Westsahara Warum die Polisario gegen die EU klagt
Durfte die EU mit Marokko ein Assozierungsabkommen aushandeln? Die Frage ist heikel, denn sie betrifft auch Fischgründe vor der Westsahara - und deren Annexion ist umstritten. Nun hat ein EU-Gericht das Wort.
Wenn das Europäische Gericht in Luxemburg in der Rechtssache T-279/19 "Front Polisario gegen den Rat der EU" urteilen wird, dann klingt das knochentrocken, juristisch eben. Es geht um die Frage, ob die EU mit dem Königreich Marokko ein Assozierungsabkommen abschließen und dabei auch die Fischerei-Rechte behandeln durfte. Denn zu Marokko gehören große Teile der Westsahara, ein Gebiet südlich von Marokko, dessen Status aber bis zum heutigen Tag höchst umstritten ist.
In Europa muss man vielen erst einmal erklären, wo dieser Landstrich überhaupt liegt. Im Maghreb aber ist er ein absolutes Reizthema. In Marokko wird einem sofort erklärt, dass die 1975 annektierte Westsahara natürlich Teil Marokkos sei.
Ganz anders sehen dies Menschen wie Meneya Sidahme. Die 60-Jährige lebt, zusammen mit etwa hunderttausend Menschen, seit Jahrzehnten in einem tristen Zeltlager in der algerischen Wüste. "Menschen der Wüste" nennen sie sich, die Sahraouis, die Bewohner der Westsahara. "Ich wollte nicht mit den Marokkanern zusammenleben, das sind für mich Besatzer", sagt sie. "Deswegen leben wir hier in einem Zeltlager."
Es geht um Rohstoffe und Fischgründe
Die Sahraouis sind Opfer eines der ältesten Konflikte Afrikas geworden. Lange Zeit war die Westsahara eine spanische Kolonie. Als sich das europäische Land 1975 zurückzog, witterte der marokkanische König Hassan II. seine Chance und schickte Hunderttausende seiner Landsleute in das Gebiet. Sie sollten dort siedeln. Die Westsahara sei historisch schon immer Teil Marokkos gewesen, reklamierte der Monarch in Rabat.
Es ging natürlich auch um Rohstoffe, Phosphat, Erdöl und reiche Fischgründe vor der Küste. Viele Sahraouis und insbesondere deren Befreiungsbewegung, die Frente Polisario, haben die Besitzansprüche Marokkos nie akzeptiert. Es ist diese Polisario-Bewegung, die nun den Rat der EU vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt hat.
Immer noch kein Referendum
In den 1980er-Jahren lieferten sich Polisario und Marokkos Armee militärische Auseinandersetzungen, bis die Vereinten Nationen 1991 einen Waffenstillstand vermittelten. Die UN schickten Blauhelm-Soldaten, um den Waffenstillstand zu überwachen; gleichzeitig wurde die Abhaltung eines Referendums in der Zukunft vereinbart, in dem die Bewohner über den Status des Gebiets entscheiden sollen.
Dazu ist es aber bislang nicht gekommen. Die Westsahara ist seitdem geteilt, getrennt durch einen 2000 Kilometer langen Sandwall.
Zwei Drittel der Westsahara gehören faktisch zu Marokko, das andere Drittel beherbergt auf algerischer Seite die traurigen Flüchtlingslager, in denen Menschen wie Meneya Sidahme erst wieder in die alte Heimat zurückkehren wollen, wenn die Besatzer gehen. "Marokko hält unser Land besetzt. Erst wenn sie abziehen, gehe ich in meine Heimat zurück."
Leben in staubigen Zeltlagern - für viele Sahraouis ist das seit Jahrzehnten Alltag, ohne Aussicht auf Änderung.
Marokko schafft Fakten
Doch Marokko macht keinerlei Anstalten, sich aus dem Gebiet zurückzuziehen - im Gegenteil: Das Königreich schafft mit dem Ausbau der Infrastruktur immer mehr Fakten, es ermöglicht ausländischen Firmen, darunter auch deutschen, die Ausbeutung der Rohstoffe und sieht die Westsahara als natürlichen Teil des eigenen Staatsgebiets an.
Wer daran zweifelt, muss mit einer scharfen Reaktion rechnen. Etwa der frühere UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Als der 2016 undiplomatisch von Marokkos "Besatzung" sprach, verwies das Land postwendend 81 UN-Mitarbeiter des Landes und organisierte Massendemos gegen die Vereinten Nationen.
Die Wut bekam in diesem Jahr auch Spanien zu spüren. Weil der Chef der Polisario-Bewegung, Brahim Ghali, mit Billigung der Regierung in Madrid medizinisch in Spanien behandelt wurde, reagierte Marokko allergisch. An den Grenzanlagen zur spanischen Exklave Ceuta wurden die Kontrollen im Mai für einen Tag eingestellt, fast zehntausend Menschen kamen so ungehindert über die Grenze. Der Massenexodus als Druckmittel.
Beziehungen zu Berlin weiter eingefroren
Das Königreich Marokko fühlt sich immer mehr im Recht. Das hängt auch mit Donald Trump zusammen. Denn der hat zum Ende seiner Amtszeit als US-Präsident noch kurzerhand die Westsahara als Teil Marokkos anerkannt. Im Gegenzug nahm Marokko diplomatische Beziehungen zu Israel auf.
Nun glaubt man in Rabat, dass auch die europäischen Länder die US-Sichtweise einnehmen müssten. Deutschland allerdings kritisierte im UN-Sicherheitsrat die Anerkennung durch die USA und beharrt auf dem vereinbarten Referendum für die Westsahara. Die Folge: Marokko hat die Beziehungen zu Berlin seit dem Frühjahr dieses Jahres eingefroren.
Und so steckt in der Rechtssache T 279/19 jede Menge Zündstoff. Sollte das Europäische Gericht entscheiden, dass Marokko nicht befugt ist, Abkommen abzuschließen, die die Belange der Westsahara betreffen, dann ist mit einer heftigen Reaktion aus Rabat zu rechnen. Für die Menschen in den Flüchtlingslagern wird das Urteil aber wohl wenig ändern. Sie bleiben gestrandet in der Wüste, vergessen von der Welt.