Fallende Aktienkurse Wie die Finanzmärkte auf die Türkei-Wahl reagieren
Nach der Wahl in der Türkei verzeichnen türkische Aktien deutliche Verluste. Analysten erwarten eine weitere Abschwächung der Lira. Die Märkte hatten auf einen Sieg der Opposition gehofft.
Während sich in der Türkei viele Menschen auf eine Stichwahl einstellen, ist die Enttäuschung an den Finanzmärkten groß. Der türkische Leitindex ISE 100 sackte nach der Wahl in der Türkei zunächst um bis zu 6,4 Prozent ab. Zeitweise wurde der Handel sogar ausgesetzt. Im Laufe des Tages hat sich die Lage am Aktienmarkt dann stabilisiert - insgesamt blieb aber ein deutliches Minus. Besonders Bankaktien gerieten unter Druck.
Die in Dollar notierten Staatsanleihen gaben nach, die Kosten für die Kreditausfallversicherung des Landes schnellten in die Höhe. "Das ist eine größere Enttäuschung für Investoren, die auf einen Sieg des Oppositionskandidaten Kilicdaroglu und eine Rückkehr zu der von ihm versprochenen orthodoxen Wirtschaftspolitik gehofft hatten", sagte Hasnain Malik, Chefanalyst beim Analysehaus Tellimer.
Der amtierende Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan liegt nach Auszählung fast aller Stimmen knapp vor seinem Herausforderer Kemal Kilicdaroglu. Keiner der beiden Kandidaten konnte jedoch die absolute Mehrheit bereits im ersten Durchgang hinter sich versammeln, so dass es in zwei Wochen zur Stichwahl kommt.
Stabilisierung der türkischen Lira durch staatliche Maßnahmen
Während die Börsenkurse einbrachen, blieb die türkische Lira vergleichsweise stabil und verharrte am Tag nach der Wahl auf dem niedrigsten Stand seit zwei Monaten. Ein Dollar kostete 19,66 Lira. Gestützt wird die türkische Währung wohl durch staatliche Kreditinstitute, die Dollar verkauft haben, heißt es von Insidern.
Außerdem werde der freie Fall der türkischen Lira schon länger durch staatlichen Eingriff zumindest etwas gebremst: "Die Lira wird seit Monaten, seit fast Jahren vor allem von Kapitalverkehrskontrollen, die immer unterschwellig weiter festgedreht werden und weiter eingeführt werden, gestützt. Würden wir diese nicht sehen, dann wäre die Lira schon deutlich schwächer", sagte Antje Praefcke, Devisenexperten von der Commerzbank in der ARD-Sendung Update Wirtschaft.
Weitere Schwächung der Lira erwartet
Experten gehen davon aus, dass der türkischen Währung ein weiterer Kursverlust bevorsteht. Die Fachleute von JPMorgan sagen einen Kurs zum Dollar von 24 bis 25 Lira voraus, Goldman Sachs hält eine Abwertung binnen zwölf Monaten um 50 Prozent für möglich.
Eine schwache Lira wiederum macht Waren aus dem Ausland teurer. Für viele Menschen in der Türkei bedeutet das weiter steigende Preise. Zwar ist die Inflation gefallen, aber mit zuletzt 44 Prozent noch immer dramatisch hoch.
Unabängige Notenbank würde Vertrauen schaffen
Die meisten Ökonomen betonen, dass die Zentralbank ihre Leitzinsen erhöhen müsste, um der Inflation entgegenzuwirken. Präsident Erdoğan lehnt dies jedoch vehement ab. Der politische Einfluss auf die Notenbank führt zu einem Vertrauensverlust bei Investoren.
Bei der nun bevorstehenden Stichwahl geht es also auch darum, wie groß der Einfluss der Politik auf die Notenbank ausfällt. Wenn eine neue Regierung die Unabhängigkeit der Notenbank garantiere, hätte dies laut Experten positive Auswirkungen auf die Lira, was die Inflation dämpfen könnte.
"Die Opposition hat ein klares Modell aufgebaut: Das würde dann höhere Zinsen bedeuten und erstmal eine Rezession. Aber es würde zumindest das Vertrauen in die Nachhaltigkeit der Wirtschaft wiederhergestellt, Zuflüsse aus dem Ausland, die mittlerweile versiegt sind, kämen wieder. Wenn Erdoğan wiedergewinnt: More the same", sagte Moritz Kraemer, Chefvolkswirt der LBBW in Update Wirtschaft.
Skepsis gegenüber Erdoğans Kurs: Finanzmärkte bleiben nervös
Die wenigsten Volkswirte rechnet damit, dass Erdoğan etwas an seinem Kurs ändern wird, wenn er weitere fünf Jahre im Amt bliebe. Deswegen bleibe die Lira unter Druck. "Das latente Risiko eines Zahlungsausfalls würde fortbestehen, so Thomas Gitzel, Chefvolkswirt bei der VP Bank.
Nicht verwunderlich also, dass am Tag nach der Wahl auch die Kosten für Kreditausfallversicherungen in die Höhe geschnellt sind. Die Nervosität an den Finanzmärkten jedenfalls dürfte bis zur Stichwahl hoch bleiben.
Mit Informationen von Constantin Röse, ARD-Finanzredaktion