Umweltpreisträgerin Tanneberger "Die Moore sind in einem sehr schlechten Zustand"
Moore sind einzigartige Lebensräume, die wichtig sind für die Artenvielfalt und die Speicherung von CO2 sind. Für ihre Forschung dazu erhält Wissenschaftlerin Tanneberger in diesem Jahr den Deutschen Umweltpreis.
tagesschau.de: Frau Tanneberger, was bedeutet dieser Preis für Sie?
Franziska Tanneberger: Ja, erst mal ist es eine große Überraschung. Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet. Dieser Preis ist eine sehr große Ehrung. Für mich persönlich bedeutet es vor allem auch, dass das Thema Moore mit der Bedeutung für uns, für den Schutz von Klima und Biodiversität, vom Wasserhaushalt, noch mehr Aufmerksamkeit bekommt. Und ich freue mich auch sehr, dass es eine Ehrung für viele meiner Kollegen und Kolleginnen am Greifswald Moor Centrum ist, denn wir sind eine große Gemeinschaft von etwa 100 Personen, die an dem Thema arbeiten.
Franziska Tanneberger wuchs in Ost-Berlin auf. Nach dem Abitur studierte sie Landschaftsökologie und Naturschutz an der Universität Greifswald. Studienaufenthalte unter anderem in Sibirien motivierten sie, sich intensiv mit dem Thema "Moore" zu beschäftigen. Sie arbeitete in Naturschutzprojekten in Belarus und Polen sowie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Seit 2015 leitet Tanneberger das Greifswald Moor Centrum.
"Moore sind Problem und Chance"
tagesschau.de: Wie steht es um die Moore in Deutschland?
Tanneberger: Nicht gut. Das muss man leider sagen. Die Moore sind in einem sehr schlechten Zustand. Wir haben sehr systematisch und gründlich Moore entwässert. Es war lange sehr sinnvoll, im trockenen Moor Landwirtschaft zu betreiben, weil es ja auch um die Produktion von Nahrungsmitteln ging. Ich hätte es genauso gemacht in der Vergangenheit.
Heute wissen wir aber eben, dass die trockenen Moore eine ganz große Quelle von Kohlendioxid (CO2) sind und viele andere Umweltschäden verursachen. Und in dem Sinne ist es heute wirklich sozusagen eine echte Baustelle, einerseits ein Problem und andererseits eine ganz große Chance.
Wir sehen jetzt schon, es gibt einige Moore, die schon wiedervernässt wurden in Deutschland. Wir schätzen, etwa zwei Prozent sind nie stark entwässert worden, etwa vier Prozent sind schon wieder vernässt. Aber die große Menge der Moore ist derzeit noch in einem trockenen Zustand, und das sind Flächen, wo wir jetzt viele Möglichkeit haben, die Situation in nächster Zeit zu verbessern.
tagesschau.de Stichwort CO2-Speicherung. Was können Moore dabei machen?
Tanneberger: Moore haben in der Vergangenheit schon nachgewiesen, dass sie sehr effizient CO2 binden können. Die Pflanzen nehmen das CO2 auf, machen Photosynthese. In den Mooren ist die besondere Situation, dass wir diese Wasserschicht am Boden haben. Die unteren Teile der Pflanzen werden nicht zersetzt, sie bleiben - geschützt vom Wasser - zu großen Teilen erhalten. Das ist eben Kohlenstoff, der dann im Boden gespeichert wird. Moore haben sozusagen schon nachgewiesen, was wir im Moment an anderen Stellen mit vielen technischen Lösungen für die CO2-Aufnahme versuchen.
"Man braucht das Einverständnis aller Beteiligten"
tagesschau.de: Wie kompliziert ist es denn nun eigentlich, Moore wieder zu vernässen?
Tanneberger: Ich sage immer gerne, es geht eigentlich um einen Stopp der Entwässerung. Das Moor hat aufgehört, ein nasses, lebendes Moor zu sein, weil wir das Wasser abführen. Und wenn wir damit aufhören, haben die Moore wieder eine Chance, nasser zu werden. Das ist baulich gar nicht mal unbedingt so kompliziert. Es hat mit einem Rückbau der Entwässerungseinrichtungen zu tun.
Das Komplexe und Herausfordernde daran sind die Schritte vorher. Man muss ein Einverständnis aller Beteiligten haben. Es sind oft private Flurstücke. Es muss ein Planungsprozess stattfinden. Es muss ein Genehmigungsprozess stattfinden. Die Belange aller Beteiligten müssen berücksichtigt werden. Das hat man beim Entwässern natürlich nie gemacht. Das ist in der Vergangenheit einfach von irgendwelchen Königen und Herrschenden gemacht worden.
Landwirtschaft auf nassen Mooren
tagesschau.de: Landwirtschaft, Ökologie und Menschen, die in ehemaligen Moorgebieten leben. Wie kann man diesen Konflikt lösen?
Tanneberger: Ich würde gar nicht an erster Stelle sagen, es muss immer ein Konflikt sein. Ich glaube, man muss damit anfangen, dass man hingeht und dass man über die Themen nicht nur irgendwo weit weg davon redet, sondern dort, wo die Menschen leben und die Gebiete sind. Was sind eigentlich die die Interessen und die Bedürfnisse der Menschen, die dort leben?
Ich erlebe sehr oft auch eine hohe Bereitschaft zum Klimaschutz, aber auch eine Frustration von Menschen, die auf entwässerten Mooren wirtschaften und sagen, sie sind ja gezwungen, das zu machen. Sie haben investiert, sie haben die Förderung dafür bekommen und jetzt sagen ihnen ihre Kinder und Enkel: "Hey, das ist eine CO2-Quelle, auf der ihr wirtschaftet." Und viele wollen das ja gar nicht. Aber es sind sozusagen die Bedingungen, die sie dahin gebracht haben.
Ein ganz wichtiger Schritt war erst mal, dass jetzt die landwirtschaftliche Nutzung auch auf den nassen Moorflächen gefördert wird, denn die meisten Bewirtschafter dieser Flächen möchten die Flächen auch weiter bewirtschaften. Diese Öffnung ist ganz wesentlich dafür, dass sich auch eine Wertschöpfung realisieren lässt, also dass Landwirtschaft wirklich auf diesen nassen Flächen auch anerkannt ist. Es ist ja nicht ein Paradigma, dass Landwirtschaft nur auf trockenen Böden funktioniert.
Und es braucht natürlich auch Interesse an den Produkten, die man auf nassen Mooren erzeugt. Das hat in letzter Zeit eine sehr hohe Dynamik bekommen. Ich spreche von einer neuen Art von Landwirtschaft, Paludikultur, die im Übrigen aber auch traditionell ist; ich erinnere an die Reetdächer in Norddeutschland. Derzeit hat sich eine Allianz von Unternehmen gegründet, die genau nach solcher Biomasse nachfragt, weil sie sehr gute Eigenschaften als Baumaterial hat.
"Es braucht von oben die Rahmenbedingungen"
tagesschau.de: Was muss passieren, damit noch mehr Moore wiedervernässt werden?
Tanneberger: An allererster Stelle, glaube ich, braucht es Menschen vor Ort, die Ansprechpersonen sind. Wir werden als Greifswald Moor Centrum sehr oft kontaktiert von Eigentümern von Flurstücken, die sagen: "Ja, sie haben gehört, mit den Mooren, da muss ich jetzt was ändern. Und sie wollen gerne das Richtige tun und auch langfristig denken. Aber wer kann uns jetzt dabei unterstützen?" Und da ist ein Vakuum im Moment nach wie vor.
Sehr wichtige und richtige Schritte sind jetzt, Strukturen aufzubauen, die sich um diese Fragen kümmern, beispielsweise Mooragenturen, wie sie jetzt schon entstehen, vor Ort, in den moorreichen Regionen oder in den Kommunen, in Liegenschaftsabteilungen, wo es ganz konkret um diese Fragen geht Was passiert auf welcher Fläche? Es braucht sozusagen von oben die Rahmenbedingungen, dass die Bewirtschaftung dieser nassen Flächen rentabel sein kann, dass die nassen Flächen nicht sofort an Wert verlieren. Das ist ganz wichtig.
Das Gespräch führte Bernd Großheim. Es wurde für die schriftliche Version gekürzt und redigiert.