Bluterkrankungen Genschere-Therapie soll zugelassen werden
Die europäischen Behörden haben zugestimmt: Die erste Gentherapie mit der Genschere CRISPR soll in der EU eingesetzt werden. Ein Meilenstein, sagen Experten. Und das könnte erst der Anfang sein.
Im Jahr 2020 gab es den Nobelpreis für die Entdeckung, jetzt wurde in der EU die Zulassung des ersten entsprechenden Medikaments empfohlen: Die CRISPR/Cas9-Genschere ist ein Werkzeug, das es ermöglicht, recht präzise und einfach Gene zu verändern. Die europäische Arzneimittel-Agentur EMA hat jetzt empfohlen, dass diese Genschere das erste Mal als Therapie in Europa eingesetzt wird. Vor kurzem hatten auch die britischen und US-amerikanischen Behörden die Verwendung des Medikaments empfohlen.
Das Ziel der neuartigen Therapie ist die Heilung von zwei Bluterkrankungen: Der Sichelzellanämie und der beta-Thalassämie. Beide Erkrankungen haben gemeinsam, dass der Blutfarbstoff Hämoglobin fehlerhaft gebildet wird. Hämoglobinerkrankungen gehören weltweit zu den häufigsten Erbkrankheiten.
Fehlerhaftes Hämoglobin führt zu Organschäden
Der Blutfarbstoff Hämoglobin ist Teil der roten Blutzellen. Er ist nicht nur für die rote Farbe des Bluts zuständig - er transportiert auch den Sauerstoff von der Lunge in den Rest des Körpers. Ist dieser Transport gestört, hat das massive Folgen: Menschen mit einer Sichelzellanämie leiden beispielsweise immer wieder unter sogenannten Schmerzkrisen.
"Die Patienten beschreiben uns das wie Zahnschmerzen am ganzen Körper", sagt Andreas Kulozik, Direktor des Hopp-Kindertumorzentrums Heidelberg. Er leitet auch die Abteilung für kindliche Krebserkrankungen und schwere Bluterkrankungen am Uniklinikum in Heidelberg. Doch auch, wenn die Schmerzen nicht so stark ausfielen, habe die Erkrankung langfristige Folgen: "Die Organe werden immer wieder nur mangelhaft mit Sauerstoff versorgt. Das führt auf Dauer zu Schäden, zum Beispiel an der Niere, der Lunge, dem Herzen oder auch den Knochen." Betroffene hätten im Schnitt deshalb nur eine Lebenserwartung von knapp mehr als 40 Jahren.
Schwer betroffene Patientinnen und Patienten erhielten immer wieder Bluttransfusionen. Das gilt auch für Menschen mit einer beta-Thalassämie. Sie können weniger oder kein gesundes Hämoglobin bilden, sie leiden an Blutarmut, zum Überleben brauchen sie regelmäßige Bluttransfusionen. Die neue Gentherapie erweitert die Therapie-Möglichkeiten bei beiden Erkrankungen.
Meilenstein in der Gentherapie
Das Besondere: Das erste Mal wird hier die Genschere CRISPR/Cas eingesetzt. Toni Cathomen, Professor für Zell- und Gentherapie am Universitätsklinikum Freiburg, ist begeistert: "Ich würde es schon als Meilenstein betrachten." Denn mit CRISPR könne man ganz gezielt ins Erbgut eingreifen: "Das ist mit bisherigen Gentherapien so nicht möglich. Da hingen wir immer etwas vom Zufall ab, wo das therapeutische Gen ins Erbgut eingebaut wird.“ Mit der Genschere CRISPR/Cas könne man hoffentlich viel gezielter eine therapeutische Wirkung erzielen.
Im Fall der Sichelzellanämie soll der Körper nach der Behandlung wieder in der Lage sein, funktionsfähiges Hämoglobin herzustellen. Dafür werden den Patienten blutbildende Stammzellen entnommen und diese im Labor mit der CRISPR-Genschere behandelt.
Baby-Hämoglobin wird wieder aktiviert
Dabei nutzt man aus, dass der menschliche Körper nicht nur eine Art von Hämoglobin herstellen kann: Vor der Geburt bilden Babys nämlich eine andere Version, das sogenannte fetale Hämoglobin. Dessen Gene sind nicht betroffen von den Gendefekten, die zu den schweren Erkrankungen führen. Aber sie werden nach der Geburt nach und nach ruhiggestellt, die Gene für den fetalen Blutfarbstoff werden nicht mehr abgelesen - normalerweise.
Denn bei der jetzt zugelassenen Gentherapie werden die verantwortlichen Hemmstoffe zerstört: Danach können auch Erwachsene die Gene für das Hämoglobin der Ungeborenen ablesen, sie stellen wieder funktionsfähige, rote Blutzellen her. Allerdings müssen vorher ihre körpereigenen Blutstammzellen zerstört werden. Das geschieht durch eine Chemotherapie. Erst dann können die veränderten Zellen übertragen werden.
Noch viele Unsicherheiten
Der Aufwand für die Patientinnen und Patienten ist also hoch. Und noch kann man auch nicht ausschließen, dass die CRISPR-Genschere Nebeneffekte hat, die man bisher noch nicht kennt. Denn in den Zulassungsstudien wurden die Probandinnen und Probanden bisher nur über vier Jahre nachbeobachtet. "Das ist relativ kurz", sagt Cathomen von der Uniklinik Freiburg. "Doch in diesen vier Jahren hat man keine schweren Nebenwirkungen beobachtet. Das ist erfreulich." Wichtig sei es nun, genau zu beobachten, was für Nebenwirkungen in den nächsten fünf bis 15 Jahren auftreten.
Bei anderen Therapien habe es Fälle gegeben, in denen eine Leukämie durch die genetische Behandlung ausgelöst wurde. Ob das auch bei der neuen CRISPR-Therapie auftreten kann, müsse man abwarten, so Cathomen. Bisher gebe es keine Anzeichen darauf.
Zwei Millionen Euro pro Patient
Neben den medizinischen Fragen werden jedoch auch die Kosten der Behandlung diskutiert werden. Mit zwei Millionen Euro müsse man für die Behandlung von einem Patienten rechnen, schätzen Fachleute.
Doch die Hoffnungen in die neue Therapie sind groß - denn die bisher veröffentlichten Daten fallen sehr positiv aus. "Ungefähr 95 Prozent der Sichelzellanämie-Patienten, die so behandelt wurden, hatten im Untersuchungszeitrum keine Schmerzkrisen mehr", sagt Kulozik von der Uniklinik Heidelberg. "Das ist für die Patienten eine wunderbare Nachricht." Ob durch diese Therapie auch das Fortschreiten der chronischen Organschäden verhindert werden könne, müsse man aber noch abwarten.
Auch der Gentherapie-Experte Cathomen schaut zuversichtlich auf CRISPR-Gentherapien: Er gehe davon aus, dass noch im kommenden Jahr weitere wirksame CRISPR-Medikamente zugelassen würden. Und das nur rund zehn Jahre, nachdem die Genschere das erste Mal beschrieben wurde. "Das Tempo, in dem diese Entwicklung vonstattengegangen ist, war schon atemberaubend."