Konjunkturmaßnahmen Wie China die Flaute überwinden will
Die chinesische Wirtschaft schwächelt. Die Regierung in Peking versucht, die Konjunktur mit unterschiedlichen Maßnahmen anzukurbeln. So sollen etwa kleinere Firmen für mehrere Jahre von der Mehrwertsteuer befreit werden.
Es ist nicht das erste Mal, dass die chinesische Regierung Maßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft beschließt. Diesmal richten sie sich vor allem an kleinere Betriebe, die unter den Nachwehen der strikten Corona-Maßnahmen leiden, die in China lange Zeit galten: Firmen mit einem monatlichen Umsatz von weniger als 100.000 Yuan (12.737 Euro) sollen für vier weitere Jahre von der Mehrwertsteuer befreit bleiben. Das hat das chinesische Finanzministerium heute angekündigt. Unternehmen, die bislang drei Prozent auf steuerpflichtige Umsätze zahlten, müssen künftig nur noch ein Prozent an den Fiskus abzuführen.
Zudem sollen die Zinserträge aus Kleinstkrediten von Banken bis Ende 2027 von der Mehrwertsteuer befreit werden, und auch Start-ups aus der Technologie-Branche will die Regierung gezielter fördern: Unternehmen mit nicht mehr als 300 Mitarbeitenden und einem Bruttovermögen und Jahresumsatz von jeweils höchstens 50 Millionen Yuan sollen laut Ministerium bis Ende 2027 ebenfalls in den Genuss steuerlicher Vergünstigungen kommen.
Dazu passt die bereits gestern von Industrie- und Finanzministerium, Finanz- und Wertpapieraufsichtsbehörden und der chinesischen Zentralbank angekündigte finanzielle Unterstützung für kleine Unternehmen: Die Institutionen wollen Banken dazu ermutigen, kleinen und mittleren Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe beispielsweise Produkte zur Währungsabsicherung anzubieten. So sollen sie finanziell unterstützt werden.
Wirtschaft soll um 5,2 Prozent wachsen
Die zahlreichen Maßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft, die derzeit nahezu täglich aus Peking vermeldet werden, kommen angesichts der aktuellen Schwierigkeiten der chinesischen Wirtschaft nicht überraschend. Zwar prognostiziert der Internationale Währungsfonds (IWF) der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt in diesem Jahr noch immer ein Wachstum von 5,2 Prozent, nachdem das Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr nur ein Plus von 3,0 Prozent erreicht hatte.
Doch die chinesische Wirtschaft leidet unter einem Nachfragemangel. Das zeigt sich unter anderem an der Entwicklung des Verbraucherpreisindex. Der ist im Juni im Jahresvergleich unverändert geblieben und sank im Vergleich zum Vormonat um 0,2 Prozent. Damit steht die chinesische Wirtschaft vor einer Deflation: Die Preise sinken und die Kaufkraft der Bevölkerung steigt. Was auf den ersten Blick verlockend klingt, ist allerdings problematisch, da eine sinkende Nachfrage auch die Umsätze und Gewinne der Unternehmen sinken lässt.
Stimmung in der Industrie bleibt schlecht
In der chinesischen Industrie ist das bereits spürbar: Die Gewinne der Unternehmen sind in der ersten Jahreshälfte eingebrochen. Sie fielen nach Angaben des chinesischen Statistikamts um 16,8 Prozent geringer aus als in den ersten sechs Monaten 2022. Besonders stark brachen in den ersten sechs Monaten die Gewinne staatlicher Unternehmen ein. Sie fielen um 21 Prozent, die der privaten Betriebe dagegen nur um 13,5 Prozent.
Zwar ist Besserung in Sicht: Im Juni war der Rückgang der Gewinne mit 8,3 Prozent nicht mehr so groß wie noch im Mai mit einem Minus von 12,6 Prozent. Die Industriegewinne "haben ihren Rückgang seit Jahresbeginn von Monat zu Monat verringert", sagte Sun Xiao vom Statistikamt.
Dennoch ist man in den Chefetagen der kleineren und mittleren, aber auch der großen und staatlich dominierten Industrieunternehmen nicht gerade optimistisch, was den Blick in die Zukunft betrifft: Der Einkaufsmanagerindex zur Stimmung in den Chefetagen kleinere und mittlerer sowie nicht staatlich dominierter chinesischen Industrieunternehmen sank im Juli um 1,3 auf 49,2 Punkte, wie der Finanzdienstleister S&P gestern mitteilte. Der staatliche Einkaufsmanagerindex (PMI) für das verarbeitende Gewerbe großer und staatlich dominierter Industrieunternehmen, den das Statistikamt bereits am Montag veröffentlichte, zog im Juli zwar leicht auf 49,3 Punkte an; allerdings liegen beide Barometer damit weiterhin unterhalb der wichtigen Marke von 50, ab der sie Wachstum signalisieren.
Jugendarbeitslosigkeit bei mehr als 20 Prozent
Besonders belastend ist die sinkende Zahl der neuen Auftragseingänge, mit der sich die chinesische Wirtschaft konfrontiert sieht. Im Juli fielen Neuaufträge und Produktion jeweils so schwach aus wie seit dem Jahreswechsel nicht mehr. "Sinkende Auftragseingänge, trübe Beschäftigungsaussichten und hohe Lagerbestände deuten auf eine gedämpfte Industrietätigkeit in den kommenden Monaten hin", sagte Analyst Shivaan Tandon von Capital Economics mit Blick auf die asiatischen Schwellenländer.
Die Unternehmen reagieren auf die mangelnde Auslastung ihrer Kapazitäten mit Entlassungen oder stellen erst gar keine neuen Mitarbeiter an. In China zeigt sich das besonders gravierend an der hohen Jugendarbeitslosigkeit, die bei mehr als 20 Prozent liegt. Es ist also kaum verwunderlich, dass auch der Binnenkonsum schwächelt, zumal auch das soziale Sicherungssystem in China schwach ist und die Bevölkerung eher dazu angeregt, zu sparen und sich selbst zu versichern.
China will Konsum ankurbeln
Auch hier will die Regierung in Peking mit zahlreichen Maßnahmen die Nachfrage ankurbeln. So hatte der Staatsrat zuletzt eine Förderung für den Kauf von Elektroautos beschlossen und will den Tourismus ankurbeln. So sollen zur Förderung des Tourismus etwa die Eintrittsgebühren in Naturschutz-Parks gesenkt werden oder bei geringer Nachfrage gar ganz gestrichen werden.
Zudem soll Wohnraum bezahlbarer werden. Doch gerade das dürfte eine harte Probe für die chinesische Wirtschaft sein. Denn obwohl bereits im vergangenen Jahr nach der drohenden Pleite des Immobilienentwickler Evergrande die Regulierungen deutlich verschärft wurden, damit Wohnraum nicht für Spekulationen genutzt wird, bleibt er weiterhin teuer.
Mit Informationen von Lilli-Marie Hiltscher, ARD-Finanzredaktion.