Medizinforschung Krebstherapie gegen Autoimmunkrankheiten
"CAR-T-Zelltherapie" - ein sperriger Begriff, aber eine große Hoffnung. Zugelassen ist die Immuntherapie aktuell für bestimmte Krebsarten. Doch Studien zeigen: Sie könnten auch eine Wirkung bei Autoimmunerkrankungen haben.
Die Forschung steht noch am Anfang: Experten schätzen, dass erst etwa 50 bis 100 Menschen mit einer Autoimmunerkrankung experimentell mit CAR-T-Zellen behandelt wurden. Doch die Ergebnisse sind beeindruckend: "Ich hätte fast gesagt, dass es ein Effekt ist, als ob ein kleines Wunder passiert", sagt beispielsweise Ralf Gold. Er ist Direktor der Abteilung für Neurologie am Katholischen Klinikum in Bochum.
Mit diesem "Wunder" meint er den Fall von Fabienne Schröder. "Wir sind vier Jahre lang fast verzweifelt, weil sie so schlecht auf Therapien ansprach, auch auf solche mit modernsten monoklonalen Antikörpern", berichtet der Arzt. Die 34-Jährige hat Myasthenie (Myasthenia gravis), eine schwere neurologische Autoimmunerkrankung. Bei längeren Strecken war sie auf einen Rollstuhl angewiesen, ihre Lunge wurde immer schwächer. "Ich bin von einer Krise in die nächste gerutscht", sagt die Bochumerin. "Am Ende stand man mit dem Rücken an der Wand und hat gesagt: Wenn wir jetzt nicht irgendwas machen, könnte ich auch daran versterben irgendwann."
Fabienne Schröder hat die Autoimmunkrankheit Myasthenie.
Immunzellen werden umprogrammiert
Bei einer Myasthenie werden die Signale zwischen Nerven und Muskeln durch fehlgeleitete Antikörper blockiert. Als letzte Möglichkeit erhielt Fabienne Schröder daher eine CAR-T-Zell-Therapie, eine Gentherapie.
Dabei werden körpereigene Zellen der Patientin so umprogrammiert, dass sie bestimmte Immunzellen unschädlich machen: Die sogenannten B-Zellen. In einem gesunden Immunsystem bilden diese Antikörper. Sie können Krankheitserreger erkennen und ausschalten. Bei Autoimmunerkrankungen richten sich einige dieser Antikörper gegen den eigenen Körper - mit fatalen Folgen.
Bei der CAR-T-Zell-Therapie werden andere Immunzellen der Patienten im Labor genetisch verändert, die T-Zellen. Sie sind jetzt in der Lage, B-Zellen im Körper festzuhalten und zu zerstören. Mit den B-Zellen verschwinden, wenn alles gut läuft, auch die schädlichen Antikörper. Das Immunsystem der Behandelten muss nach der Therapie jedoch wieder neu aufgebaut werden.
Gentherapie mit teils schweren Nebenwirkungen
Bei Fabienne Schröder gab es nach der Behandlung Komplikationen, sie musste zeitweise auf die Intensivstation, war wochenlang im Krankenhaus. Doch es hat sich ausgezahlt:
Bereits nach wenigen Monaten kann sie wieder kleine Radtouren mit dem E-Bike machen, sie läuft ohne Schwierigkeiten und auch die Kontrolluntersuchungen zeigen: Ihre Muskelkraft und Lungenfunktion sind zum Teil wieder wie bei einer gesunden Frau.
Das hatte auch das behandelnde Ärzteteam aus Bochum so nicht erwartet. "Ich habe in 36 Jahren Myasthenie-Therapie an deutschen Universitäten nie eine Patientin gesehen, deren Zustand sich so stark verbessert hat", sagt Ralf Gold. Gemeinsam mit einem Bochumer Krebsspezialisten hat er Fabienne Schröder behandelt.
Ärzte waren vom Ergebnis der CAR-T-Zelltherapie überrascht.
"Die Wirkung ist für uns immer noch überraschend"
Die ersten weltweit, die diese Technik bei Menschen mit Autoimmunerkrankungen eingesetzt haben, sind Georg Schett und Andreas Mackensen mit ihrem Team von der Uniklinik Erlangen. Sie haben eine junge Patientin mit der seltenen Autoimmunerkrankung Lupus (systemische Lupus erythematodes), behandelt. Die Antikörper griffen ihre Organe an - es wurde lebensbedrohlich.
Die CAR-T-Zellen hatten einen erstaunlichen Effekt, erklärt der Direktor der Abteilung für Rheumatologie und Immunologie aus Erlangen, Georg Schett: "Die Patientin konnte mit der Infusion der CAR-T-Zellen alle Therapien beenden, sie brauchte ab diesem Zeitpunkt kein Cortison und keine Immunsuppression mehr." Mittlerweile sei die Therapie etwa drei Jahre her. "Die Patientin ist immer noch komplett krankheitsfrei und therapiefrei. Das ist auch für uns immer noch überraschend."
Individuelle Therapie - teure Therapie
Noch ist unklar, wie lange der Effekt anhält. Sollte Lupus jedoch mit CAR-T-Zellen dauerhaft heilbar sein, dann würde das sicher auch die hohen Kosten rechtfertigen, so die Erlanger Forscher. Mit 200.000 Euro pro Infusion rechnen sie hier, denn die Zelltherapie muss für jeden Patienten individuell hergestellt werden, das ist extrem aufwendig.
In Erlangen wurden bisher 25 Betroffene mit verschiedenen Autoimmunerkrankungen erfolgreich mit CAR-T-Zellen behandelt. Weltweit laufen bereits die ersten großen Studien an.
Dabei profitiert man von den Erfahrungen mit Krebspatienten aus den vergangenen Jahren. Doch es gibt Unterschiede - auch aus ethischer Sicht, sagt Andreas Mackensen, Direktor der Abteilung für Hämatologie und Internistische Onkologie der Uniklinik Erlangen: "Bei den Krebspatienten geht es in der Regel um Leben und Tod." Die Patienten und Patientinnen mit Autoimmunerkrankungen seien hingegen häufig recht jung und könnten meist auch trotz der fortgeschrittenen Erkrankung damit leben. "Die Patienten, die wir hier mit CAR-T-Zellen behandeln, hatten jedoch alle einen Organbefall von lebenswichtigen Organen." Wenn zum Beispiel das Herz oder die Lunge angegriffen werde, sei das mit dem Leben oft nicht auf Dauer vereinbar, so Mackensen.
Wirken CAR-T-Zellen auch bei Multipler Sklerose?
Zurzeit können daher nur sehr schwere Fälle an den Studien teilnehmen, nachdem alle anderen Behandlungen fehlschlugen, denn noch gibt es viele offene Fragen bei dieser Therapieform. Zum Beispiel sind die Effekte der Therapie nicht bei allen Erkrankungen gleich stark ausgeprägt.
Manuel Friese erforscht zum Beispiel am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg, ob CAR-T-Zellen auch bei einer vergleichsweise häufigen Autoimmunerkrankung wirken könnten: Bei Multipler Sklerose. Hier wandern fehlgeleitete B-Zellen ins Gehirn und Rückenmark der Betroffenen, die Zellen bleiben dort und richten über eine lange Zeit kontinuierlichen Schaden an.
Lebende Zellen als Medikament haben einen Vorteil
CAR-T-Zellen hätten hier den Vorteil, dass es sich um eine lebende Zelle handele, die man verabreicht, sagt der Direktor des Instituts für Neuroimmunologie am UKE, Friese: "Die hat ganz andere Möglichkeiten als andere Medikamente. Sie kann zum Beispiel in das Gehirn übertreten und dort die Ziele finden, auf die sie programmiert wurde."
Die ersten Patientinnen mit Multipler Sklerose (MS) haben in Hamburg bereits CAR-T-Zellen erhalten, größere Studien folgen. Doch einen so auffälligen Effekt wie bei Lupus oder Myasthenie erwartet Manuel Friese bei MS nicht:
"Im Gegensatz zu vielen anderen Autoimmunerkrankungen ist es bei der Multiplen Sklerose so, dass das Nervensystem meistens durch die zurückliegenden Entzündungen schon irreversibel geschädigt wurde." Diese könnten durch CAR-T-Zellen nicht rückgängig gemacht werden. "Es gibt also nicht sofort einen sichtbaren Nutzen. Das ist auch bei anderen Therapien so, die wir haben", sagt Friese. Das Ziel sei es, weitere Schädigungen abzuwenden."
Und auch bei Myasthenie und Lupus gilt: So vielversprechend die Ergebnisse bisher sind: Sie müssen noch durch große Studien bestätigt werden. Bereits im kommenden Jahr könnte es wichtige Ergebnisse geben. Sollten die positiv ausfallen, könnten die ersten Zulassungen von CAR-T-Zellen bei Autoimmunerkrankungen bald folgen.