Sommerreise des Ostbeauftragten Optimismus als Leitmotiv
Auf seiner Sommerreise ist der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Schneider, auch in Sachsen und Brandenburg unterwegs. Vielerorts ist Unsicherheit zu spüren - aber auch die Hoffnung, dass der Strukturwandel eine bessere Zukunft bringt.
"It’s quite wunderbar." Karlo Alviz lächelt freundlich. Der philippinische Fluggerätemechaniker spricht in einer Mischung aus Englisch und Deutsch über sein neues Leben in Dresden.
Seit April arbeitet der 27-Jährige bei den Elbe Flugzeugwerken - nach mehr als neun Monaten warten auf Visum und Arbeitserlaubnis. Das war nicht so wunderbar. Aber nun plant Alviz langfristig zu bleiben, Bezahlung und Arbeitsbedingungen seien viel besser als zu Hause. Nächstes Jahr will er heiraten, hofft darauf, seine Freundin nachholen zu können.
Schwierige Suche nach Fachleuten
Rund 2200 Mitarbeiter haben die Elbe Flugzeugwerke - und zwar aus 30 Nationen, betont der Chef, Jordi Boti, selbst gebürtiger Katalane. Und er rühmt: Man sei das größte Industrieunternehmen in Sachsen, das nicht nur Werke oder Zweigstellen, sondern seinen Hauptsitz hier habe.
In den Firmenhallen werden Passagierflugzeuge aus der ganzen Welt zu Frachtmaschinen umgerüstet, Ingenieure und Technikfachleute für diesen sehr speziellen Bereich zu finden, sei schwierig. Vor allem aber gehe es anderswo viel schneller: Die umworbenen Fachkräfte aus dem Flugzeugbau bekämen zum Beispiel für die USA innerhalb von sechs Wochen alle Genehmigungen, um einzureisen und zu arbeiten.
"Das muss deutlich schneller gehen," stimmt Carsten Schneider zu. Die Bundesregierung sei dabei, die bürokratischen Prozesse bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen oder bei den Visastellen "ganz schlank" zu machen.
Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, besucht die Elbe Flugzeugwerke. Rund 2200 Menschen aus 30 Nationen arbeiten dort.
Ostdeutsche Erfolgsgeschichte
Es ist das erste Mal, dass der Ostbeauftragte der Bundesregierung die Elbe Flugzeugwerke in der sächsischen Hauptstadt besucht und man merkt: Der SPD-Politiker ist durchaus beeindruckt, als er durch die leer geräumten Hüllen der großen Flieger steigt, die in Dresden "recycelt" werden - und vielleicht auch ein bisschen froh, dass er den Journalisten aus Berlin, die ihn begleiten, eine so anschaubare Erfolgsgeschichte mit internationalem Flair vorzeigen kann.
Dass neben Jordi Boti mit Kai Mielenz auch ein Sachse als Finanzchef an der Spitze mitmischt, gefällt Schneider - mehr Ostdeutsche in Führungspositionen ist schließlich eines seiner zentralen Themen.
Am Thema AfD führt kein Weg vorbei
Ein anderes zentrales Thema bespielt der Ostbeauftragte nur unfreiwillig: "Mein Leben dreht sich nicht nur jeden Tag um die AfD." Aber auf seiner Sommerreise durch Brandenburg und Sachsen kommt er an diesem Thema nicht vorbei.
Im nächsten Jahr sind entscheidende Wahlen: Europawahl, Kommunalwahlen, Landtagswahl. Umfragen sehen die AfD derzeit auf Höhenflug vor allen anderen Parteien im Osten. "Die derzeitige Unterstützung in den Umfragen hat vielfältige Gründe," sagt Schneider. "Wer sagt, das ist ein Ost-Problem, macht es sich zu einfach." Er will, dass der Osten in seinen Chancen und Möglichkeiten gesehen wird. Und spricht gerade mit Blick auf die Lausitz vor allem von Aufschwung.
"Wir müssen liefern"
Optimismus ist das Leitmotiv, das Schneider mit den Kommunalpolitikern teilt, die er auf seiner Reise trifft. "Meine Parole ist immer: Weitermachen, wir müssen liefern", sagt Christine Herntier. Und zwar mit einem Nachdruck, der wenig Zweifel daran lässt, dass sie damit mehr als die übliche politische Floskel verbunden wissen will.
Die resolute 66-Jährige ist die Bürgermeisterin von Spremberg im brandenburgischen Teil der Lausitz, mittendrin in Kohlerevier und Strukturwandel. Die letzte Wahl hat die parteilose Kommunalpolitikerin 2021 gegen einen Kandidaten von der AfD gewonnen, die in ihrem Stadtrat die stärkste Fraktion stellt.
Eigentlich will auch sie möglichst wenig über die Rechtsaußenpartei und deren Wählerschaft reden - dass sie immer wieder nach der AfD gefragt werde, gehe ihr "ganz schön auf den Senkel". Die AfD lebe vom Frustpotential und besetze das Thema Strukturwandel, "obwohl sie gar nichts dafür tun."
Bürgermeisterin Christine Herntier wünscht sich, dass Spremberg wieder wächst.
Keine Angst vor dem Strukturwandel
Herntiers Gegenmittel: erklären, viel erklären - in jedem der 14 Ortsteile. Fast klingt es so, als würde sie auch mit jedem einzelnen Bürger regelmäßig reden. "Kleinstadt kann auch Vorteil sein", sagt sie. Dabei hat Herntier viel zu tun: das städtische Krankenhaus retten, dafür sorgen, dass Strukturwandelgelder in Projekte vor Ort umgesetzt werden, Druck machen, dass man in Berlin weiß, was die Lausitz braucht.
Sie ist Sprecherin der Lausitzrunde, einem Bündnis, in dem sich die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen der Region zusammengeschlossen haben. Nächste Woche steht ein Termin mit dem Bundeswirtschaftsminister an, mit dem Bundesverkehrsminister haben sie sich im Frühjahr ausgetauscht, die Chefin der Grünen, Ricarda Lang, war neulich da.
Herntier hat keine Angst vor dem Kohleausstieg, auch nicht, sollte der doch früher kommen - allerdings müsse die Strukturentwicklung damit Schritt halten. Das heißt: Straßen, Bahnverbindungen, Schulen und schnelles Internet müssen her. Und zwar nicht erst irgendwann in einer fernen Zukunft.
Neuansiedlungen sollen auch neue Einwohner bringen
Zuwanderung? Auf jeden Fall, sagt Herntier, schon jetzt gehe es nicht ohne ausländische Mitarbeiter. Sie hätte aber gern auch "Rückkehrerprämien", um die wieder in die Region zu holen, die nach der Wende gegangen sind, beziehungsweise deren Kinder und Enkel.
Der Industriepark Schwarze Pumpe, der zum Teil auf dem Stadtgebiet von Spremberg, zum Teil in Sachsen liegt, ist längst viel mehr als das Kraftwerk mit den weißdampfenden ikonischen Kühltürmen: Von Firmenneuansiedlungen versprechen sich hier viele vieles. Herntier will ihre Stadt von derzeit 22.000 Einwohnern auf 25.000 hochschrauben bis Ende des Jahrzehnts.
Bessere Infrastruktur als Grundvoraussetzung
"Wir brauchen Menschen", sagt auch Tobias Schick, der Oberbürgermeister von Cottbus. Der SPD-Politiker wirkt fast getrieben von seinem Optimismus: Er schwärmt von Wasserstoff statt Braunkohle, E-Auto statt Verbrenner, dem Wissenschafts- und Technologiestandort, der in und um Cottbus ausgebaut werden soll. Und natürlich vom neuen Bahnwerk für die Instandhaltung von ICEs, das gerade entsteht und 1200 Industriejobs bringen soll.
Mit dem ICE ist Cottbus selbst allerdings nicht erreichbar - zum Schmerz von Kommunalpolitikern wie Schick oder auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke. Froh wird Schick allerdings auch schon sein, wenn endlich die Regionalzugverbindung doppelgleisig ausgebaut ist und hoffentlich ab 2027 ein Halbstundentakt in Richtung Berlin möglich wird. Strukturwandel, das wird immer wieder klar in allen Gesprächen, bedeutet nicht nur neue Jobs, sondern auch eine ernsthaft verbesserte Infrastruktur, damit es klappt.
Mit einem Bein in Berlin
Noch deutlich abgehängter fühlt man sich in Hoyerswerda auf der sächsischen Seite der Lausitz. Weder nach Dresden noch nach Cottbus ist die Stadt bahntechnisch gut angebunden. Grit Lemke ist hier aufgewachsen und fühlt sich sehr verbunden mit der Stadt.
Sie zeigt Schneider und den Berliner Journalisten die Plattenbauten ihrer Kindheit und Jugend, die immer weniger werden. Schon lange wohnen hier nicht mal mehr halb so viele Menschen wie zu DDR-Zeiten, als Hoyerswerda die rasant wachsende, kinderreiche Planstadt für die Braunkohlekumpel und ihre Familien war. Dass Lemke nur mit "einem Bein" hier lebt, mit dem anderen dann doch in Berlin, habe auch mit den mangelnden Mobilitätsmöglichkeiten zu tun, sagt sie.
Die Autorin und Dokumentarfilmerin Grit Lemke sieht in Hoyerswerda eine "riesengroße Frustration über die letzten 30 Jahre".
"Es war schon ein ziemlich großes Jammertal"
Die Autorin und Dokumentarfilmerin hat sich in ihrem Buch "Die Kinder von Hoy" unter anderem mit den Verwerfungen der Nachwendezeit in ihrer Heimatstadt beschäftigt. Dazu gehören auch die rassistischen Ausschreitungen 1991, mit denen Hoyerswerda ins kollektive Gedächtnis eingebrannt ist.
Aktuell ist die AfD größte Fraktion im Stadtrat, aber die stehe nicht für die Mehrheit der Menschen hier, sagt Lemke, und es gebe eine starke, aktive Zivilgesellschaft. Allerdings herrsche eine "riesengroße Frustration über die letzten 30 Jahre". Den harten "Strukturbruch" nach der Wende hätten viele nicht überlebt: Depressionen, Alkohol, Selbstmorde seien oft die Folgen gewesen.
"Es war schon ein ziemlich großes Jammertal, durch das wir geschritten sind und das hinterlässt natürlich Spuren und Traumata", sagt Lemke. Auch deshalb gebe es in Hoyerswerda nun in erster Linie "ein mentales Problem" diagnostiziert sie. "Den Leuten geht es hier überhaupt nicht schlecht. Es gibt eben nur keinen Glauben an die Zukunft, und wir müssen irgendwie schaffen, das zu ändern."
Griff nach den Sternen weckt Hoffnungen
Dabei helfen soll der Griff nach den Sternen: Das Deutsche Zentrum für Astrophysik soll in die Region kommen - mit wissenschaftlichen, technischen und Verwaltungsjobs - und vielleicht einem Riesenteleskop, das die Welt in die Lausitz lockt.
Grit Lemke hat Hoffnungen, Carsten Schneider auch. "Da ist noch viel Bewegung", sagt er angesprochen auf die Wahlen im nächsten Jahr. "Ich bin weit davon entfernt, alles gesund zu beten", aber er sei eben auch "ein grundsätzlich optimistischer Mensch."