Bundeswehr in Mali Der Abzugs-Drahtseilakt
Bis Ende Mai 2024 wird die Bundeswehr aus Mali abgezogen sein. Sie muss tonnenweise Material nach Deutschland schaffen - und gleichzeitig ihren Auftrag weiter erfüllen. Auch Russland könnte noch eine Rolle spielen.
Es ist ein Funkspruch mit Sofortwirkung: "Alarm für die Schnelle Eingreiftruppe", schallt es aus dem Walkie-Talkie. Für die etwa 50 Mann starke "Quick Reaction Force" (QRF) der Bundeswehr im Krisenstaat Mali bedeutet das: Alles stehen und liegen lassen. Die Reaktion auf die Durchsage per Funk ist im deutschen Camp Castor denn auch innerhalb von Sekunden spürbar.
Im Laufschritt und bei 47 Grad im Schatten eilen die mit Splitterschutzwesten bepackten Soldaten durch den roten Wüstensand. Motoren fauchen kurz auf, gepanzerte Fahrzeuge, in denen bereits die schweren Waffen für die Soldaten bereitliegen, fahren vor. Eine kurze Einweisung, Funkverbindung herstellen - dann könnte der Einsatz beginnen. Könnte - denn in diesem Fall handelte es sich nur um eine Übung, um die Reaktionsschnelligkeit der Truppe zu testen.
Möglichst lange in Bereitschaft sein
Dass man es mit einer Probe zu tun haben würde, hatten die für den Funkspruch Verantwortlichen vorsorglich von vornherein mitgeteilt. Denn sonst hätte die Aktivierung der Eingreiftruppe das gesamte Camp im nordmalischen Gao in hellste Aufregung versetzt. Wird die QRF gerufen, bedeutet das: Draußen ist etwas passiert - in den meisten Fällen etwas Katastrophales.
"Wir sind auf Abruf. Das heißt: Wir warten darauf, dass wir - genau wie die Feuerwehr zu Hause auch - losfahren, wenn es brennt", erläutert Zugführer Charlie. Innerhalb von 30 Minuten, so lautet die Vorgabe, muss die QRF abfahrbereit sein. Bei der Alarmübung schaffte sie das in weniger als 15 Minuten.
Genau diese "Feuerwehreinheit" ist eine derjenigen, die man noch möglichst lange in Gao in Bereitschaft halten wird. Nun, wo feststeht, dass die Deutschen bis Ende Mai 2024 Mali verlassen haben werden. Die Absicherung des Lagers und derjenigen, die auf Patrouille außerhalb des geschützten Castor-Camps unterwegs sind, steht bis zum Schluss im Vordergrund. "Wir wollen so lange wie möglich draußen unterwegs sein. Denn wo wir sind, können nicht andere ihren dunklen Geschäften nachgehen", erklärt Kontingent-Führer Heiko Bohnsack im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio.
"Auf dem Rückweg ist man am verwundbarsten"
Aber ewig werden die Deutschen, die nun ganz offiziell mit dem Abzug aus Mali begonnen haben, diese Aufgabe eben nicht mehr übernehmen. "Auf dem Rückweg ist man am verwundbarsten", so lautet eine eherne Soldaten-Regel. Und so haben Kommandeur Bohnsack und die deutschen Truppen insgesamt mit dem Abzug einen heiklen Drahtseilakt zu vollführen.
Genau das Material in Mali zu belassen, das nötig ist, um den Auftrag zu erfüllen - und sich gleichzeitig nicht selber angreifbar zu machen. "Eine Reduzierung von Fähigkeiten heißt ja immer, dass die Gefahr für das Kontingent steigt, weil Waffensysteme und Waffen rausgebracht werden", mahnt Oberstleutnant Frank. Er ist einer von 16 Logistikfachleuten, die soeben nach Gao eingeflogen sind, um - möglichst geräuschlos - den Abzug zu organisieren. Das wird nicht einfach. Weil der Landweg als zu unsicher gilt, soll der Löwenanteil des Materials auf dem Luftweg ausgeflogen werden.
Noch bis Ende Mai 2024 ist die Bundeswehr in Mali im Einsatz. Im Camp Castor sind die deutschen Soldaten in Bereitschaft für einen möglichen Einsatz.
Höhere Gewalt und Fluggenehmigungen
Doch in den nächsten Wochen beginnt die Sandsturm- und Regensaison. Und dass es noch eine andere Form von "höherer Gewalt" geben könnte, die neben diesen Naturereignissen Flüge erschwert, davon bekam die Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, Siemtje Möller, dieser Tage einen ganz persönlichen Eindruck.
Als Möller Donnerstag früh in einen A400M der Bundeswehr steigen wollte, um vom deutschen Stützpunkt im Nachbarland Niger zum Truppenbesuch nach Gao in Mali zu fliegen, lag keine Genehmigung der malischen Behörden für den Flug vor. Die Abgesandte aus dem Verteidigungsministerium musste von der gigantischen, grauen Transportmaschine A400M auf eine schlanke und kurzfristig angemietete Zivilmaschine vom Typ Beechcraft umsteigen.
Böse Absicht unterstellt Möller den malischen Behörden nicht: "Ich gehe nicht davon aus, dass es eine motivierte Sabotage des Fluges war. Sondern dass es tatsächlich aufgrund von bürokratischen Vorgängen zu dieser Freigabe nicht gekommen ist", sagte sie.
Welche Rolle spielt Russland?
Dennoch: Dass die malische Bürokratie auch Flüge für den Rücktransport nicht immer rechtzeitig genehmigt, darauf können sich die Deutschen schon einmal einstellen. Und inwiefern die russischen Kräfte vor Ort noch eine Rolle spielen könnten, die sich auf Einladung der malischen Truppen direkt neben dem Flugfeld eingenistet haben, das auch die Deutschen nutzen, ist schwierig vorhersehbar.
Staatssekretärin Möller übrigens sah sich einen Tag später mit einem weiteren Flugproblem konfrontiert: Bei ihrer Regierungsmaschine wurden kurz vor dem Rückflug nach Berlin Risse in der Frontscheibe entdeckt, was zu einer ungeplanten Verlängerung der Reise führte. Verantwortlich war wohl die extreme Hitze von bis zu 60 Grad auf dem Rollfeld im Niger. Auch eine Form von höherer Gewalt.