Schienennetz für Ägypten Kritik an Mega-Bahnprojekt von Siemens
Das modernste Schienennetz der Welt für Ägypten - mit dieser Nachricht hat Siemens für Schlagzeilen gesorgt. Millionen von Ägyptern sollen Zugang zum Fernverkehr bekommen. Doch an den Plänen gibt es auch Kritik.
Das höchste Gebäude Afrikas, die breiteste Brücke der Welt: Wenn es um Bauvorhaben geht, setzt die ägyptische Regierung auf Superlative. Immer wieder macht sie Schlagzeilen mit Projekten, die vor allem groß sind - und teuer. Das jüngste Vorhaben: ein etwa 2000 Kilometer langes Schienennetz, neue Betriebs- und Güterbahnhöfe, Hochgeschwindigkeitszüge zwischen den größten Städten des Landes und eine Verbindung zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer.
Der deutsche Industriekonzern Siemens hatte vor vier Wochen bekanntgegeben, dass er - zusammen mit zwei ägyptischen Unternehmen - einen Vertrag mit der Regierung in Kairo abgeschlossen hat. Dabei handele es sich um den größten Auftrag in der Firmengeschichte, um ein Projekt "von historischer Bedeutung", heißt es in der Pressemitteilung des Konzerns.
Demnach sollen künftig rund 90 Prozent der ägyptischen Bevölkerung Zugang zum Bahnnetz bekommen. Ein ehrgeiziges Ziel - allerdings mit einer Rechnung, die nicht wirklich überzeuge, sagt Nabil El-Hady, Professor für Architektur und nachhaltige Stadtplanung an der Cairo University: "Wenn man sich den Beginn und das Ende der Streckenführung anschaut, dann wird schnell klar, dass mit diesem Projekt nicht die Mehrheit der Ägypter angesprochen wird."
Den meisten Menschen fehlt das Geld zum Reisen
Die erste von insgesamt drei geplanten Strecken soll von der Hafenstadt Ain Sokhna am Roten Meer nach Alexandria und Marsa Matruh am Mittelmeer führen. Ain Sokhna ist ein beliebter Badeort für betuchte Ägypter; Marsa Matruh zieht ebenfalls vor allem Menschen aus der oberen Mittelschicht an. Die meisten Ägypter haben allerdings kein Geld für einen Ortswechsel oder gar Urlaub: Offiziellen Angaben zufolge lebt fast ein Drittel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze.
Die zweite Strecke mit einer Länge von etwa 1100 Kilometern soll von der Hauptstadt Kairo nach Abu Simbel nahe der Grenze zum Sudan führen und dabei mehrere Städte miteinander verbinden. Auf dieser Nord-Süd-Achse an den Ufern des Nils lebt der Großteil der ägyptischen Bevölkerung. Bislang führt eine marode Bahnstrecke aus dem 19. Jahrhundert von Kairo über Minia, Assiut, Sohag, Qena und Luxor nach Assuan.
Ein Zug bei der Einfahrt in den Obour-Bahnhof in Kairo. Die Bahn-Infrastruktur in Ägypten ist marode und überlastet.
Immer wieder kommt es auf der alten Strecke zu schweren Zugunglücken mit Toten und Verletzten. Verspätungen sind an der Tagesordnung; wegen der alten Schienen fahren die Züge sehr langsam. Ein Platz in den veralteten Waggons ist für viele Ägypter dennoch unerschwinglich - ein Grund dafür, dass die Mehrheit der Bevölkerung die sogenannten informellen Verkehrsmittel bevorzugt und mit Minibussen fährt.
Die vorhandene Infrastruktur in Ägypten ist völlig überlastet. Im bevölkerungsreichsten Land der arabischen Welt leben mehr als 100 Millionen Menschen; jedes Jahr kommen zwei weitere Millionen dazu. Statt ein komplett neues Bahnnetz zu bauen, sei es sinnvoller, in Regionalzüge zu investieren und zum Beispiel die Vororte Kairos mit der Hauptstadt zu verbinden, sagt Nabil El-Hady. "Häufigere Verbindungen, elektrische Züge - das wäre ein wirklich guter Anfang. Jedenfalls wenn Siemens den Ägyptern wirklich helfen möchte, ihre Mobilität zu verbessern und etwas zu bewirken."
"Was soll diese Bahn erreichen?"
Der Professor für Stadtplanung bedauert, dass bislang kaum Daten veröffentlicht wurden, die es ermöglichen, das Großprojekt zu diskutieren oder genau zu beurteilen - abgesehen von den überschaubaren Informationen in der Pressemeldung des Konzerns.
Auch Mohamed Hegazy, Direktor der strategischen Beratung "Transport for Cairo", einem Start-up, wünscht sich weitere Details: "Wir müssen uns die Frage stellen: Was möchte, was soll diese Bahn erreichen?" Wirtschaftswachstum und Umweltschutz, wie von Siemens propagiert, seien sehr gute Ziele, findet der 31-Jährige. Aber diese Ziele könnten und sollten auch berechnet werden: "Ich würde diese Vision gerne in einer ausführlichen Studie sehen."
Finanzierung noch unklar
Siemens soll für die neuen Gleise, 41 Hochgeschwindigkeitszüge, 94 Regionalzüge, 41 Güterlokomotiven sowie die Wartung des neuen Schienennetzes mehr als acht Milliarden Euro erhalten. Wie Ägypten das Großprojekt finanzieren will - dazu hält sich die Regierung in Kairo bedeckt. Erst vor kurzem hatte das hochverschuldete Land den Internationalen Währungsfonds um ein weiteres Darlehen gebeten.
Ägypten steckt in einer Wirtschaftskrise, unter der wegen der stark steigenden Preise vor allem die Ärmsten im Land leiden. Gleichzeitig schmücken die großen und teuren Bauvorhaben der Regierung zahlreiche Reklame-Wände an den Schnellstraßen im Land. Viele Ägypter hoffen deshalb, dass es den Mächtigen im Land nicht allein um Prestige-Projekte für die Regierung geht, sondern tatsächlich mehr Mobilität für alle Ägypter.