-Kommission haben alles im Griff, ihr EU-Parlamentarier könnt Euch schlafen legen, so bilanziere ich ihre Rede."
Keine Warnung aus Washington
Einen Verdacht wollte Kommissarin Bienkowska auf keinen Fall im Raum stehen lassen: Dass die Juncker-Kommission von einigen Mitgliedsstaaten längst über den VW-Skandal informiert war und sich ahnungslos stellte. Weder von der amerikanischen Umweltbehörde EPA noch von irgendwelchen EU-Staaten sei man vorgewarnt worden. Im Gegenteil. Die EU-Kommission habe die amerikanische Umweltbehörde nach deren Enthüllung der VW-Affäre kontaktiert.
In einem Punkt sind sich die EU-Kommission und die Parlamentarier einig: Es müssen so schnell wie möglich sowohl für Diesel wie auch für Benziner realistische Tests eingeführt werden: "Tests, die unter realen Fahrbedingungen stattfinden. Da braucht man dann einen mobilen Anhänger, der das misst - das ist alles möglich", schlägt Gesine Meissner von den Liberalen vor.
Industriepolitik gegen die Krise
Während der sozialdemokratische EU-Parlamentarier Bernd Lange betonte, VW müsse jetzt die Betrüger beim Namen nennen, dürfe aber als einer der wichtigsten und größten Arbeitgeber Europas auf keinen Fall in seiner Existenz gefährdet werden. Es gehe um das Schicksal von 600.000 VW-Mitarbeitern weltweit, so Lange: "Wir müssen industriepolitische Akzente setzen, damit die Kolleginnen und Kollegen bei Volkswagen und bei den Zulieferern nicht in Gefahr kommen."
Die EU-Kommission sei deshalb jetzt industriepolitisch gefordert, meint auch EU-Parlamentarier Bernd Lucke. Die entscheidende Frage sei jetzt: "Was ist, wenn möglicherweise VW in den Bankrott gerät?" Auf keinen Fall dürfe der Steuerzahler dann zur Kasse gebeten werden. Luckes Vorschlag: "Dass wir ähnlich wie bei den Banken, auch eine Art von Absicherung auf Gegenseitigkeit für Industrieunternehmen schaffen."
Nach dem Banken- also ein Autorettungsfond. Tatsache ist: Die VW-Krise bedroht mittlerweile die wirtschaftliche Erholung in Osteuropa. Denn VW ist in der Slowakei, in Ungarn und Polen einer der wichtigsten Wirtschaftsmotoren. Sie fühle dringenden Handlungsdruck, betonte denn auch die ehemalige polnische Ministerpräsidentin und jetzige EU-Kommissarin Bienkowska am Ende ihres Auftritts in Straßburg.