Klimawandel in der Schweiz Gletscher schmelzen in zwei Jahren um zehn Prozent
Die Gletscher in der Schweiz haben seit 2022 so viel Eis verloren wie in einem Vergleichszeitraum von 30 Jahren. Wissenschaftler warnen vor einer dramatischen Beschleunigung.
Die Schweizer Gletscher haben das zweite Extremjahr in Folge erlebt. 2022 und 2023 sei das Gletschervolumen insgesamt um zehn Prozent geschrumpft, berichtete die Schweizerische Kommission für Kryosphärenbeobachtung der Akademie der Naturwissenschaften. Damit sei innerhalb von zwei Jahren so viel Eis verloren gegangen wie insgesamt zwischen 1960 und 1990.
"Die Gletscher der Schweiz schmelzen immer schneller. Die Beschleunigung ist dramatisch", teilte die Akademie mit. Ursachen seien der sehr schneearme Winter 2022/23 und die hohen Temperaturen im Sommer. Einige Gletscherzungen seien zerfallen und kleinere Gletscher seien verschwunden.
Schneeschmelze selbst über 3000 Metern Höhe
Die Eisdicke sei im Durchschnitt aller Gletscher um rund drei Meter geschrumpft. Im Berner Oberland und Teilen des Wallis - etwa am Großen Aletschgletscher - waren es etwa zwei Meter. Dort habe im vergangenen Winter mehr Schnee gelegen.
Das Verschwinden des Eisgrats zum Piz Murtèl, gesehen von der Bergstation des Piz Corvatsch, zeigt die Umgestaltung des Hochgebirges zwischen 2005 und 2023 eindrücklich:
Selbst im südlichen Wallis und im Engadin, wo Gletscher auf mehr als 3200 Metern eigentlich noch intakt waren, sei in diesem Jahr eine Schneeschmelze von mehreren Metern gemessen worden.
Der Juni war zu warm und trocken
Besonders in der zweiten Februarhälfte habe teils so wenig Schnee gelegen wie nie zuvor um diese Zeit seit Beginn der Messungen. Die Schneehöhen betrugen im Durchschnitt nur noch 30 Prozent des langjährigen Mittels in dieser Zeitperiode. Auch oberhalb von 2000 Metern habe es in der zweiten Februarhälfte Tiefstwerte gegeben. Weil es im Juni sehr trocken und warm war, sei der Schnee zwei bis vier Wochen früher geschmolzen als üblich, berichtete die Akademie.
Wetterdienste meldeten zudem Ende August, dass die Nullgradgrenze so hoch lag wie nie zuvor gemessen, bei fast 5300 Metern. Vereinzelte Sommerschneefälle seien deshalb meist rasch geschmolzen und hätten den Gletschern kaum dringend nötigen Schneenachschub geliefert.
Der Zerfall des Griesgletschers schreitet schnell voran: Vor einem Jahr entdeckte man am Grund einer Spalte inmitten des Gletschers Fels. Nun ist eine regelrechte Felsinsel entstanden.
Die Daten stammen vom Schweizerischen Gletschermessnetz (Glamos), an dem unter anderem die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH) beteiligt ist.
Weltklimarat warnt vor Gletscherschmelzen
Gletscher sind unter anderem als Wasserspeicher von großer Bedeutung. Dies betrifft auch die Wasserkraftwerke in der Schweiz, aus denen rund 60 Prozent der in dem Alpenland erzeugten Energie stammt.
Der Weltklimarat IPCC hatte 2019 in einem Sonderbericht über die Ozeane und die weltweiten Eis- und Schneevorkommen prognostiziert, dass niedrig gelegene Gletscher wie in den Alpen und in Skandinavien bis zum Ende dieses Jahrhunderts rund 80 Prozent ihrer Masse einbüßen. In seinem im Februar 2022 veröffentlichten Sachstandsbericht nannte der IPCC das weltweite Abschmelzen von Eis und Schnee als eine der zehn größten Bedrohungen durch den Klimawandel.
Welche unmittelbare Gefahr die Gletscherschmelze darstellt, machte im Juli 2022 ein Gletscherbruch in den italienischen Alpen deutlich. Am Marmolata-Gletscher kamen damals elf Menschen ums Leben.