Zukunft der Arbeit Kollege Roboter
Digitalisierung und Künstliche Intelligenz verändern die Arbeitswelt. In absehbarer Zeit könnten Roboter ganze Berufe verschwinden lassen. Trotzdem warnen Experten vor Hysterie. Denn die schöne neue Arbeitswelt bietet auch Vorteile.
Wie schnell die Zeiten sich ändern, hat Sebastian Bächer am eigenen Leib erfahren. Als er vor zehn Jahren noch mitten in der Tischler-Lehre steckte, plante er die Tische, Stühle und Schrankwände für seine Kunden noch mit Papier und Stift am Reißbrett. "So etwas gibt es heute so gut wie nicht mehr", erzählt er im Gespräch mit tagesschau.de. Heute plant er seine Modelle längst digital. Computergesteuerte Maschinen helfen beim präzisen Zuschnitt des Holzes.
Die klassische Handarbeit, die über Jahrhunderte im Zentrum des Tischlerhandwerks stand, spielt eine immer geringere Rolle. Ohne Computer geht nichts mehr. Bächer stört das nicht. "Der Computer ist ein Werkzeug", sagt er. Das Gerät sei heute genauso wichtig wie die Säge, um als Tischler erfolgreich zu sein. Entsprechend wichtig ist es, dass die nächste Tischlergeneration auch genauso gut mit dem Rechner umgehen kann, wie mit Fräse oder Schleifmaschine. "Wenn der Computer mir Grenzen setzt, dann habe ich’s nicht drauf", sagt Bächer.
Seit sechs Jahren führt Bächer schon seine eigene Tischlerei in Köln. "Ein Team, das Ihre Ideen mittels handwerklichem und digitalem Geschick umsetzen kann", verspricht seine Firmenwebseite. Nur mit Säge, Feile und Hammer arbeitet in seiner Werkstatt niemand mehr. Seine Mitarbeiter verfügen über computergesteuerte Fräsen, 3D-Drucker und Lasercutter. Funktionierendes Internet ist für die Arbeit so wichtig wie der Strom aus der Steckdose.
Hochqualifizierte unter Druck
Der rasante Fortschritt der Digitalisierung hat die ganze Arbeitswelt erfasst. Suggerierte der Begriff "Industrie 4.0" ursprünglich, dass sich vor allem Produktion und Fertigung durch den zunehmenden Einsatz von Computern, vernetzten Systemen und künstlicher Intelligenz verändern würden, ist heute längst sichtbar, dass die Digitalisierung auch ganz andere Berufsfelder erfasst hat. In den USA zum Beispiel hilft die Maschine Ross schon heute Juristen beim Navigieren durch das komplexe Insolvenzrecht und die Datenbank Watson erleichtert Ärzten das Diagnostizieren und Behandeln von Krebspatienten.
"Die bisherigen industriellen Revolutionen haben vor allem die Arbeitsplätze von Niedrigqualifizierten betroffen", so Sabina Jeschke, Professorin an der RWTH Aachen, im Gespräch mit tagesschau.de. Dies könne sich nun ändern. "Durch die Digitalisierung geraten nun auch die Arbeitsplätze von durchschnittlich oder sogar hoch qualifizierten Berufstätigen unter Druck", erklärt sie.
Kaum jemand gehe heute noch ins Reisebüro, um sich über die besten Hotels in Taiwan zu informieren. Schließlich gebe es die Informationen ja im Netz. Auch die Redaktionen des Brockhaus oder der Encyclopedia Britannica seien verschwunden. "Und Watson findet schon heute medizinische Zusammenhänge, die der gesamten Ärzteschaft bisher nicht bekannt waren", so Jeschke weiter.
Jeder zweite Arbeitsplatz in Gefahr?
Die Auswirkungen einen solchen Strukturwandels könnten dramatisch sein. So berechneten etwa zwei Wissenschaftler der Universität Oxford, dass 47 Prozent der Beschäftigten der USA in Berufen arbeiten, die durch die zunehmende Digitalisierung bedroht sind. Im vergangenen Jahr übertrug ein Forschungsbericht des Bundesarbeitsministeriums die Studie auf Deutschland. Ergebnis: Hierzulande arbeiten 42 Prozent der Beschäftigten in "Berufen mit einer hohen Automatisierungswahrscheinlichkeit".
Droht tatsächlich fast jeder zweite Arbeitsplatz in Deutschland wegzufallen? Jeschke mahnt angesichts des Ergebnisses zur Vorsicht. Zu groß sei die Unsicherheit mit Blick auf die Zukunft. Trotzdem glaubt auch sie, dass zahlreiche Jobs verschwinden werden. "Es geht nicht nur um fünf oder zehn Prozent, die man vielleicht schnell abfedern könnte", sagt sie.
Eine Berufsgruppe, die es schon in absehbarer Zeit treffen könnte, sind etwa Lkw-Fahrer. Schon heute experimentieren zahlreiche Unternehmen mit selbstfahrenden Autos, die nicht mehr auf einen Menschen hinterm Steuer angewiesen sind. Noch ist die Technik nicht ausgereift, doch das könnte sich in absehbarer Zeit ändern. In fünf bis zehn Jahren könnten die ersten von künstlicher Intelligenz gesteuerten Lkw über die Autobahnen fahren, schätzt Jeschke.
Zukunft Datenbrille
Für die Logistikbranche sei das Fluch und Segen zugleich. "Die heutigen Lkw-Fahrer werden es dann schwer haben, eine andere Aufgabe zu finden", sagt sie. Andererseits klage die Branche bereits heute über Nachwuchsmangel. Dieses Problem könnte durch die Automatisierung gelöst werden.
Auch in der klassischen Industrie spielt die Digitalisierung eine immer größere Rolle. Beispiel Volkswagen: Zwar finden im Wolfsburger Hauptwerk von Europas größtem Autobauer bereits heute zahlreiche Arbeitsschritte voll automatisiert statt, doch gerade in der Feinmontage sind ganz überwiegend noch Menschen am Werk. Auch andere Bereiche sind noch nicht an Roboter oder Maschinen übertragen worden. Trotzdem bekommen die Arbeiter jetzt zunehmend digitale Hilfsmittel an die Hand. Oder besser: Auf den Kopf.
Vor einem guten Jahr kündigte der Konzern an, künftig verstärkt Datenbrillen einzusetzen. In der Logistik sollen sie dafür sorgen, den Arbeitsalltag zu revolutionieren. Die erste Zwischenbilanz des Konzerns fällt positiv aus: "Smart Devices sind eine Möglichkeit, die Produktivität zu verbessern. Beispielsweise können durch die intelligente Prozesssteuerung per 3D-Datenbrille die Abläufe in der Kommissionierung stabiler und schneller werden", so Stefanie Hegels, Logistikchefin von Volkswagen zu tagesschau.de. Nach einem erfolgreichen Pilotprojekt im letzten Jahr sei die 3D-Datenbrille im Werk Wolfsburg nun im Serieneinsatz. Und es soll noch mehr werden: "An den Standorten Emden und Chattanooga rollen wir aktuell Pilotprojekte aus", so Hegels.
Die Zukunft des Tischlers
Auch Tischler Bächer verspricht sich viel von digitalen Hilfsmitteln. "Solche Datenbrillen haben das Zeug, Laien in die Lage zu versetzen, komplexe Aufgaben zu lösen", erklärt er. Dies könne helfen, den Fachkräftemangel abzufedern.
Auch dass ihn bald Roboter bei der Arbeit unterstützen, hält Bächer für wahrscheinlich. "Schauen Sie sich doch mal an, was auf dem Markt gerade passiert", sagt er. Der Baxter etwa, ein kleiner Roboter, der nur etwas mehr als 20000 Euro kostet, könne bereits heute einfache Aufgaben übernehmen. "Wenn man den rund um die Uhr einsetzt, hat man die Anschaffungskosten nach zehn Wochen abbezahlt", erklärt Bächer.
Dass der Beruf des Tischlers komplett verschwinden werde, glaubt er allerdings nicht. "Natürlich wird es in 30 Jahren viel weniger Tischlereien geben. Und die, die es gibt, werden anders arbeiten, als wir heute", sagt Bächer. Die Produktion werde weitgehend an Maschinen ausgelagert sein, glaubt er. Für die Tischler selbst bliebe das Planen und Entwerfen von Modellen und Unikaten. Für Bächer ist das kein Grund zu Panik. "Wir müssen uns vor Augen führen, wo unser Beruf herkommt", sagt er. "und das ist nicht das Zusägen von Spanplatten."