Eine Frau gießt Wein in ein Glas.

Alkoholkonsum Das Gerücht um das vermeintlich gesunde Gläschen 

Stand: 19.01.2025 09:12 Uhr

Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass Alkohol in Maßen sogar gut für die Gesundheit sein kann. Aus der Forschung gab es sogar Studien, die das belegen. Aber stimmen die auch?

Von Yasmin Appelhans, NDR

Gar keinen Alkohol. Das empfehlen die Weltgesundheitsorganisation WHO und auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Der Grund: Es gibt keinen ungefährlichen Alkoholkonsum.   

Dass ein moderater Genuss sogar gut für die Gesundheit sein und vor Krankheiten wie Herzinfarkten, Schlaganfällen oder Diabetes Typ 2 schützen kann, wurde dabei auch lange von einigen Forschenden vertreten. Das liegt auch daran, wie die entsprechenden Studien angelegt wurden, erklärt Tim Stockwell, der emeritierte Leiter des Canadian Institute for Substance Use Research an der University of Victoria.  

 

Ungleiche Gruppen

Denn schon in jungen Jahren herrscht im Schnitt zwischen den Gruppen der moderat Trinkenden und der Abstinenten Ungleichheit, was ihre Lebensbedingungen angeht, wie er mit Kollegen und Kolleginnen in einer vergleichenden Studie festgestellt hat. Junge Erwachsene, die zum Beispiel ein Glas Wein oder Bier am Tag trinken, haben zum Beispiel im Schnitt ein höheres Einkommen und einen besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung, weniger Behinderungen und eine bessere Ausbildung.  

Das alles sind Faktoren, die dazu beitragen, dass Menschen insgesamt gesünder sind. Menschen, die in einer besseren Verfassung sind und ab und zu trinken, sind also nicht deshalb, sondern trotzdem gesünder. Es liegt nicht an dem Gläschen Alkohol, das sie ab und zu konsumieren.   

 

Schere geht weiter auseinander

Im Alter sieht die Situation in Studienergebnissen noch irreführender aus: Denn gerade Menschen, die chronisch krank werden, verzichten oft komplett auf Alkohol. Teilweise wurde in die Gruppe der Abstinenten sogar Menschen eingeschlossen, die eben wegen ihres früheren Alkoholkonsums krank geworden sind und deshalb jetzt gar keinen Alkohol mehr trinken. 

Auf dem Papier sieht es dann so aus, als läge die bessere Gesundheit der moderaten Trinker und Trinkerinnen an dem Gläschen Wein oder Sekt. In Wahrheit liegt das aber nicht am Alkohol, sondern an den fehlenden Grunderkrankungen.   

 

Ehrlicher Fehler

Dass Forschende häufig diese sogenannten Störfaktoren nicht in ihre Forschung miteinbeziehen, liegt vor allem daran, dass es nicht so einfach ist, diese alle aus den Studien herauszurechnen, so Tim Stockwell: "Ich denke, es handelt sich fast immer um einen ehrlichen Fehler. Aber ich glaube, es gibt auch ein Element, bei dem Forschende diesen ehrlichen Fehler machen und viele Leute sehr erfreut über das Ergebnis sind." Gerade Medien zeigten ein großes Interesse an solchen Ergebnissen, so Stockwell.  

Zudem würden einige Forschende von der Alkoholindustrie finanziert, die ja ein Interesse an möglichst positiven Daten hätte.   

Trend zur Abstinenz - bei Einzelnen

Insgesamt gebe es aber trotz des falschen Gerüchts um die positive Wirkung von Alkohol gerade bei jungen Menschen schon seit etwa 15 Jahren einen Trend, auf Alkohol zu verzichten, so Tim Stockwell. Der sogenannte "Dry January" ist ebenfalls bei jüngeren Menschen in den vergangenen Jahren immer populärer geworden. Vier Wochen ohne Alkohol können schon Wirkung zeigen.

Der Psychiater Stefan Gutwinski von der Charité in Berlin, der dort die AG Psychotrope Substanzen leitet, glaubt allerdings nicht an eine dauerhafte Entwicklung, gerade in Deutschland. Denn zwar gebe es insgesamt schon eine Abnahme vom Alkoholkonsum, das sogenannte "Binge Drinking", also der exzessiver Alkoholkonsum nehme aber sogar zu. "Ich würde sagen, wir sehen hier eher eine Oszillation, also mal ein Kommen von Trends und ein Gehen und nicht insgesamt einen Trend, wo ich zum jetzigen Zeitpunkt sagen würde, wir sind irgendwie auf dem Weg, dass Alkohol in der Gesellschaft deutlich abnimmt", so Stefan Gutwinski dem NDR.  

 

Champions League in der Suchthilfe

Auch sei Alkohol Teil dieser Gesellschaft, sagt Gutwinski: "Prävention im Jugendbereich ist, glaube ich, weiterhin notwendig, die aber nicht auf eine Abstinenz anstrebt. Das ist, glaube ich, ein unrealistisches Ziel. Unsere Bevölkerung lebt mit Alkohol. Es geht eher darum, dass ein gesunder Umgang gelebt wird."

Dazu sollte weiterhin ein niederschwelliger Zugang zur Suchthilfe möglich sein, so seine Forderung. Denn im Bereich Suchtberatungsstellen, Selbsthilfegruppen und Suchtkliniken sei das Gesundheitssystem gut aufgestellt: "Wir schimpfen ja über alles Mögliche in unserer Gesellschaft, aber Deutschland hat ein sehr gut funktionierendes Suchthilfesystem. Da sind wir absolut in der Champions League."   

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 17. Januar 2025 um 06:00 Uhr.