Welternährungstag Genug Lebensmittel - aber mehr Hunger
Obwohl es weltweit genug Lebensmittel gibt, steigt die Zahl der Menschen, die akut Hunger leiden, weiter rasant an. Seit fünf Jahren beobachtet das Welternährungsprogramm eine Verschlechterung der Versorgungslage.
Weltweit wurden in den Jahren 2019 bis 2021 im Durchschnitt genug Kalorien produziert, um die Weltbevölkerung zu ernähren. Es gibt sogar einen "Überschuss" von 24 Prozent. Und rein rechnerisch steigt dieser Überschuss seit Jahren sogar an. Das zeigt der Dietary Energy Supply-Indikator der Welternährungsorganisation FAO. Was er nicht zeigt: Wie gut Menschen tatsächlich mit Nahrung versorgt sind. Die theoretisch verfügbare Menge an Nahrungsmitteln sagt nämlich wenig über den realen Hunger aus. Aber sie macht deutlich: Wir haben genug zu essen auf dieser Welt. Das Problem ist die Verteilung.
Denn auf der anderen Seite wächst auch die Zahl der Hungernden wieder. Der Welthunger-Index der Welthungerhilfe kam für 2021 auf bis zu 828 Millionen Menschen, die nicht genug zu essen haben. Gegenüber dem Jahr davor ein Anstieg von gut fünf Prozent. Die Präsidentin der Organisation, Marlehn Thieme, spricht von einer "toxischen Mischung" aus bewaffneten Konflikten, dem Klimawandel und der Corona-Pandemie. Faktoren, die sich gegenseitig verstärkt haben.
Verluste und Verschwendung
Lebensmittelverschwendung ist in der Öffentlichkeit ein großes Thema. Was dagegen kaum noch diskutiert wird, sind die Verluste bei der Ernte und danach. Studien darüber sind meist älter. Dabei sind die Themen annähernd gleichwertig. Nach Schätzungen der FAO gehen 14 Prozent der potenziellen Nahrungsmittel durch so genannte Nachernte-Verluste verloren, 17 Prozent durch Wegwerfen. Die Verluste betreffen auch vor allem jene Länder, die ohnehin stark von Hunger betroffen sind.
Analysen früherer Nahrungsmittelkrisen in Ostafrika haben gezeigt, dass zum Beispiel in Äthiopien fast ein Drittel des weißen Mais, der dort ein Grundnahrungsmittel ist, vor allem durch Schimmel während der Lagerung verloren geht. In einem Versuch wurden die traditionellen Kornspeicher durch einen solarbetriebenen Ventilator verbessert. Mit deutlichem Erfolg.
Das World-Food-Program, WFP, das die Hungerhilfe in Notfällen organisiert, arbeitet mit ähnlichen Rezepten, Feuchtigkeitsmessgeräten und einfachen Trocknungsanlagen, um die Lagervorräte zu schützen. Feste Säcke sollen Nager abhalten. Projekte und gute Beispiele gibt es genügend, doch sie alle verändern die Situation nicht grundlegend.
Zu geringe Erträge an Grundnahrungsmittel
Die Gründe dafür sind vielfältig und betreffen ähnlich auch die gesamte Ertragssituation in vielen besonders vom Hunger betroffenen Ländern in Afrika. Während die Durchschnittserträge weltweit deutlich ansteigen, ist die Entwicklung in der Region südlich der Sahara deutlich verhaltener.
Die Klimakrise mit veränderten Wettermustern, veralteten und schädlichen Anbaumethoden, wie Brandrodung, gehören zum Ursachenbündel, genauso wie der Mangel an Dünger und effizienten Bewässerungssystemen. Schlechte Bildungssysteme, Korruption, eine an den Bedürfnissen der städtischen Bevölkerung ausgerichtete Politik. Und dann natürlich auch der Druck internationaler Organisationen, Cashcrops anzubauen. Also Produkte wie Tee und Kaffee, mit denen sich im Handel mit dem reichen Norden Geld verdienen lässt. Die Folge: Obwohl zum Beispiel in Kenia 70 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeiten, haben sie oft selbst nicht genug zu essen.
Zunahme der Fleischproduktion
Ein großer Teil der Kalorien, die in Pflanzen stecken und viele Menschen satt machen könnten, verschwinden in Tiermägen. Auf diese Art wird Energie vernichtet: Geflügel braucht etwa dreimal so viel Kalorien in Form von Futter, wie nachher im Fleisch drinsteckt, Schweine circa fünfmal und Rinder bis zehnmal so viel.
Auch wenn Futtermittel wie Rapsschrot oder Zuckerrübenschnitzel Abfallprodukte der Nahrungsmittelproduktion sind, bleibt die Viehzucht unter dem Strich ein wachsendes Problem. Die globale Fleischproduktion hat sich nach Angaben im Weltagrarbericht nämlich in den letzten 50 Jahren fast vervierfacht - von 84 Millionen Tonnen 1965 auf 330 Millionen in 2017.
Armut und Hunger
Die vielleicht wichtigste Ursache von Hunger ist Armut. Eine Zusammenfassung aus der Denkfabrik Think Tank for Sustainability listet auf, dass etwa 1,8 Milliarden Menschen weltweit in Armut leben und mit weniger als 3,20 Dollar am Tag auskommen. 700 Millionen haben sogar weniger als 1,90 Dollar zur Verfügung. Demnach kosten Nahrungsmittel, die zumindest den Hunger stillen im globalen Durchschnitt 2,33 Dollar, eine ausgewogene Ernährung mindestens 3,75 Dollar. So ist zu erklären, dass sich selbst in Staaten, in denen es genügend Nahrungsmittel gibt, viele Menschen trotzdem keine ausreichenden Mahlzeiten leisten können.
Die Ukrainekrise hat die Situation auf den Nahrungsmittelmärkten verschärft und ist eine Ursache für die Inflation, die weltweit steigende Preise zur Folge hat. Das Kinderhilfswerk World Vision macht deutlich, dass die Preise für Lebensmittel im vergangenen Jahr global um 14 Prozent gestiegen sind.
Besonders stark war der Anstieg in einigen der ärmsten Länder - insbesondere in jenen, die auf Importe angewiesen und vom Klimawandel besonders betroffen sind. So stiegen die Nahrungsmittelpreise seit 2021 im Sudan um 143 Prozent, in Äthiopien um 42 Prozent und in Angola um 33 Prozent. Auf den Salomonen haben sich die Reis- und Milchpreise seit 2021 verdreifacht.
Welche Lösungen kann es geben?
So viele Ursachen der Hunger in der Welt hat, so viele mögliche Lösungen gibt es. Auch wenn es populäre Themen wie urban oder vertical farming und Insekten-Burger gibt: All das sind nur Einzelmaßnahmen mit beschränkter Wirkung. Um den Hunger wirklich zu bekämpfen, müsste die internationale Zusammenarbeit vor allem ausgebaut werden. Das Gegenteil ist derzeit der Fall.
Alexander Müller, ehemals Staatssekretär und stellvertretender FAO-Generalsekretär, ist jetzt Geschäftsführer der Denkfabrik Think Tank for Sustainability, er sagt: "Ohne internationale Vereinbarungen wird die gigantische doppelte Herausforderung, zukünftig 10 Milliarden Menschen zu ernähren und gleichzeitig die natürlichen Ressourcen der Erde zu schützen, nicht bewältigt werden können."