Nach Blauhelm-Abzug Wiederholt sich in Mali die Geschichte?
Die Bundeswehr ist noch nicht abgezogen, da schlägt eine Gewaltwelle über Mali zusammen: Rivalisierende islamistische Milizen breiten sich im Land aus - und zur Bekämpfung setzt die Armee auf die Wagner-Gruppe.
Unter normalen Umständen würde sich im Sahel-Staat Mali langsam eine festliche Stimmung breit machen: Bewegt sich das Land doch auf den 22. September zu, den Nationalfeiertag, an dem traditionell der Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich gedacht wird. Doch in diesen Tagen ist nichts normal in Mali, eine grauenerregende Anschlagsserie hat das Land zuletzt erschüttert.
Vergangene Woche feuerten Al-Kaida nahestehende Terroristen in der Region Timbuktu drei Raketen auf eine Fähre ab, Dutzende Zivilisten starben. Zeitgleich griffen Militante eine Armeebasis in der Region Gao an und töteten 15 Soldaten. Nur einen Tag später verübten Selbstmordattentäter einen weiteren Anschlag auf ein Camp der malischen Armee. Die Detonationen und der Schusswechsel waren auch im Lager der UN-Blauhelme und der Bundeswehr deutlich zu hören. Denn die sind nur 1,5 Kilometer entfernt stationiert - noch. Der Abzug ist in vollem Gange.
Mit den Blauhelmen verschwindet der Puffer
Dass die neue Welle der Gewalt unmittelbar mit dem Abrücken der UN-Truppen zusammenhängt, steht außer Frage. Als die MINUSMA genannte Mission der Vereinten Nationen Mitte August ein Lager in der Region Timbuktu an die malische Armee übergab, dauerte es nur wenige Tage, bis dort Kämpfe ausbrachen.
Der deutsche Einsatz in Mali sei oft als nutzlos kritisiert worden, weil sie die Sicherheitslage in den letzten zehn Jahren verschlechtert habe, erklärt der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Malis Hauptstadt Bamako, Ulf Laessing. "Nun aber zeigt sich, dass es Bundeswehr und UNO geschafft haben, die Konfliktparteien im Prinzip auseinander zu halten." Doch mit den Blauhelmen verschwindet auch dieser Puffer zwischen den Kämpfenden.
Lage im Norden erinnert an 2012
Es ist ein toxisches Gemisch verfeindeter Gruppen, die gerade im Norden Malis um Macht und Einflusszonen ringen: Bewaffnete Tuareg-Separatisten, die am liebsten ihren eigenen Staat errichten würden; Al-Kaida und der Terrormiliz "Islamischer Staat" nahestehende Terroristen, die nicht nur die malische Armee bekriegen, sondern sich auch untereinander; sowie organisierte Kriminelle. All diese Gruppen würden einem vergangenen Monat erschienenen UN-Report zufolge "darum wetteifern, Handels- und Schmuggelrouten durch die nördlichen Regionen Gao und Kidal zu sichern", wie es wörtlich in dem Bericht heißt.
Hinzu kommt, dass nicht nur die von russischen Wagner-Söldnern unterstützte malische Armee ein Auge auf die freiwerdenden UN-Camps geworfen hat: Die Tuareg-Rebellen betrachten es als Kriegserklärung, dass sich dort nun der malische Staat breitmachen will. Kurzum, was sich im Norden Malis zusammenbraut, weist erschreckende Parallelen zur Lage vor gut zehn Jahren auf - als Dschihadisten und Tuareg-Rebellen den Norden beherrschten. Dies war der Grund, warum sich zunächst Frankreich und dann die Vereinten Nationen zum Eingreifen genötigt sahen. Wiederholt sich nun dort die Geschichte?
Bundeswehr sieht sich "im Zeitplan"
Dass Blauhelme und Bundeswehr abziehen - und zwar schneller als geplant - geschieht indes auf ausdrücklichen Wunsch der Militärregierung in Bamako: Die Machthaber halten die UN-Präsenz für wirkungslos und setzen stattdessen voll auf Russland und dessen etwa 1.000 Mann starke Söldner-Truppe.
Was die MINUSMA-Soldaten und die Bundeswehr betrifft, so sind die zuletzt zwar nicht direkt ins Visier der Militanten geraten. Doch bei den Vereinten Nationen macht man sich keine Illusionen, dass die derzeit laufende Phase des Abzugs aus der zunehmend umkämpften Zone im Norden Malis noch schwieriger werden dürfte als die bisherige.
Als die Selbstmordattentäter bei ihrem Angriff auf die malischen Kräfte vergangene Woche ihre Sprengsätze zündeten, suchten Soldaten im deutschen Camp Castor aus Sicherheitsgründen Schutzräume auf. Wie ein Sprecher des Einsatzführungskommandos in Potsdam bestätigt, wurde der Flugbetrieb vorübergehend eingestellt. Man ist jedoch dringend darauf angewiesen, dass der direkt neben dem Camp gelegene Flughafen in Gao weiter betrieben werden kann, wird doch der Löwenanteil des Rücktransports per Luft abgewickelt. Mittlerweile wird wieder geflogen, man befinde sich "personell und materiell im Zeitplan", heißt es auf ARD-Nachfrage aus Potsdam.
Entwicklungshilfe nach dem Abzug
Dass sich die Sicherheitslage rund um das deutsche Camp Castor verschärft hat, ist dabei jedoch keine gute Nachricht. "Auf dem Rückzug ist man am verwundbarsten", lautete ein viel zitierter Satz schon beim Abzug aus Afghanistan. Und in Mali drängt zunehmend die Zeit: Bis Ende des Jahres muss sämtliches Material und Personal in der Heimat sein. Bei der Bundeswehr ist man zuversichtlich, den Fahrplan einhalten zu können: Die Rückverlegung verlaufe "planmäßig".
Was Mali selbst betrifft, so mahnen Experten schon seit Monaten: Nach dem Abzug der UN werde die Gewalt sich wieder Bahn brechen. Erste Anzeichen dafür gibt es schon jetzt. "Die malische Armee versucht mit Hilfe der Russen die Kontrolle im Norden zu behalten, aber das wird schwierig", meint auch Landeskenner Ulf Laessing. Nun haben Deutschland und die Vereinten Nationen versprochen, auch nach dem Abzug im Land aktiv zu bleiben - mit Entwicklungshilfe. In Regionen, in denen Kämpfe offen ausbrechen, wird das aber kaum möglich sein. Der Spielraum schrumpft, für Malis Militärregierung wie für die Einflussmöglichkeiten des Westens.