Atomkraftwerk Penly, Frankreich

Frankreich und Deutschland Neuer Streit über Atomstrom

Stand: 13.02.2023 16:20 Uhr

Frankreich fordert, mit Atomstrom erzeugten Wasserstoff als "grün" einzustufen. Auch die EU-Kommission befürwortet das - unter bestimmen Bedingungen. Deutschland ist dagegen. Droht neuer Streit über die Zukunft Erneuerbarer Energien?

Die Europäische Kommission hat eine europaweit einheitliche Definition von "grünem" Wasserstoff vorgestellt. Wasserstoff soll demnach "nur dann als erneuerbarer Wasserstoff gelten, wenn er aus Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt wird", erklärte die EU-Kommission am Montag. Unter bestimmten Bedingungen soll demnach auch mit Hilfe von Atomenergie hergestellter Wasserstoff als nachhaltig gelten.

Vor allem Frankreich mit seinem hohen Atomstrom-Anteil wollte eine Einstufung als "grüner" Wasserstoff - darum droht auch Streit mit Deutschland. Denn Deutschland positioniert sich dagegen. "Wir lehnen dies als Bundesregierung gemeinsam mit anderen Staaten klar ab", sagte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums auf Anfrage von tagesschau.de.

Zählt "roter" Wasserstoff für die Klimaziele?

In Brüssel wird derzeit die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) verhandelt. Sie soll den Ausbau Erneuerbarer Energien fördern. Laut der Nachrichtenagentur Reuters hatten Minister aus den Ländern Frankreich, Polen, der Tschechische Republik und sechs weiteren Mitgliedsländern der EU-Kommission in einem Schreiben vorgeschlagen, sogenannten kohlenstoffarmen oder "roten" Wasserstoff als Erneuerbare Energie in die EU-Klimaziele aufzunehmen. Beide Begriffe werden für Wasserstoff verwendet, der mit Atomstrom erzeugt wird.

Die Bundesregierung und die Mehrheit der anderen EU-Staaten befürchten jedoch, dass dies den Ausbau von Wind- und Solarenergie bremsen würde. "Atomenergie ist keine erneuerbare Energieform", sagte ein EU-Beamter, der davor warnte, die Ziele für Erneuerbare Energien zu "verwässern".

Allerdings: Die Bundesregierung stimmte zuvor einer französischen Forderung zu, Atomstrom zumindest bei den europäischen Entkarbonisierungszielen anzurechnen. In Regierungskreisen in Berlin zeigte man sich deshalb verwundert über den neuen französischen Vorstoß.

Paris droht Pipeline-Projekt zu verzögern

Der aufkommende Streit könnte nun gar die kürzlich vereinbarte Kooperation beim Bau der geplanten milliardenschweren Wasserstoff-Pipeline tangieren, die von Frankreich vorangetrieben und von Spanien und Deutschland unterstützt wird. Sie soll von der iberischen Halbinsel über Frankreich nach Mitteleuropa führen und bis 2030 etwa zehn Prozent des Wasserstoffbedarfs der Europäischen Union decken. Frankreich aber droht nun vor dem Hintergrund der neuerlichen Differenzen, dieses Projekt zu verzögern.

EU-Diplomaten wiesen allerdings darauf hin, dass Frankreich durchaus mit Atomstrom produzierten Wasserstoff in diese Pipeline einspeisen könnte. Wie beim Atomstrom sei in einem gemeinsamen europäischen Leitungsnetz nicht mehr zu unterscheiden, wie Wasserstoff oder Strom produziert worden seien - ob es sich also beispielsweise um "roten" (Atom), "grünen" (Wind, Wasser, Sonne) "türkisen" (Methan) oder "grauen" (Erdgas, Kohle, Öl) Wasserstoff handelt.

Nicht der erste Streit über Energieformen

Es ist nicht der erste Streit über die Zukunft Erneuerbarer Energien in der EU. Im vergangenen Jahr sorgte der sogenannte EU-Taxonomiestreit für Aufsehen. Hintergrund ist, dass die EU bis 2050 klimaneutral werden will. Dafür braucht es rund 350 Milliarden Euro Investitionen, schätzt die EU-Kommission. Die Taxonomie soll Finanzprodukte gemäß ihrer Nachhaltigkeit kategorisieren und dabei helfen, dass Anleger ihr Geld eher in umwelt- und klimafreundliche Wirtschaftsbereiche investieren.

Viele Wissenschaftler, Umweltschützer sowie einige Investoren kritisieren jedoch, dass die Taxonomie "Greenwashing" - also die Einstufung von nicht nachhaltigen Technologien als nachhaltig - fördere, anstatt sie zu verhindern. Denn das EU-Parlament stimmte im Juli 2022 dafür, sowohl Atomkraft als auch Gas in die Taxonomie aufzunehmen. Beide Energieformen gelten damit seit dem 1. Januar 2023 als klimafreundlich, was einer Empfehlung an Finanzmärkte gleichkommt, darin zu investieren. Die Bundesregierung unterstützte dies mit dem Argument der Nutzung einer "Brückentechnologie".

"Der Entwurf der EU-Kommission könnte also zur Fehlallokation von Kapital in substanzieller Höhe führen", kritisiert Karsten Löffler, Nachhaltigkeitsexperte der Frankfurt School of Finance and Management. Er war Mitglied der technischen Expertengruppe, die Vorschläge für die EU-Taxonomie gemacht hat. Die Umweltorganisation Greenpeace kündigte jüngst an, im April gegen diese Einstufung beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg Klage einzureichen. Auch Österreich und Luxemburg wollen klagen. Deutschland schließt sich nicht an. Zusätzlich könnte Frankreichs Forderung, aus Atomstrom hergestellten Wasserstoff als klimafreundlich einzustufen, den Taxonomiestreit nun wieder hochkochen lassen.

"Pipeline-Ausbau getrennt von Taxonomie-Diskussion sehen"

Die Bundesregierung möchte sich von Frankreichs Drohung, das Pipeline-Projekt zu verzögern, jedenfalls nicht beeindrucken lassen: "Hier sind mehrere Länder beteiligt, nicht nur Frankreich. Deshalb muss man den Pipeline-Ausbau nach unserer Auffassung getrennt von der Taxonomie-Diskussion sehen", so die Sprecherin des Wirtschaftsministeriums gegenüber tagesschau.de. Außerdem habe sich Frankreich klar zur Pipeline bekannt.

Das Argument, dass man gerade in Zeiten des Energienotstandes auch auf Atomkraft zurückgreifen müsse, kann Nachhaltigkeitsexperte Löffler indes nicht verstehen: "Die Taxonomie legt nicht fest, was man machen darf oder nicht. Es geht um ein Label, das dem Finanzmarkt erleichtern soll, Investitionsentscheidungen zu treffen." Man könne darüber diskutieren, welche Energieformen noch eine Weile sinnvoll sein können, aber man könne wenig nachhaltige Energie wie Atomkraft deshalb nicht als klimafreundlich labeln.