Wirtschaftsnobelpreis Auszeichnung für Arbeitsmarktforscher
Der typische Gewinner des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften ist meist ein älterer Herr, der an einer renommierten US-Universität lehrt und forscht. Das ist auch diesmal nicht anders. Und doch gibt es eine Überraschung.
Von Lothar Gries, tagesschau.de
Als 2015 in Deutschland der Mindestlohn eingeführt wurde, war der Jammer groß. Von Massenentlassungen, sterbenden Dienstleistungs- und Berufszweigen war im Vorfeld die Rede. Dabei hätten die Kritiker es besser wissen können, wenn sie die Studien des kanadischen Arbeitsmarktexperten David E. Card gelesen hätten. Der Forscher von der University of California (UC) in Berkeley hatte bereits in den frühen 1990er Jahren aufgezeigt, dass eine Erhöhung des Mindestlohns nicht zwangsläufig zu weniger Arbeitsplätzen führt. Heute wurde dem Forscher dafür der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften verliehen.
Mindestlohn stärkt Kaufkraft
Card verglich die Auswirkungen von Mindestlohn-Erhöhungen im Bundesstaat New Jersey auf die Beschäftigung in Fast-Food-Restaurants mit der Lage im benachbarten Pennsylvania, wo es eine solche Lohnuntergrenze nicht gab. Dabei kam Card zu einem für viele überraschenden Ergebnis: Trotz der Anhebung des Mindestlohns nahm in New Jersey die Beschäftigung zu - weil sich die lokale Kaufkraft verbesserte. Damit widerlegte Card die These, dass die Höhe der Löhne und Gehälter eine unmittelbare Auswirkung auf die Arbeitslosigkeit hat.
So war es auch hierzulande. Nach der Einführung des Mindestlohns ist die Zahl der Arbeitsplätze sogar weiter gestiegen, die Arbeitslosenquote ging zurück. Seitdem gilt Card als Fan von Mindestlohnbefürwortern in der ganzen Welt. Ein Favorit für den Wirtschaftsnobelpreis war Card trotzdem nicht, weil die Daten aus seinen Forschungen oft schwer zu interpretieren sind. Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm zeigte sich dennoch überzeugt und verlieh Card die eine Hälfte des renommierten Preises für seine empirischen Beiträge zur Arbeitsmarktökonomie, wie der Generalsekretär der Akademie, Göran Hansson, bei der Bekanntgabe sagte.
"Neue Erkenntnisse über den Arbeitsmarkt"
Card muss sich den Preis teilen mit dem Amerikaner Joshua D. Angrist vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge und dem aus den Niederlanden stammenden Guido W. Imbens von der Stanford University. Beide wurden "für ihre methodischen Beiträge zur Analyse von Kausalzusammenhängen" geehrt. Alle drei Forscher "haben uns neue Erkenntnisse über den Arbeitsmarkt geliefert und gezeigt, welche Schlussfolgerungen über Ursache und Wirkung aus natürlichen Experimenten gezogen werden können", begründete die Akademie ihre Entscheidung.
"Ihr Ansatz hat auf andere Bereiche übergegriffen und die empirische Forschung revolutioniert." Viele der großen Fragen in den Sozialwissenschaften hätten mit Ursache und Wirkung zu tun - etwa, wie sich Einwanderung auf das Lohn- und Beschäftigungsniveau auswirke. Diese Fragen seien schwer zu beantworten, weil es dazu keine Vergleiche gebe. "Wir wissen nicht, was passiert wäre, wenn es weniger Zuwanderung gegeben hätte", so die Akademie. Die diesjährigen Preisträger hätten jedoch gezeigt, dass es möglich sei, solche und ähnliche Fragen mit natürlichen Experimenten zu beantworten.
ifo-Präsident begrüßt die Auszeichnung
Deutsche Ökonomen begrüßten die Auswahl. ifo-Präsident Clemens Fuest nannte die Entscheidung eine "sehr gute Wahl". Die Forschung der drei Wissenschaftler habe einen "großen praktischen Nutzen", weil sie Methoden entwickelt hätten, um Ursache und Wirkung zu bestimmen. Das sei wichtig, um herauszufinden, "wie wirtschaftspolitische Maßnahmen wirken". Fuest hatte vorab den österreichisch-schweizerischen Ökonomen Ernst Fehr favorisiert. Dieser habe in der experimentellen Wirtschaftsforschung und der Verhaltensforschung bahnbrechende Beiträge geleistet.
Auch Ökonomie-Professor Jens Südekum von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf begrüßte die heutige Entscheidung. "Bin super happy über die Auswahl und kann mir keine würdigeren Preisträger vorstellen als diese drei, sie haben die Econ-Welt verändert", twitterte Südekum.
Der Preis für Wirtschaftswissenschaften nimmt unter den Nobelpreisen eine Sonderstellung ein: Er wurde erst 1969 zum ersten Mal verliehen, also fast sieben Jahrzehnte nach der ersten Preisverleihung im Jahre 1901. Als einziger der Preise geht er nicht auf Alfred Nobels Testament zurück, das die Grundlage für den Friedens- und den Literaturnobelpreis sowie die Auszeichnungen in den Naturwissenschaften bildet.
Erst ein Deutscher
Stattdessen wurde der Preis nachträglich von der Schwedischen Reichsbank gestiftet, anlässlich ihres 300. Gründungsjahres 1668. Dem Chemiker und Industriellen Alfred Nobel sollen die Wirtschaftswissenschaften nicht preiswürdig erschienen sein. Die Preisträger werden dennoch wie bei den Nobelpreisen für Physik und Chemie von der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften nominiert.
Unter den Wirtschaftsnobelpreisträgern ist bislang erst ein Deutscher vertreten: Der Bonner Wissenschaftler Reinhard Selten erhielt ihn 1994 gemeinsam mit John Nash und John Harsanyi für ihre Beiträge zur nichtkooperativen Spieltheorie. Und noch eine Besonderheit gibt es - bislang wurden nur zwei Frauen mit dem renommierten Preis ausgezeichnet: Elinor Ostrom (1933 bis 2012) im Jahr 2009 für ihre Forschung zum Management natürlicher Ressourcen. 2019 wurde die Französin Esther Duflo, zusammen mit ihrem Lebens- und Forschungspartner Abhijit Banerjee sowie mit Michael Kremer für ihre Forschung zur Armutsbekämpfung geehrt.