EU-Parlament Beim Urheberrecht verwählt
Verwirrung bei der Abstimmung über die Urheberrechtsreform im EU-Parlament: Einige Abgeordnete wollten am Dienstag für Änderungen stimmen, haben wegen der Masse an Anträgen aber den Überblick verloren.
Für Tiemo Wölken war Dienstag kein guter Tag. Der Europaabgeordnete der SPD hatte auf Änderungen bei der EU-Urheberrechtsrichtline gehofft und wollte zusammen mit anderen Parlamentariern darüber abstimmen lassen. Doch der sogenannte Geschäftsordnungsantrag, der ermöglichen sollte, über Änderungsvorschläge abzustimmen - also zum Beispiel den umstrittenen Artikel 13 zu streichen -, wurde mit einer knappen Mehrheit von fünf Stimmen abgelehnt. Das Europäische Parlament sprach sich für die Urheberrechtsrichtline aus - und zwar ohne Änderungen.
Überrascht war Wölken aber, als er am Abend das Protokoll zu den Abstimmungen des Tages las. Denn mit Blick auf den Geschäftsordnungsantrag hatten mehrere Abgeordnete verschiedener Fraktionen ihr Abstimmungsverhalten nachträglich korrigiert.
Demnach waren zehn Abgeordnete nun doch für diesen Antrag, obwohl sie im Plenum dagegen gestimmt, sich enthalten oder gar nicht abgestimmt hatten. Zwei Abgeordnete korrigierten ihr Votum auf Nein und einer auf Enthaltung. In der Summe hätte der Geschäftsordnungsantrag zu den Änderungsvorschlägen eine Mehrheit gehabt.
Unübersichtliche Abstimmungslisten, schlechte Übersetzungen
Das heißt nicht, dass die Änderungen tatsächlich angenommen worden wären, weiß auch Tiemo Wölken. Bedauerlich sei es trotzdem. Allerdings, so Wölken, sei es im Europaparlament nicht ungewöhnlich, sich bei einer Abstimmung auch mal zu vertun. Das hänge mit der schieren Masse an Anträgen zusammen, mit unübersichtlichen Abstimmungslisten oder auch verzögerten oder schlechten Übersetzungen. Auch er habe in der Vergangenheit schon mal daneben gegriffen.
Das ARD-Hauptstadtstudio hat alle EU-Parlamentarier, die ihr Votum in Bezug auf den besagten Geschäftsordnungsantrag korrigiert hatten, angeschrieben. Der Sprecher der sozialdemokratischen schwedischen Abgeordneten Martia Ulvskog, die ihr Votum von Ja auf Nein verändert hat, erklärte, dass sie einen Fehler gemacht habe, den sie dann korrigiert habe.
Auch zwei weitere schwedische Abgeordnete stimmten wohl versehentlich falsch ab, wie der Chef der Schwedendemokraten im Europaparlament auf die Nachfrage eines Journalisten auf Twitter erklärte. Sie seien eigentlich für die Abstimmung über die Änderungsanträge gewesen. Wie auch der liberale litauische Abgeordnete Antanas Guoga und der rechte belgische Parlamentarier Gerolf Annemans, die auf ARD-Anfrage gleichfalls schrieben, dass ihnen ein Fehler unterlaufen sei.
So wie hier in Hannover sind am Wochenende in mehreren deutschen Städten Menschen gegen die EU-Urheberrechtsreform auf die Straße gegangen.
"Das war ein Versehen"
Der deutsche SPD-Abgeordnete Jo Leinen wollte ebenfalls zugunsten des Geschäftsordnungsantrags abstimmen, verpasste aber offenbar den entscheidenden Moment und wurde daher nicht mitgezählt. Gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio erklärte er:
In Straßburg wird täglich über eine große Anzahl an Änderungsanträgen abgestimmt. Dass ich bei diesem Punkt nicht mitgestimmt habe, war ein Versehen. Ich habe die Position der SPD-Gruppe, über die Änderungsanträge abzustimmen, unterstützt. Ich hätte mit der SPD-Gruppe für die Herausnahme des Artikels 13 aus diesem Gesetz gestimmt.
Wie Wölken verweist Leinen auf die "erhebliche Menge an Abstimmungen über Änderungsanträge, Resolutionen und Berichte des Europäischen Parlaments". Das Video der Abstimmung legt nahe, dass es tatsächlich bei manchen Abgeordneten Unklarheit bei der Stimmabgabe zum Geschäftsordnungsantrag gegeben haben könnte. EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani von der italienischen Forza Italia erklärt als Sitzungsleiter nochmals den Antrag und fragt, ob alle verstanden hätten, worüber abgestimmt werde. Tajani ergänzt, ihm scheine, es gebe da etwas Verwirrung.
Eine Auswertung des Protokolls zeigt zudem, dass allein in der Parlamentssitzung am Mittag über fast 200 Punkte unterschiedlichster Thematik abgestimmt wurde und auch bei anderen Abstimmungen, die nichts mit der Urheberrechtsrichtlinie zu tun hatten, EU-Parlamentarier ihr Stimmverhalten im Protokoll berichtigten.
Barley kennt das Problem
Auch im Bundestag kommt es übrigens vor, dass Abgeordnete sich vertun und das nachträglich korrigieren. So erklärte Bundesjustizministerin Katharina Barley (SPD) im November zu einer Abstimmung, die sich mit der Ablehnung eines Antrags der Linken zu Rüstungsausgaben beschäftigte: "Ich habe versehentlich mit Nein gestimmt, mein Votum lautet Ja."
Selbiges gab auch der CDU-Abgeordnete und Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Thomas Bareiß zu Protokoll, als es um den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Verbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung ging.
Diese Erklärungen über das Abstimmungsverhalten sind in der Geschäftsordnung des Bundestags unter Paragraf 31 vorgesehen: "Nach Schluss der Aussprache kann jedes Mitglied des Bundestages zur abschließenden Abstimmung eine mündliche Erklärung, die nicht länger als fünf Minuten dauern darf, oder eine kurze schriftliche Erklärung abgeben, die in das Plenarprotokoll aufzunehmen ist."
Das Ergebnis bleibt
Eine Wirkung auf die ursprüngliche Abstimmung hat das allerdings nicht. Das Ergebnis bleibt, wie es ist. Im Bundestag und auch im Europaparlament. Das findet Tiemo Wölken auch richtig so, weil ansonsten Druck ausgeübt werden könnte oder Manipulation im Nachhinein möglich wäre. Das Ergebnis schmerzt ihn im Fall der Abstimmung zu den Änderungsanträgen der EU-Urheberrechtsrichtlinie natürlich trotzdem.