Wirtschaftskrise in Ägypten Megaprojekte auf Pump - und immer mehr Armut
Mit Großprojekten versucht Ägyptens Präsident Al-Sisi, seiner autoritären Herrschaft Glanz zu verleihen. Zugleich wird die wirtschaftliche Not im Land immer größer. Führt Al-Sisi sein Land in den Bankrott?
Kurz nachdem die Sonne aufgeht, kommen die ersten Kunden zum Ful-Karren, einem hölzernen Essensstand auf Rädern. Bohnen, Zwiebeln, Öl und Brot: Ful ist ein ägyptischer Frühstücksklassiker voller Kalorien, beliebt vor allem bei Menschen, die hart arbeiten müssen und nicht viel Geld haben.
Es sind Menschen wie Ashraf Hamam, der als Kistenschlepper hier in Kairos Zentrum schuftet und sich zunehmend Sorgen macht. "Reich war ich nie, aber früher habe ich mir jeden Tag Ful leisten können", sagt er. In den letzten Monaten aber hätten sich die Preise des Gerichts mehr als verdoppelt, an manchen Ständen sogar verdreifacht. "Jetzt kann ich oft nur noch billige Kekse zum Frühstück essen, kein Ful mehr."
Es mangelt nicht an Waren in den Geschäften. Doch immer weniger Ägypter können sich alltägliche Dinge leisten.
Kritik wird immer lauter
Ein Arme-Leute-Essen, das viele arme Leute nicht mehr finanzieren können. Wer sich fragt, wie schlimm die wirtschaftliche Lage im bevölkerungsreichsten Land der arabischen Welt gerade ist, bekommt an den Ful-Ständen die Antwort in Form einer verzweifelt vorgetragenen Frage serviert: "Wie sollen wir das bezahlen?"
Auch auf Kleidungsmärkten, an Minibushaltestellen und selbst in den sozialen Medien machen immer mehr Menschen ihrem Frust Luft. Letzteres ist insofern bemerkenswert, als man in Ägypten aufpassen, gar mit einer Gefängnisstrafe rechnen muss, wenn man im Internet etwas kommuniziert, was als Kritik an den Mächtigen ausgelegt werden kann. Inzwischen brodelt es aber hörbar in der Bevölkerung. Zu groß und zerstörerisch ist diese Krise bereits geworden.
Hinzu kommt eine Währungskrise
Die Wirtschaftskrise ist auch eine Währungskrise. In den Häfen Ägyptens stecken seit Monaten Waren fest, weil Importeure ihre Rechnungen nicht begleichen können. Dem Land am Nil fehlt es an Devisen, nachdem sich im Zuge der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine viel internationales Kapital aus dem Land verabschiedete.
Starke Zinserhöhungen weltweit lassen in den Augen zahlreicher Beobachter jetzt sogar die Aussicht auf einen Staatsbankrott wieder wahrscheinlich werden. "Das ist doch ein Klassiker", sagt etwa der Wirtschaftswissenschaftler Wael Gamal. In den 1980er-Jahren sei vielen Entwicklungsländern "genau das gleiche" passiert, als Niedrigzinsen schnell von hohen Zinsen abgelöst wurden. "Die Folge waren Zahlungsausfälle."
Die Welt schaut auf Ägypten - die Rolle als Gastgeber der Weltklimakonferenz vom vergangenen November gefiel Präsident al-Sisi. Doch die heimischen Probleme sind enorm.
Schuldenfinanzierte Megaprojekte
Steht Ägypten tatsächlich mit dem Rücken zur Wand? Und wenn ja, warum? Schuld seien keinesfalls nur äußere Einflüsse, sagt die Wirtschaftsjournalistin Beesan Kassab, "sondern die bewusste Entscheidung der Regierung, auf Megaprojekte zu setzen, die durch Schulden im Ausland finanziert werden".
Sie meint etwa den Bau der neuen Hauptstadt vor den Toren Kairos, ein gewaltiges Prestige-Vorhaben, für das sich Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al-Sisi feiern lasse, das aber an den wahren Bedürfnissen der ägyptischen Bürger weit vorbeigehe.
Und in der Tat: Während Firmen, die eng mit dem Militär verflochten sind, das halbe Land in auf Pump bezahlte Großbaustellen verwandeln, fehlt überall sonst Geld, etwa für Bildung oder nachhaltige Sozialprogramme. Die Schuldenlast werde immer größer und schränke die Politik zunehmend ein, mahnen auch andere Experten.
"Al-Sisi hat autoritäre Herrschaft konsolidiert"
Trotz aller Kritik, Al-Sisi, der zwar immer mal wieder vom Westen für die schlechte Menschenrechtslage im Land kritisiert wird, gleichzeitig aber enger strategischer Partner von Amerikanern und Europäern bleibt, sitzt weiter fest im Sattel.
Zehn Jahre nach dem Sturz seines Vorgängers Mursi feiert der ehemalige General und Verteidigungsminister, der die aktuelle Krise eigenen Angaben zufolge bald beenden werde, in diesem Jahr sein zehnjähriges Amtsjubiläum als Präsident.
In der vergangenen Dekade habe Al-Sisi "seine autoritäre Herrschaft konsolidieren" können, schreibt Stephan Roll, Ägypten-Experte der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik. Die "Schuldenpolitik" sei dabei stets "direkt an das präsidiale Machtzentrum angebunden" gewesen. "Der Regierung gelang ein gut choreographierter Mix ans Anreizen, Drohungen und Täuschung, der es ermöglichte, immer neue Kredite aufzunehmen und für machtpolitische Zwecke einzusetzen."
Politikwechsel unwahrscheinlich
Ein Ende der Megaprojekt-Politik, die von internationalen Partnern immer wieder auch Lob erfährt, sei übrigens schon allein deswegen nicht zu erwarten, weil die ägyptische Führung mit einer Kursänderung Fehler eingestehen würde, sagt Ökonom Wael Gama.
Unterdessen fällt die Währung weiter und weiter. Muss man in offiziellen Wechselstuben derzeit noch knapp fünfundzwanzig Ägyptische Pfund für einen US-Dollar bezahlen, sind es bereits deutlich mehr als dreißig Pfund auf dem Schwarzmarkt. Dort haben die Händler die nächste Abwertung schon eingepreist.
Was ausländischen Investoren helfen mag, bedeutet für Ägyptens Konsumenten einen weiter wachsenden Verlust an Kaufkraft. Während Löhne und Renten niedrig bleiben, gehen die Preise der importabhängigen Wirtschaft durch die Decke. Auch an den Ful-Karren des 105-Millionen-Einwohner-Staates dürfte sich das Frühstücksangebot weiter verteuern.