Chinesisches Forschungsteam Diabetes mit Stammzellen geheilt
In China ist es Forschenden offenbar gelungen, eine Frau mit Diabetes Typ 1 zu heilen. Das sei mithilfe ihrer Stammzellen gelungen. Ein Durchbruch ist das aber wohl eher nicht.
Seit etwa einem Jahr ist der Blutzuckerspiegel der 25-jährigen Diabetes-Patientin stabil und sie benötigt kein zusätzliches Insulin. Das schreibt ein chinesisches Forschungsteam in einem kürzlich erschienenen Artikel für die renommierten Fachzeitschrift Cell.
Im Juni 2023 hatten die Forschenden der Frau sogenannte Inselzellen in die Bauchmuskeln transplantiert. Die wurden aus ihren eigenen Stammzellen hergestellt und erzeugen nun Insulin. Etwa zweieinhalb Monate nach dem Einsetzen sei die Patientin unabhängig von zusätzlichen Gaben des Hormons gewesen.
Chinesischer Artikel wirft Fragen auf
Erstaunliche Ergebnisse, findet Andreas Fritsche, Diabetologe am Uniklinikum Tübingen. Grund zur Freude gibt ihm der Artikel der Forschenden aber nicht.
Ein Grund für Fritsches Skepsis liegt auf der Hand: Bisher hat die neue Therapie nur bei einer einzigen Patientin so gut gewirkt - und das bisher eben lediglich für ein Jahr. "Bevor da nicht mehr Patienten behandelt wurden, und das über längere Zeit, kann man überhaupt noch nicht vom Durchbruch sprechen", sagt Fritsche.
Eigene Stammzellen könnten verträglicher sein als fremde Zellen
Eine der in die Stammzelltherapie gesetzten Hoffnungen ist, dass die transplantierten, körpereigenen Zellen nicht abgestoßen werden. Dieses Risiko besteht zum Beispiel bei der Therapie mit insulinproduzierenden Inselzellen von anderen Menschen, die diese spenden.
Ob sich diese Hoffnung nun erfüllen könnten - dazu lassen sich aus dem Artikel allerdings keine Schlüsse ziehen. Denn die 25-jährige Patientin hat schon mehrere Organe transplantiert bekommen, deswegen nimmt sie Immunsuppressiva. Das sind Medikamente, die den Körper davon abhalten, diese Organe abzustoßen, indem sie das Immunsystem unterdrücken.
Immunsuppressiva könnten Therapieerfolg beeinflussen
Würde die Patientin diese Medikamente nicht einnehmen, würde ihr Körper vermutlich auch die aus den Stammzellen gewonnenen Beta-Zellen abstoßen, erläutert Diabetologe Fritsche. Das liege in der Natur von Diabetes Typ 1, einer Autoimmunerkrankung.
"Bei jedem Typ-1-Diabetes-Patienten versucht der Körper auch immer wieder, neue Beta-Zellen zu produzieren. (…) Aber wenn die das Licht der Welt erblicken, dann geht sofort wieder das Immunsystem des Betroffenen gegen diese Zellen vor und zerstört die. Und das Gleiche passiert eben auch bei transplantierten Zellen. Die Grunderkrankung, die Autoimmunerkrankung, ist ja immer noch da."
Fritsche weist außerdem auf die Gefahren von Stammzelltherapien hin. Zwar traten bei der chinesischen Patientin offenbar keine Nebenwirkungen auf. Es bestehe aber das Risiko, dass solche Zellen entarten oder dass unfertige Zellen mittransplantiert werden. Was mit diesen Zellen im Körper auf lange Sicht passiert, wisse man nicht.
Zweifel an Diabetes-Heilung
Dazu zweifelt der Diabetologe auch an den Ergebnissen an sich: Weil der Patientin nicht nur Beta-Zellen, sondern auch Alpha- und Delta-Zellen transplantiert wurden.
"Das klingt für mich so dermaßen unwahrscheinlich, dass man gleich drei hochspezialisierte Zelltypen generieren konnte und die auch noch alle funktionieren und miteinander toll kommunizieren. Das kommt mir sehr, sehr komisch vor. (…) Das wäre ein Fortschritt, der mehrere Schritte übersprungen hat. Das kann man kaum glauben."
Forschungsteam ist optimistisch
Die Forschenden räumen am Ende ihres Artikels ein: Größere Studien seien nötig, auch mit Menschen, die keine Immunsuppressiva nehmen. Sie sehen ihre Ergebnisse aber immerhin als einen Schritt in Richtung personalisierter Stammzelltherapie. Diabetes lässt sich mit Insulin gut behandeln.
Ob die neue Therapie auch bei anderen Menschen und auf Dauer funktioniert, wird sich erst mit mehr Forschung zeigen. Stand jetzt vertröstet Fritsche Diabetes-Patientinnen und -Patienten auf altbewährte Methoden: Mit Insulin könne man Diabetes Typ 1 heute ausgezeichnet behandeln. "Und diese ganzen Gefahren durch diese neue Methode (…) mit vielen, vielen Fragezeichen, das muss man aufwiegen gegen die heute eigentlich schon sehr gute Therapie des Diabetes", sagt der Diabetologe.
Selbst wenn die Stammzell-Forschung voranschreitet - bis so eine aufwändige Therapie großflächig verfügbar ist, dürfte es ohnehin noch dauern.