Erkrankungsrisiko Die Rolle der Gene bei einer Alzheimer-Demenz
In wenigen Fällen ist Alzheimer familiär bedingt und wird vererbt. Die entsprechenden Gene sind bekannt. In einer neuen Studie wird ein weiteres Gen verdächtigt, aber ganz so neu ist der Verdacht gar nicht.
Alzheimer ist die häufigste Demenz-Erkrankung, sie trifft Menschen auf der ganzen Welt und stellt Betroffene und ihre Angehörigen vor große Herausforderungen. In 99 Prozent der Fälle passiert das sporadisch. Aber in einem Prozent ist eine Alzheimer-Erkrankung vorbestimmt. Einige Gene werden direkt vererbt und führen dann zwangsläufig in die Demenz. Andere Gene bedingen die Erkrankung nicht, aber sie erhöhen das Risiko, sie zu bekommen.
Insbesondere die Genvariante APOE4 ist dafür bekannt. Nach einer kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Medicine veröffentlichten Studie soll APOE4, wenn es sowohl vom Vater als auch von der Mutter vererbt wird, ein so hohes Risiko bedeuten, dass es als weitere erbliche Form der Alzheimer-Demenz einzustufen sei. Aber das ist in der Fachwelt umstritten.
Risikogene sind weit verbreitet
Es gibt zahlreiche Gene, die Krankheitsrisiken steigern. Auch sie sind in der Erbsubstanz verankert und werden in Familien von Generation zu Generation weitergegeben. "Risikogene sind etwas ganz Normales und beeinflussen das Risiko für viele Erkrankungen, wie zum Beispiel Herzinfarkt oder andere kardiovaskuläre Erkrankungen oder Depressionen. Und das APOE-Gen ist eben ein Risikofaktor für die Alzheimer-Erkrankung, das wissen wir schon seit über 30 Jahren", sagt Lars Bertram. Er ist Genomanalytiker an der Universität Lübeck und erforscht unter anderen auch APOE.
Gene bilden den Code für den Aufbau von Proteinen, welche dann die Funktionen in einem Organismus ausüben, die für das Leben notwendig sind. APOE transportiert Blutfette von der Leber zu den verschiedenen Zellen des Körpers, auch im Gehirn zu den Nervenzellen. Und hier wirkt es auf die Entstehung der Alzheimer-Demenz.
Winzige Mutation - große Veränderung
Das APOE-Gen gibt es in unterschiedlichen Varianten: APOE2, APOE3 und APOE4. Diese haben ganz unterschiedliche Auswirkungen auf das Alzheimer-Risiko. APOE2 wird sogar eine schützende Funktion zugeschrieben. Während APOE3 ein eher mäßiges Risiko bedeutet, gilt APOE4 als Hochrisiko-Gen.
Gene bestehen aus einer Aufeinanderfolge von vier paarweise angeordneten Bausteinen, den Nukleotiden. Alle gemeinsam bilden das Genom, die Gesamtheit der Gene, die jedes Lebewesen prägen. Hier genügt eine winzige Veränderung an einer einzigen Position, eine Punktmutation, um aus einer harmlosen eine risikoreiche Genvariante zu machen.
Verklumpungen im Kopf
Bei der Alzheimer-Erkrankung lagern sich im Gehirn zwischen den Nervenzellen bestimmte Proteine ab, das Amyloid. Es reichert sich mit der Zeit immer weiter an und bildet regelrechte Klumpen, die giftig wirken. Das wiederum verursacht einen Abbauprozess in den Nervenzellen. Hier verklumpen andere Eiweißstoffe, die tau-Proteine, die eigentlich das innere Gerüst der Zelle bilden. So verlieren die Zellen ihre Form und büßen ihre Funktion ein - die Nervenzellen sterben ab.
Im Detail sind die Ursachen für das Entstehen der Alzheimer-Erkrankung immer noch nicht verstanden. Aber das Amyloid und die Tau-Proteine spielen eine maßgebliche Rolle. Und wie sie das Gehirn auf der Ebene der Nervenzellen verändern, ist maßgeblich durch das APOE4-Gen mitbestimmt. "APOE4 trägt genau dazu bei, dass entweder zu viel von diesem abgelagerten Protein gebildet wird, oder dass weniger wieder entfernt wird", sagt Genomanalytiker Bertram. "Das bedeutet eben, dass das krankheitsauslösende Eiweiß sich beim Alzheimer vermehrt ansammelt und dadurch die Nervenzellen zerstört."
Recht auf Nichtwissen
Wie bei vielen anderen erblich bedingten Erkrankungen ist es möglich, die genetische Veranlagung für Alzheimer durch Gentests nachzuweisen. Aber dabei handelt es sich um medizinische Untersuchungen, die strengen Regelungen unterliegen und einer speziellen medizinischen Fachrichtung vorbehalten sind.
Saskia Kleier ist Fachärztin für Humangenetik. Sie berät Menschen, die eine genetische Testung anstreben - vor der Untersuchung. Das ist zwingend vorgeschrieben. "Wenn ich jetzt zum Beispiel 40 bin, möchte ich dann jetzt schon wissen, dass ich vielleicht mit 65 oder 70 beginne, an Alzheimer zu erkranken?" sagt Kleier. "Möchte ich mit so einem Wissen konfrontiert werden? Ich habe das Recht auf Nichtwissen. Steht eigentlich dann so ein Wissen im Raum, das mich mein ganzes Leben lang belastet und eigentlich nur eine Bürde darstellt?"
Und eine weitere wichtige Frage, die unbedingt vor einer genetischen Testung zu klären ist, sei die nach bestimmten Versicherungen. Bei hohen Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen dürfen die Versicherer nach so einem Ergebnis fragen. "Wenn eine solche Versicherung noch abgeschlossen werden soll, dann sollte das eben vor so einer Testung passieren", rät Kleier.
Alter Freund in neuem Gewand
Die neue Alzheimer-Studie zum Risiko-Gen APOE4 hat Aufsehen erregt. Nicht nur, weil sie im hochrangigen Fachjournal Nature Medicine erschien. Sie berührt ein Gesundheitsthema, das viele Menschen bewegt: die Sorge, im höheren Alter dement zu werden. Ein zusätzliches Gen, das Alzheimer verursacht, das hört sich an wie ein gesteigertes Risiko. Aber der Gen-Experte Bertram rät zu Gelassenheit.
Der Vorschlag der Studienautoren, die Alzheimer-Demenz neu zu klassifizieren und das APOE4-Gen in die Reihe der Gene aufzunehmen, die den Alzheimer bedingen, sei "ein alter Freund in neuem Gewand". Derselbe Vorschlag sei schon vor 15 Jahren einmal gemacht worden und habe sich in der wissenschaftlichen Community nicht durchgesetzt, weil die Daten dafür nicht überzeugend genug waren. Das sei jetzt nicht anders, sagt Bertram.
"Nicht alle Leute, die vom Vater und von der Mutter dieses Gen vererbt bekommen haben, entwickeln jetzt automatisch eine Alzheimer-Erkrankung. Da gibt es sehr viele, die mit dieser genetischen Form ihr Leben lang ohne Alzheimer bleiben."