Klimawandel in der Arktis Forschungsschiff "Polarstern" auf Kurs Nordpol
Zwei Monate lang will ein 50-köpfiges Wissenschaftsteam in der Arktis Daten über die Folgen des Klimawandels sammeln. Die Experimente führen tief unter das Eis.
Die Arktis gilt als Hotspot des Klimawandels. Die Region am Nordpol erwärmte sich in den vergangenen 40 Jahren laut einer Studie fast vier Mal schneller als die Welt insgesamt, das Meereis schmilzt immer weiter ab.
Mit einer zweimonatigen Expedition ins Eis der Arktis möchte das Alfred-Wegener-Institut (AWI) neue Erkenntnisse über die Folgen des Klimawandels auf das Eis und den arktischen Ozean erlangen. Diese Woche geht es mit dem Forschungseisbrecher "Polarstern" vom norwegischen Tromsø aus los. Die Route führt westlich an Spitzbergen vorbei gen Nordpol.
Rückschlüsse auf Voranschreiten des Klimawandels
Rund 50 Forschende arbeiten an Bord, den Großteil stellt das AWI. Das AWI mit Sitz in Bremerhaven gehört zu den führenden Instituten im Bereich Meeres- und Polarforschung. Beteiligt sind ebenso internationale und andere deutsche Forschungseinrichtungen, etwa der Deutsche Wetterdienst.
Im Mittelpunkt der Expedition steht die Frage, wie dick das Meereis während der diesjährigen Sommerschmelze ist. Das soll Rückschlüsse ermöglichen, wie schnell der Klimawandel voranschreitet.
Arktis als Schlüssel der Klimaforschung
Die Arktis gilt als ein Schlüssel zum Verständnis des Klimawandels. Schon jetzt verliert sie ungefähr 13 Prozent der Eisfläche pro Jahrzehnt, sagt der AWI-Forscher Marcel Nicolaus. Aktuelle Klimamodelle gingen davon aus, dass die Arktis Mitte des Jahrhunderts zumindest im Sommer ganz eisfrei ist.
Zwar lässt sich mit Satelliten das Eis auch aus der Ferne beobachten. Doch unter das Eis schauen und Proben nehmen, geht nicht aus der Ferne. Deshalb müssen die Wissenschaftler vor Ort sein. Dort kommt schweres Gerät zum Einsatz. Mit Hilfe von Sensoren, die an Helikoptern angebracht sind, vermessen sie das Eis und filmen es mit Tauchrobotern von unten. "Wir können damit dreidimensionale Modelle vom Eis, nicht nur von der Oberseite, sondern auch von der Unterseite zusammenstellen", erklärt Nicolaus.
Der Meereis-Physiker ist unter anderem für die Steuerung der Tauchroboter zuständig. Ihre Navigation erfordert einige Erfahrung: GPS gibt es unter Wasser nicht.
Auswirkungen des Abschmelzens auf Pflanzen und Tiere
Eine zweite Kernfrage ist, wie sich das Abschmelzen des Eises auf Lebewesen im arktischen Ozean auswirkt. Wenn die Oberfläche mit weniger Schnee und Eis bedeckt ist, gelangt mehr Licht in den Ozean - das beeinflusst das Wachstum von Algen. Ebenso schaut das Team, ob Fischarten durch den Klimawandel weiter in den kälteren Norden wandern.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen aber auch die Tiefsee erforschen. Hochauflösende Kameras erstellen Bilder in 4.000 Metern Tiefe, auch Bodenproben wollen sie nehmen. "Wir wollen wissen: Ändert es sich bis in vier Kilometer Tiefe, in die Tiefsee? Das ist die große Frage", sagt AWI-Direktorin Antje Boetius zu Radio Bremen. Die preisgekrönte Biologin leitet die Expedition.
Ähnliche Expedition wie 2012
Schon 2012 hatte das AWI fast die gleiche Arktis-Expedition unternommen. Nun will Boetius sehen, wie sich die Situation im Zuge des Klimawandels verändert hat. Damals fand ihr Team am Ozeangrund Algen-Klumpen. Bis zu zehn Prozent des Bodens seien damit bedeckt gewesen. Die Algen hätten Seegurken und Haarsterne angelockt.
Die Algen leben eigentlich unterm Eis, nahe der Oberfläche. Die Forschenden gehen davon aus, dass sie durch das Schmelzen in die Tiefe sinken. "Das war vorher gar nicht so klar", so Nicolaus.
Die aktuelle Expedition knüpft auch an die Mosaic-Expedition von 2019 bis 2020. Es war die bisher größte Arktis-Expedition aller Zeiten. Damals ließ sich die "Polarstern" ein Jahr im Eis festfrieren, um Experimente durchzuführen.
Zwei Monate forschen für sieben Millionen Euro
Der Aufwand für die Forschung ist hoch. Rund 40 Crewmitglieder vom Kapitän bis zum Koch sind auf der "Polarstern" beschäftigt. Der Betrieb des Schiffes kostet laut Alfred-Wegener-Institut für zwei Monate rund sieben Millionen Euro, zum Großteil finanziert vom Bundesforschungsministerium. Zu den Kosten kommen noch die Gehälter der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Für Wissenschaftler Nicolaus ist die Arktis ein "Frühwarnsystem" des Klimawandels, das ernst genommen werden muss. Ihn motiviert es, die Gründe für den Klimawandel zu erklären, sagt er. Und auch, dass sich mittlerweile politisch etwas in Gang gesetzt habe. Denn klar sei: Die Veränderungen in der Arktis betreffen auch uns. Das abschmelzende Eis in der Arktis hat Folgen auf das Wetter in Deutschland. Wenn die Temperaturen rund um den Nordpol steigen, beeinflusst das Luftzirkulation der Atmosphäre, was zu mehr Wetterextremen führt.