Unkraut oder essbar? Wo Städter etwas über Wildpflanzen lernen
Gundermann, große Klette oder Melde: Allesamt essbare Wildpflanzen, die offenbar in Vergessenheit geraten sind. Für alle, die sich schlau machen wollen, gibt es immer mehr Wildpflanzen-Spaziergänge.
Hunderte Male schon ist Barbetreiber Dung Vu Tien durch den Frankfurter Anlagenring rund um die Innenstadt gelaufen. Er hat dort mit seinen Kindern gespielt, Picknick gemacht. Dass mitten in der unscheinbaren Grünfläche, die einst die Stadt gegen Eindringlinge schützen sollte, essbare Wildpflanzen wachsen, war ihm lange nicht klar - bis er an so einem Wildpflanzen-Spaziergang teilnahm. "Auf einmal gehe ich mit anderen Augen hier entlang."
Für Dung Vu Tien und rund 30 andere Barbetreiber und Barkeeper aus Frankfurt und Umgebung ist der Spaziergang Teil einer Fortbildung. Die Frankfurterin Anna Weistand bietet diese an. Sie ist Fachberaterin für Selbstversorgung mit essbaren Wildpflanzen.
Giftig oder nicht?
Schon nach den ersten Schritten bleibt Anna an einer Meter hohen Hecke stehen. "Das ist die Eibe", erklärt sie. "Wenn man die roten Früchte öffnet, kommt ein zäher, klebriger Saft heraus. Kostet ruhig mal." Die Teilnehmer sind noch etwas unschlüssig. Ist Eibe nicht giftig? Zwei, drei probieren den süßen Saft. "Giftig sind die Kerne und Samen", erklärt Anna, "der Saft aber ist genießbar".
Ein paar Meter weiter wartet die nächste Überraschung. Anna pflückt eine unscheinbare Pflanze vom Boden. Die meisten wären achtlos darüber gelaufen. "Das ist Gundermann", erläutert Anna. "Das wächst hier überall, man kann es auch leicht zu Hause anbauen. Wer möchte, kann die Pflanze anstelle von Minze einsetzen."
Die wilde Malve mit der rosa Blüte, hilft als Tee aufgekocht gegen Magenschleimhautentzündung, erklärt Anna Weistand den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Spaziergangs.
Regeln fürs Sammeln
Gut denkbar, dass der ein oder andere Barkeeper also demnächst Gundermann an seine Cocktails macht. Der 22-jährige Joan Sanchez etwa, der im zweiten Lehrjahr zum Fachmann für Restaurants und Veranstaltungsgastronomie ist und ebenfalls am Spaziergang teilnimmt. "Für unser Restaurant ist es wichtig, im Trend zu sein. Und da ist regional und nachhaltig schon seit einer Weile wichtig", meint er. "Vielleicht probiere ich das mal aus."
Anna Weistand ist mittlerweile weitergegangen und erklärt ein paar Grundregeln. Bestimmte Pflanzen sollten - wenn möglich - erst ab Kniehöhe gepflückt werden, wegen der vielen Hunde, die hier ihr Geschäft verrichten. Und wer im Wald Pflanzen und Kräuter sammelt, darf natürlich nur eine gewisse Menge mitnehmen. "So eine Handstraußmenge etwa pro Spaziergang", sagt die Beraterin und reicht schon die nächste Pflanze herum, die sie komplett aus dem Boden gezogen hat.
Gewusst wie
Es ist die Knoblauchsrauke, deren Wurzel nach Meerrettich riecht, und die als ältestes heimisches Gewürz gilt. Schon wird die Pflanze von einem zum anderen gereicht. Jeder Teilnehmer schnuppert kurz daran. Ja, das mit dem Meerrettich-Geruch stimmt, sagen einige nickend.
Dass geröstete Brennessel-Samen nussig schmecken, die Früchte der Tollkirschen besser nicht gegessen werden sollten oder die Melde wie Spinat zubereitet werden kann, erstaunt die Spaziergänger in der nächsten halben Stunde. Aber Anna Weistand ist längst nicht am Ende.
Bewusstsein schaffen, Ängste nehmen
Die Stängel der großen Klette, die an einer kleinen Anhäufung wächst, können geschält, wie Spargel, zubereitet werden. Und die wilde Malve, mit der schönen rosa Blüte, hilft als Tee aufgekocht gegen Magenschleimhautentzündung. Mit den Spaziergängen verdient Anna Weistand natürlich Geld. Aber sie hat auch ein Anliegen. Sie möchte "wildes Wissen" verbreiten, wie sie sagt. Ein Bewusstsein schaffen für ein Leben "im Einklang mit der Natur", so die Beraterin, die nebenbei auch Jägerin ist.
Nach mehr als einer Stunde neigt sich der Spaziergang schließlich dem Ende entgegen. Barbetreiber Dung Vu Tien ist begeistert, was er alles über die Natur in seiner direkten Nachbarschaft gelernt hat.
Und er beschreibt, was ihn und viele seiner Kollegen umtreibt: "So ein Kurs trifft nicht nur den Nerv der Zeit. Wir lernen nicht nur, welche Kräuter und Pflanzen wir möglicherweise demnächst bei unseren Gerichten oder Drinks einsetzen können. Es ist mehr. Uns wird die Angst vor den Pflanzen genommen. Bisher dachte ich immer: Hey, das ist giftig. Und jetzt weiß ich: Wo ich immer mit meinen Kindern spiele, finde ich vielleicht auch etwas, das meinen nächsten Cocktail verfeinert. Das ist super."