Demenzverdacht Fußball ohne Kopfball?
Dement durch Kopfbälle - eine Studie stellt diesen Zusammenhang her. In Großbritannien sind sie für junge Kicker bereits zum Teil verboten. Aber geht Fußball auch ohne? Ein erster Versuch rief unterschiedliche Reaktionen hervor.
Der erste lange Ball nach Anpfiff, und der Verteidiger klärt mit dem Kopf. Der Pfiff des Schiedsrichters schrillt durch das Stadion: Freistoß für den Gegner. Die Spieler müssen sich erst noch daran gewöhnen. Kopf ist wie Hand - verboten.
In Spennymoor im Norden Englands spielen lokale Größen und ehemalige Profis gegeneinander. Ein Freundschaftsspiel zwar, aber eine Spaßveranstaltung ist es nicht. Es ist ein Test mit ernstem Hintergrund. Die Initiatorin, Judith Gates, hat vor dem Spiel viele Interviews gegeben. Gerne hätte sie das auch ihren Mann machen lassen, einen ehemaligen Fußballspieler. Aber er kann das nicht mehr - er leidet an Demenz.
Und daran ist der Fußball Schuld, glaubt Gates. Ihr Mann Bill hat als Aktiver viel geköpft. Manchmal ist er nach einem Luftkampf zu Boden. Wenn der Schädel dröhnte, gab es Riechsalz, und weiter ging es. "Heute zahlt er einen hohen Preis. Er kann sich nicht mal mehr allein rasieren. Es ist, als ziehe das Leben aus seinem Körper aus", sagt Judith Gates. Und die Gefahr bestehe für unzählige Fußballer, auch heute.
Flach passen und abwarten
Den Anstoß zum Spiel hat Bill gemacht. Er kickt den Ball vom Punkt. Während er dann das Feld verlässt, klatschen die Spieler Beifall. In der ersten Halbzeit ist das Köpfen im Strafraum noch erlaubt, in der Zweiten gänzlich verboten. Es wird viel flach gespielt. Ecken kurz ausgeführt. Bei langen Bällen müssen die Spieler warten, bis der Ball auf dem Boden aufschlägt.
Am Seitenrand beobachtet Judith Gates das Geschehen. Im Stadion sind auch 390 Fans, das Experiment stößt durchaus auf Interesse. Judith Gates möchte beweisen, dass Fußball auch ohne Kopfballspiel möglich ist.
Ein Freundschaftsspiel in Spennymoor in Nordengland: Die beiden Mannschaften wollen herausfinden, wie Fußball ohne Kopfball geht.
Auffällige Häufung
In England hat die Diskussion über die Gefahr von Kopfbällen längst begonnen. Fünf Spieler der legendären englischen Weltmeistermannschaft von 1966 sind an Demenz erkrankt, vier verstorben. Zufall scheint es nicht zu sein.
In einer Studie unter 8000 ehemaligen schottischen Fußballern untersuchte die Universität Glasgow den Zusammenhang von Kopfbällen und möglichen gesundheitlichen Folgen. Sie fand heraus, dass die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, bei Fußballern 3,45-mal höher ist, als in der Normalbevölkerung. Bei Alzheimer sogar 4,4-mal höher.
Fünf Spieler der legendären englischen Nationalmannschaft, die 1966 Weltmeister wurde, erkrankten an Demenz - darunter auch Bobby Charlton (erster von rechts).
Andere Trainingsregeln
Ein Beleg, dass Kopfbälle für diese Krankheiten verantwortlich sind oder sie auslösen können, ist dies nicht. Dennoch reagiert der englische Fußballverband. Er untersagte das Kopfballtraining für Kinder unter zwölf Jahren. Für die älteren Jahrgänge sollten Übungen "soweit wie möglich" reduziert werden.
Sogar für die Profi-Fußballer gilt im Training ein Limit. Nicht mehr als zehn Kopfbälle sollen sie in der Woche machen, die härterer Natur sind. Bedeutet: Bälle, die aus einer Distanz über 35 Meter geschlagen werden, sollen fliegen gelassen werden.
Mehr Schüsse aus der Distanz
In Spennymoor geht es Judith Gates um den nächsten Schritt; darum, Kopfbälle auch aus dem Spiel zu verbannen. Es fallen Tore, in der ersten Halbzeit sogar mit dem Kopf im Strafraum. Im zweiten Durchgang gibt es mehr Fernschüsse. Drei landen in den Maschen.
Auf der Tribüne hält man das Spiel für unterhaltsam, aber auch anders. Die Luftkämpfe fehlen. Manche können sich diese Form nicht für ein Ligaspiel vorstellen - "schon gar nicht in der Premier League", sagt ein Zuschauer, also in der ersten englischen Liga.
Bei anderen aber rattert es auch im Kopf. Es sei etwas, was man für die Zukunft durchdenken müsse, sagt ein anderer Zuschauer. Vor allem angesichts der Studien, dass es vielleicht einen Zusammenhang mit Demenz geben könne.
Ein Anstoß geht noch, mehr aber nicht mehr. Weil Bill Gates an Demenz leidet, setzt sich seine Frau Judith für einen Fußball ein, der die Spieler stärker schützt.
Ein Frage früher Gewöhnung?
Erste Ideen gibt es auch. "Wenn Kinder es nicht anders lernen, dann ist es vielleicht bald die Norm", meint einer, dessen Kinder mit zum Spiel gekommen sind. Andere Länder müssten dann aber mitmachen.
Judith Gates ist realistisch genug, dass sich der Fußball nicht von heute auf morgen verändern lässt. Sie wolle ein Spiel, das an seiner Schönheit nicht verliere, aber die Spieler schütze.
Nach 90 Minuten will sie das bei ihrem Experiment gesehen haben. Es sei ihr wichtig, dass die Leute darüber diskutieren, was möglich ist. Tatsächlich aber hat sie nichts Geringeres vor, als den Fußball in seinen Grundfesten zu revolutionieren. Sie macht es für ihren Mann. Weil er den Kampf selbst nicht mehr führen kann.
Ein Wortspiel als Aufdruck, das ermuntern und anregen soll: "Head for Change" - das kann man als "Den Wandel ansteuern" oder "Einen Kopf für den Wandel" verstehen.