Sammelklage gegen VW Zweifel bei einer zentralen Frage
Mit einer Musterklage versuchen Hunderttausende Dieselfahrer, von VW eine Entschädigung zu bekommen. Das Gerichtsverfahren hat begonnen - und zeigt, wie schwierig die Urteilsfindung wird.
Ob es am stürmischen Wetter liegt? Die 300 Plätze in der Stadthalle Braunschweig sind jedenfalls höchstens zur Hälfte gefüllt. Kamerateams wuseln vor der Richterbank und vor den Plätzen der Anwälte beider Seiten. Einige betroffene Dieselkäufer sind da, außerdem zahlreiche Journalisten.
Mehr als 400.000 Autofahrer haben sich der Musterfeststellungsklage angeschlossen. Der Bundesverband der Verbraucherzentrale übernimmt dabei quasi stellvertretend die Rolle des Klägers. Das Musterverfahren soll grundlegende Punkte klären. In einem zweiten Schritt müsste dann jeder Betroffene noch eine konkrete Summe einklagen.
Das Medieninteresse ist groß, als die drei Richter am Oberlandesgericht Braunschweig den Saal der Stadthalle betreten.
Ansprüche "sehr ernsthaft in Betracht zu ziehen"
Um genau 10.06 Uhr kommt der Senat mit zwei Richtern und einer Richterin in den Saal. Besonders viel Vorgeplänkel gibt es nicht. "Wir wollen mitteilen, was unsere vorläufigen Gedanken sind", beginnt der Vorsitzende Richter Michael Neef. Gemeint sind Gedanken zu den rechtlichen Knackpunkten der Klage. Denn die Musterfeststellungsklage gibt nur den Rahmen für das Verfahren vor. Die inhaltlichen Fragen sind in (fast) jedem Dieselverfahren gleich.
Vertragliche Ansprüche sieht Neef nicht, denn die Kläger haben ihre Autos ja meistens nicht direkt bei VW gekauft, sondern beim Händler. Aber im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) steht ja noch eine Menge mehr. Hat VW die Autokäufer - wie es in §826 BGB steht - sittenwidrig vorsätzlich geschädigt und muss daher grundsätzlich zahlen? Viele Oberlandesgerichte aus ganz Deutschland haben dazu gesagt: Ja, das muss VW. Diese Urteile zitiert Neef. Ins Protokoll nimmt er auf, solche Ansprüche werden "sehr ernsthaft in Betracht zu ziehen sein". Ein gutes Zeichen für die Verbraucher? Da ist Vorsicht angebracht.
Zweifel am Schaden
Denn der Vorsitzende Richter sagt auch, dass es eine Menge Gegenargumente gebe. Vor allem hat er Zweifel bei einer zentralen Frage: Wenn die Kunden Schadensersatz bekommen sollen, wo genau liegt eigentlich ihr Schaden? Wie und ab wann wird der berechnet? Immerhin würden die Autos weiter genutzt - und könne da nicht auch das Softwareupdate eine Rolle spielen, das bei fast allen Autos aufgespielt wurde? Andere Gerichte hatten bei diesem Punkt keine Probleme. Aber so offensichtlich sei das eben nicht, sagt Neef.
Nutzungsersatz abziehen?
Und noch einen umstrittenen Punkt gibt es, der sich direkt im Portemonnaie der Betroffenen auswirken kann. Falls den Kunden am Ende doch Schadensersatz zustehen sollte, dann müsste man ihnen wohl etwas davon abziehen, so die vorläufige Einschätzung des Gerichts. Denn die Kunden hätten das Auto ja die ganze Zeit genutzt. Das bedeutet aber auch: Je länger sich ein Gerichtsverfahren hinzieht, desto länger nutzt man sein Auto und desto geringer kann die Summe am Ende werden.
Wie alle anderen strittigen Punkte wird diese Frage über kurz oder lang nicht nur die Braunschweiger Richter, sondern auch den Bundesgerichtshof und den Europäischen Gerichtshof für eine abschließende Klärung beschäftigen.
Der Vorsitzende Richter Michael Neef hat einen Vergleich ins Spiel gebracht, den VW jedoch als "kaum vorstellbar" bezeichnet.
Richter bringt Vergleich ins Spiel
Könnte man das nicht abkürzen, zum Beispiel mit einem Vergleich? Das bringt der Vorsitzende von sich aus ins Spiel. Richter sollen in jedem Stadium des Verfahrens auf einen Vergleich hinwirken. VW bleibt dabei, das sei derzeit "kaum vorstellbar", weil es so viele unterschiedliche Fallkonstellationen gebe.
Man einigt sich im Gerichtssaal darauf, möglichst schnell die genaue Zahl der eingetragenen Kläger beim Bundesamt für Justiz abzufragen, damit die wirtschaftliche Dimension eines Vergleichs zumindest ansatzweise absehbar wäre. Stand jetzt scheinen die Chancen eher schlecht zu stehen, aber das Thema kommt auf Wiedervorlage. Am 18. November ist der zweite Verhandlungstag geplant.